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Aber nein, ich halte dich nicht für verrückt.«

      Dankbar griff Malin nach seiner Hand. »Opa, ich weiß, es ist ziemlich viel verlangt, aber ich denke, wir müssen beide unsere kompletten Bücher durchforsten. Alleine schaffe ich das nicht.«

      Erich schmunzelte erneut. »Das habe ich mir fast gedacht.«

      Sie gingen ins Wohnzimmer. Drei der vier Wände waren bis unter die Decke mit Bücherregalen versehen. Erich hatte seine Lektüren sorgfältig nach Autoren und Genres geordnet und sein Sortiment konnte es mit jeder Buchhandlung aufnehmen.

      »Da haben wir uns ja ganz schön was vorgenommen. Ich hoffe nur, ich habe mich nicht getäuscht.« Malin war sich mit einem Mal gar nicht mehr so sicher, ob ihr Erinnerungsvermögen ihr nicht doch einen Streich spielte.

      Zwei Stunden später hatten sie etwa fünf Dutzend Bücher durchforstet. Malin hätte nie für möglich gehalten, dass es so langsam vorangehen würde. Mittlerweile wurde es allerhöchste Zeit, zum Präsidium aufzubrechen. Ihr Großvater blätterte ganz vertieft in einem amerikanischen Psycho­thriller. Auf seiner Stirn hatte sich eine Furche gebildet und seine Lesebrille war ein wenig von der Nase gerutscht. Er schien ihren Blick zu spüren und legte das Buch beiseite. »Und, hast du schon was gefunden?«

      Malin schüttelte den Kopf. »Fehlanzeige. Aber jetzt muss ich leider erst einmal ins Präsidium.«

      »Tja, ich habe heute sowieso nichts Besseres vor – also wühle ich mich noch ein bisschen hier durch.«

      »Danke, Opa, du bist ein Schatz.« Malin drückte ihm zum Abschied rasch einen Kuss auf die raue Wange.

      Sie war spät dran, als sie eine dreiviertel Stunde danach die Büroräume der Mordkommission betrat. Jemand hatte ein Whiteboard aufgestellt und Tatortfotos daran geheftet. Sie fuhr gerade ihren Computer hoch, als Hauptkommissar Fricke eintraf, dicht gefolgt von Glaser, dem Kriminaltechniker. Fricke trug immer noch das Hemd vom Vortag. Er hatte tiefe Augenringe, war unrasiert, und sein Haaransatz schimmerte fettig.

      Malin unterdrückte ein Gähnen. Der Schlafmangel machte sich bemerkbar.

      Fricke zog ein paar Unterlagen aus seiner Tasche und schaute in die Runde. »Moin, moin. Wenn denn jetzt alle wach und aufnahmebereit sind, beginnen wir mit dem jetzigen Ermittlungsstand. Die Rechtsmedizin hat uns heute früh den vorläufigen Bericht durchgefaxt. Demnach ist der Tod zwischen null und zwei Uhr dreißig eingetreten. Todes­ursache Herzversagen. Über dem linken Brustkorb des Opfers befindet sich ein kleiner Einstich. Vermutlich wurde dort eine Substanz injiziert, die zum Herzversagen geführt hat. Um welche Substanz es sich dabei handelt, wird uns erst das toxikologische Gutachten verraten.« Fricke räusperte sich. »Aufgrund der bisher vorliegenden Ergebnisse der Spurensicherung müssen wir davon ausgehen, dass Tatort und Fundort nicht identisch sind. Leider bringt uns das nicht weiter. Wir brauchen die Identifizierung des Toten. Ole, wie weit bist du mit den Vermisstenmeldungen?«

      Ole Tiedemann, der an diesem Morgen noch blasser wirkte als sonst, blätterte in seinem Notizheft. »Heute früh wurde ein gewisser Richard Woy von seiner Frau als vermisst gemeldet, die Meldung ist gerade hereingekommen. Die Beschreibung passt auf den Toten. Soll ich jemanden hinschicken?«

      Fricke überlegte kurz. »Mir ist es lieber, wenn das jemand aus dem Team übernimmt. Frank, was haben die Spurenauswertungen ergeben?«

      »Das Seil, mit dem das Opfer aufgehängt wurde, weist an diversen Stellen Gewebespuren auf, allerdings stammen die allesamt vom Opfer.«

      »Konntet ihr die Herkunft des Seiles feststellen?«

      »Massenware, in jedem Baumarkt zu erstehen. Ähnliches bei dem Tuch: ein stinknormales Bettlaken, hundert Prozent Baumwolle, kein Etikett. In jedem Kaufhaus zu kriegen.«

      Es klopfte und eine Beamtin streckte den Kopf durch die Tür. Fricke winkte sie heran, und die Polizistin reichte ihm einen Zettel. Nach einem kurzen Blick auf die Notiz wandte er sich wieder seinem Team zu. »Wir müssen hier jetzt abbrechen. Frank, ich brauche ein Team von der Spurensicherung, am besten kommst du auch gleich mit.« Er nickte dem Kriminaltechniker zu und ging ohne weitere Erklärungen zur Tür.

      Dann drehte er sich noch einmal um. »Worauf warten Sie, Brodersen? Kommen Sie, fürs Herumstehen werden Sie nicht bezahlt!«

      Malins Müdigkeit war schlagartig verflogen.

      4

      Malin saß auf dem Beifahrersitz von Frickes Dienstwagen und starrte aus dem Seitenfenster. Die dicke Wolkendecke entlud sich ihrer Schwere und das träge Tröpfeln der letzten Stunden ging in einen kräftigen Schauer über.

      Abgesehen vom Quietschen der Scheibenwischer war es seltsam still im Wagen. Malin schaute zu Fricke hinüber und musterte ihn. Die tiefen Ringe unter seinen Augen ließen erkennen, dass die letzten vierundzwanzig Stunden auch an ihm nicht spurlos vorbeigegangen waren. Mit starrem Blick aus der Frontscheibe und beiden Händen am Steuer lenkte er den Wagen. Sie fühlte sich neben ihrem Vorgesetzten äußerst unbehaglich. Malin hatte immer an ihre gute Menschenkenntnis geglaubt, doch bei Fricke schien die zu versagen. Außerdem fragte sie sich, warum er sie nicht duzte. Schließlich war das beim LKA im Allgemeinen üblich.

      Ein Lastwagen hupte.

      »Kann der denn nicht aufpassen!«, wetterte Fricke und hupte ebenfalls. »Solche Idioten haben hinterm Steuer einfach nichts verloren.« Dann wandte er sich an Malin. »Am Waldrand im Rehagen wurde ein herrenloses Auto gefunden. Eine schwarze Mercedes-Limousine mit etwas ungewöhnlichem Inhalt. Weiß der Teufel, was das wieder zu bedeuten hat.«

      »Was meinen Sie mit ungewöhnlichem Inhalt?«

      »Der Wagen war wohl vollkommen leer, bis auf einen Stapel Herrenkleidung. Obenauf liegt eine Brieftasche. Ein Reiter hat den Wagen gestern entdeckt. Als er heute immer noch da stand, hat der Mann die Polizei gerufen. Der Wagen blockiert den Reitweg.«

      »Und warum hat man uns verständigt?«

      »Der Wagen ist auf einen Dr. Richard Woy zugelassen.«

      »Der Vermisste, dessen Beschreibung auf unsere Torhausleiche passt«, stellte Malin verblüfft fest.

      »Genau. Und so viele Menschen mit diesem Namen wird es in Hamburg wohl nicht geben. – Ah, ich glaube, da sind wir schon.«

      Fricke bog in den Rehagen ein und kurze Zeit später sahen sie den Reitstall. Etwa zweihundert Meter weiter ging die geteerte Straße in einen schmaleren Waldweg über, und an diesem Punkt stand ein Streifenwagen. Fricke parkte sein Auto am Seitenrand. Noch immer regnete es Bindfäden.

      Malin setzte die Kapuze ihrer Regenjacke auf und stapfte ihrem Chef durch den Matsch hinterher. Vor dem Streifenwagen parkte ein schwarzer Mercedes der S-Klasse.

      Fricke streifte Einweghandschuhe über und reichte Malin auch ein Paar. »Bevor die Spusi den Wagen in die KT bringen lässt, wollen wir doch mal einen Blick hineinwerfen.« Vorsichtig öffnete er eine Fahrzeugtür.

      Der besagte Stapel Kleidung lag auf der hinteren Sitzbank. Alle Teile waren akkurat zusammengelegt. Fricke griff nach der Brieftasche aus schwarzem Leder und reichte sie an Malin weiter. Nach kurzem Suchen fand sie hinter dem Kreditkarten­fach einen Personalausweis.

      »Richard Woy, geboren am 17. Januar 1945. Schauen Sie sich mal das Foto an.« Sie reichte ihm den Ausweis.

      Fricke runzelte die Stirn. »Das weist in der Tat eine gewisse Ähnlichkeit mit unserer Leiche auf.« Er wandte sich an einen der uniformierten Beamten. »Haben Sie die Daten des Halters und die Adresse überprüft?«

      »Häherweg in Poppenbüttel«, kam prompt die Antwort.

      »Die Adresse stimmt mit den Daten auf dem Personalausweis überein«, bestätigte Malin.

      Fricke bückte sich und betrachtete noch mal eingehend das Wageninnere. »Was zum Teufel soll das bloß? Erst die Leiche im Torbogen und jetzt die Limousine, wie auf dem Präsentier­teller. Warum so umständlich? Das ist ja total bekloppt«, murmelte er, während der Regen weiterhin unablässig in seinen Nacken glitt. »Ach

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