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„Sie wissen, dass sie außerhalb von Braxcity die Instrumente zum Datenempfang ausschalten müssen. Sie verstoßen sonst gegen das Gesetz.“

      „Ich war in Gedanken, es tut mir leid“, sagte Herr Späth mechanisch. „Ich werde die Aufnahmen aus ihrer Wohnung später aus dem System löschen.“

      Ich glaubte ihm kein Wort.

      Plötzlich öffnete sich die Tür von Tante Ediths Zimmer. Einen kurzen Moment lang stand sie mit offenen Haaren, in einem fliederfarbenen Morgenrock und Wollsocken in der Tür. Sie presste ein dickes, in dunkles Leder gebundenes Buch an ihre Brust. Als sie Herrn Späth erkannte, fluchte sie und verschwand wieder in ihrem Zimmer.

      „Edith“, rief Papa der Tante hinterher. „Willst du Herrn Späth nicht begrüßen?“

      „Nein, danke!“, antwortete sie durch die geschlossene Tür. Mit einem Schulterzucken entschuldigte sich Papa bei seinem Assistenten.

      „Keine Ursache, Doktor Ritter. Um diese Zeit sollte man Damen nicht stören“, sagte Herr Späth.

      Schleimer!

      Papa drückte mir eine schwarze Tasche in die Hand. „Martin hat dir die Geräte mitgebracht. Laptop und Smartphone — alles von BRAXWORLD und mit den Systemen von Braxcity synchronisiert. Du kannst dich schon mit ihnen vertraut machen“, erklärte er. „Die werden in der Schule deine ständigen Begleiter sein.“

      Dann schnappte er sich seinen Mantel und winkte Herrn Späth aus der Wohnung.

      Tante Edith sah vorsichtig durch den Türschlitz ihres Zimmers. „Sind sie weg?“, fragte sie. Als ich grünes Licht gab, kam sie raus und schimpfte vor sich hin. „An alles habe ich gedacht! Die Kameras, die Laptops und Handys und all den Kram — aber dass der Schnösel plötzlich so früh in der Wohnung steht, damit habe ich nicht gerechnet.“

      Sie stapfte in die Küche und stellte den Wasserkocher an. „Meinst du, er hat das Buch gesehen?“, fragte sie besorgt.

      „Keine Ahnung, warum?“

      „Es gibt Dinge, die sollte man hier nicht liegen lassen oder groß herumposaunen“, antwortete sie und stellte Tassen auf den Tisch. Dann deutete sie auf die schwarze Tasche in meiner Hand.

      „Gib mal her!“, forderte sie und nahm mir die Tasche ab. „Dieses Zeug legt man am besten in den Kühlschrank.“

      „Tante, das sind Computer und Smartphone!“, rief ich entgeistert. Offenbar hatte meine Großtante keine Peilung von diesen Dingen.

      „Ja, ja, eben!“, erwiderte sie, packte die Geräte aus und legte sie in das Gemüsefach des Kühlschranks. „Das ist die einfachste Möglichkeit, sie kaltzustellen!“, lachte sie.

      Ich fing an, mir ernsthafte Sorgen um ihren geistigen Zustand zu machen. „Ich verstehe kein Wort, Tante Edith“, stellte ich fest.

      „Thomas hat dir doch sicher erzählt, mit welchem Rohstoff Braxton sein Imperium am Laufen hält.“ Tante Edith sah mich prüfend an, bis ich artig antwortete: „Die Daten, die die Mitarbeiter aus Braxcity liefern?“

      „Richtig. Diese Dinger“, sie deutete auf den Kühlschrank, „senden ununterbrochen Daten an das System Braxcity. Aber der Kühlschrank ist so gut gedämmt, dass die Geräte abgeschirmt sind. Ende der Sendung!“

      „Tante, ich glaube, du übertreibst“, murmelte ich.

      „Das macht nichts. Geh lieber zurück ins Bett und schlaf noch eine Runde. Ich muss mir überlegen, was ich mache, falls Braxtons Schoßhündchen noch einmal bei uns auftaucht“, sagte sie und goss das heiße Wasser in die Teekanne.

      Ich schlief tatsächlich noch einmal ein und träumte das erste Mal seit Jahren von meiner Mutter. Wir gingen gemeinsam zwischen historischen Gebäuden auf einen großen Platz zu. Mama blieb immer einige Schritte vor mir. Ich beobachtete die schlanke Linie ihres Kleides, ihren federnden Schritt, bei dem ihr braunes lockiges Haar auf ihrem Rücken wippte. Ab und zu sah sie sich nach mir um, lächelte und winkte mir zu. Aber immer, wenn ich versuchte, sie einzuholen, um Hand in Hand neben ihr zu gehen, schien sie schneller zu werden. Ich erreichte sie nie.

      Als Tante Edith mit einer Tüte frischer Brötchen unter dem einen Arm und einem Packen Tageszeitungen unter dem anderen meine Zimmertür aufstieß, war ich erleichtert, dass der Traum unterbrochen wurde.

      Als ich kurze Zeit später in die Küche trat, war der Frühstückstisch gedeckt und Tante saß mit einer Lesebrille auf der Nasenspitze auf der Bank und blätterte in einer der vielen Zeitungen. Die englische Times, der französische Figaro, die russische Prawda und die amerikanische Washington Post lagen neben ihr.

      „Liest du jeden Morgen so viele Zeitungen?“, fragte ich.

      „Ach was, soviel Zeit habe ich nun auch wieder nicht. Thomas hat heute früh etwas von einem Geschäft gesagt, das für BRAXWORLD sehr wichtig ist. Ich suche nach Hinweisen, was dieser Schakal Charles Braxton vorhat“, erklärte sie und biss in ein Marmeladenbrötchen. „Irgendwo bei den Wirtschaftsnachrichten muss doch etwas darüber stehen“, murmelte sie, während sie die Überschriften las. Mit jeder Zeitung, die sie zur Seite legte, wurde sie unzufriedener.

      „Nichts! Anscheinend hält Braxton seinen neuesten Schachzug geheim. Das macht mich ganz unruhig“, sagte sie, nachdem sie alle Zeitungen durchgesehen hatte.

      „Warum? Was befürchtest du denn?“

      „Es ist wegen der Gilde der Schreiber. Du musst wissen, dass Charles Braxton selber einmal ein engagiertes Mitglied der Gilde war. Er ist kein wahrhaftiger Schreiber. Aber als Fachmann für Kommunikation, ähnlich wie ich als Schriftforscherin, setzte er sich für die Ziele der Gilde ein. Er kämpfte, wie wir alle, für das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit, setzte sich für verfolgte Journalisten und Literaten ein und initiierte Schulen überall auf der Welt. Als er vor circa zwanzig Jahren BRAXWORLD gründete und anfing, mit den elektronischen Möglichkeiten zu experimentieren, wie es viele in der Zeit gemacht haben, hat er sich mit der Gilde überworfen. Er wollte die Arbeit der Gilde mit Computer und Internet verändern. Datenbanken anlegen, interne Diskussionen veröffentlichen, Texte unserer Schreiber über das Internet verbreiten. Die Gilde wäre nicht mehr geheim gewesen. Das aber schützte ihre Arbeit und ihre Mitglieder vor Übergriffen machthungriger Menschen durch die Jahrhunderte. Braxton wollte die Gilden-Mitglieder verführen, Einfluss und Macht auf die Gesellschaft auszuüben. Der damalige Vorstand der Gilde war klug genug, sich nicht darauf einzulassen. Es kam zu einem fürchterlichen Streit mit dem Ergebnis, dass Charles Braxton aus der Gilde ausgeschlossen wurde.“

      „Hat der deshalb seine Europazentrale in dieses Provinznest gebaut?“, fragte ich.

      „Ja, direkt vor die Nase der Gilde. Damit wir sehen, wie groß und mächtig er wird und was wir alles verpassen, weil wir ihn rausgeschmissen haben“, seufzte Tante Edith und nippte an ihrem Tee.

      „Dann durchforsten wir eben das Internet nach Infos zu diesen Verhandlungen“, schlug ich vor und öffnete den Kühlschrank. „Es gibt doch viele politische Blogs und freie Online-News.“

      „Nein, auf gar keinen Fall!“

      „Tante, die Dinger sind nicht giftig!“, lachte ich.

      „Erstens will ich mich nicht, wie ich schon öfter betonte, in Gegenwart von diesen Geräten über wichtige Dinge unterhalten“, sagte Tante Edith entschieden. „Und zweitens wirst du mit den BRAXWORLD-Geräten, die dir Herr Späth gebracht hat, sicher keinen ungehinderten Zugang zum World Wide Web bekommen. BRAXWORLD hat eine eigene Nachrichtenplattform und was da nicht drinsteht, sollst du nicht erfahren. Deshalb besorge ich mir diese unabhängigen Tageszeitungen. Unabhängig von BRAXWORLD, meine ich damit.“

      Irritiert betrachtete ich den Stapel Zeitungen. „Was würdest du denn machen, wenn du wüsstest, was Braxton vorhat?“, fragte ich.

      „Ach, ich allein würde nicht viel ausrichten können. Aber ich kann mir vorstellen, dass die Gilde Mittel und Wege fände, ihm das eine oder andere Steinchen in den Weg zu legen“, antwortete Tante Edith

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