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eingeschlagenen Weg zu Ende zu gehen. Auch auf diesem Gebiet irrt die Menschheit noch in weitem Maße.

      Wie schon angedeutet, gelingt es nur selten, den wahren Charakter eines Menschen zu erkennen und nach Wegfall der Schranken, die das Milieu oft dem jungen Menschen setzt, findet man oft erst das wahre Gesicht. Dann aber meint man aus Furcht vor dem bösen Urteil der Mitmenschen oder weil einfach der Mut und die Kraft fehlen, alles auf sich nehmen zu müssen, ohne nur den Gedanken an eine Trennung zu erwägen. So unendlich viele Auffassungen und Überlegungen sind in dieser Hinsicht berechtigt, weil nicht zwei Ehen restlos übereinstimmen.

      Man kann zum Beispiel noch lange nicht die Norm aufstellen, daß eine Ehe, in der die Harmonie der Seelen fehlt, getrennt werden soll. Niemand sollte sich in dieser Frage zum Schiedsrichter machen, aber behilflich sein, den Weg, den ein enttäuschter Mensch einzuschlagen gewillt ist, richtig und nach menschlichem Ermessen gerecht und hilfreich zu ebnen. Das ist Aufgabe der Gemeinschaft. Niemals ist Kritik am Platz, denn sie ist ohne genaue Kenntnis der Verhältnisse geübt und kann niemals die Wahrheit treffen. Darum muß auch hier die Menschenkenntnis nicht nach einem feststehenden Schema betrieben werden sondern mit ganz besonderem Einfühlungsvermögen, abgestellt auf die jeweilige Persönlichkeit.

      Die Mannigfaltigkeit der Charaktere und die durch die unendlichen Gesetze bedingten Unterschiede in der geistigen Reife erfordern so viele verschiedene Betrachtungsweisen als es Menschen gibt. Man kann nicht sagen, ein Mensch erfüllt die Erfordernisse eines Idealbildes, wenn er in Ehe, Freundschaft und Beruf ein angemessenes Gebiet beherrscht. Welches Gebiet ist angemessen? Darauf kann es keine Antwort geben, denn allein die Tatsache, daß zum Beispiel aus einer Ehe soundso viele Kinder kommen und nach Ansicht der Umwelt in der Familie reinste Harmonie herrscht, ist bestimmt noch nicht der richtige Maßstab. Der liegt allein im Geistigen und das zu beurteilen, ist dem materiellen Menschen nur in sehr bescheidenem Maße möglich. Für heute genug.

      6. Einseitige Entwicklung. Beruf und Berufung

      Wir sprachen gestern davon, daß die Menschen nicht imstande sind, wahrhaft Menschenkenntnis zu treiben, wie es wünschenswert wäre. Es muß so lange Stückwerk bleiben und unvollständig, solange man nicht imstande ist, die geistigen Einflüsse aus dem außerirdischen Bereich zu erkennen, zu kontrollieren.

      Trotzdem sind die Anfänge zum Teil gut und haben auch gezeigt, daß mit dem bisher auf diesem Gebiet Erreichten schon manche Schädigungen der Seele behoben werden konnten. Menschenkenntnis schließt ja das schon besprochene Verstehen in sich und Verstehen ist die Grundlage für eine erfolgreiche Hilfe.

      Menschenkenntnis soll nicht nur der Wissenschaft halber betrieben und gepflegt werden, sie soll in jeder Richtung dem Fortschritt, und zwar dem eigenen und dem der Gemeinschaft dienen. Dem eigenen Fortschritt dadurch, daß der Mensch durch Verstehen des Verhaltens seiner Mitmenschen selbst Gelegenheit findet, die Gemeinschaft zu pflegen, hilfsbereit und gut zu sein, was ja die Haupteigenschaft eines guten, fortschrittlichen Geistes sein muß. Die heute gültigen Lehrsätze über Menschenkenntnis gehen, wie bereits gesagt, davon aus, daß in diesem Leben alles das erreicht werden müsse, was zu einem vollkommenen, in der menschlichen Gesellschaft am höchsten geschätzten Menschen gehört.

      Über die Ehe und ihren Sinn haben wir schon einiges gesagt, vor allem aber in diesem Zusammenhang festgestellt, daß es keineswegs erforderlich ist, daß jeder gute, fortschrittliche Geist die Naturgesetze in dieser Hinsicht erfüllt und daß es unbekannt ist, ob nicht schon in einem früheren Leben eine besondere Reife in dieser Beziehung erreicht war, so daß in dem augenblicklichen Leben das Schwergewicht auf einer anderen, den Fortschritt fördernden Betätigung liegt.

      Denn ich wiederhole nochmals: Es ist eine irrige Auffassung, daß der Mensch in diesem einen Leben auf der irdischen Welt alles verkörpern können soll, was möglich und für die Gesellschaft wünschenswert ist. Kein einziger ist dazu imstande.

      Freilich ist in der Individualpsychologie die Erkenntnis in dieser Richtung auch schon gereift und man hat erkannt, daß die Menschen eben einem der drei Erfordernisse gerecht werden oder zweien davon und in welchem Grad. Es ist ein Maßstab für die Einschätzung und die notwendigen Behandlungen und den Unterricht, den jeder eben vermeintlich nötig hat, um dem sogenannten „Idealbild“ näherzukommen. Man ist schon zufrieden, wenn ein Mensch in jeder Sparte mit mittelmäßigem Erfolg abschneidet, aber man verurteilt die Einseitigkeit und das ist unrichtig.

      Wie oft werden Frauen als abnormal veranlagt oder unterentwickelt bezeichnet, weil sie nicht für die Ehe geschaffen und dem Manne gegenüber ohne triebhafte Empfindung und ohne das Bedürfnis danach sind. Sie sind oft im Gegenteil die höherentwickelten und reiferen Geistwesen, weil sie die triebhafte Liebe schon in einem früheren Leben überwunden und ihren Unwert erkannt haben. Ihre Mütterlichkeit muß deshalb nicht verlorengegangen sein, sie hat mit triebhafter Begierde nicht das Geringste zu tun.

      Materielle Schwierigkeiten sind wohl oft die Ursache dafür, daß Menschen es sich versagen wollen, Kinder in die Welt zu setzen. Sie wissen und ahnen nicht, daß die unendlichen Gesetze auch in dieser Hinsicht größte Ordnung geschaffen haben.

      Gegen die Naturgesetze zu verstoßen und Geburten zu unterbinden ist ein Fehler, ja oft ein Verbrechen, wenn es nicht nur in Vorbedacht für das zu gebärende, vielleicht arme, kranke Kind, sondern aus Bequemlichkeit und womöglich aus materiell-finanziellen Gründen und Habgier geschieht. Darüber komme ich noch an anderer Stelle zu schreiben.

      Zwingt also eine Tochter nicht unbedingt zur Heirat, sie ist nicht immer zum Segen der Menschheit geschlossen, und verurteilt nicht gleich ein unbemanntes Mädchen oder einen unbeweibten Mann als abnormal und unnatürlich.

      Und nun zum Beruf. Das ist ein großes und sehr heikles Kapitel. Für mich deshalb, weil ich von hier aus als Beruf nur sehe und anerkennen soll, was zugleich Berufung bedeutet. Im menschlichen Dasein gibt es aber viele Berufe und Betätigungen – möchte ich sagen – die mit Berufung nichts zu tun haben und nur der Erhaltung der Existenz in rein materiellem Sinn dienen. Diesen Unterschied genau zu erkennen, ist sehr wichtig und notwendig zur Beurteilung des menschlichen Charakters, der geistigen Reife und eben der Persönlichkeit schlechthin.

      Daß ein Mensch in seinem von ihm gewählten oder ihm aufgezwungenen Beruf Erfolge erzielt und große Fortschritte macht, ist noch lange nicht der Beweis dafür, daß er seinen Beruf richtig gewählt hat. Wohl glauben die Menschen, dies sei der Fall, wenn sie materielle Güter anhäufen, reich und materiell unabhängig sind. Ich habe meinen Beruf richtig gefunden, denkt jeder, der so in der Lage ist, sorgenfrei durchs Leben zu gehen. Ist er aber alt und nicht mehr imstande, weitere Reichtümer hinzu zu erwerben, dann ist er unbefriedigt, weil sein ganzes Glück nur in der Anhäufung der Güter und des Reichtums bestand, nicht aber – und das ist in den meisten Fällen so – in der richtigen gottgewollten Nutzung. Dann erscheint ihm aller Erfolg seines Lebens klein und unbedeutend und der erkennt, daß das, was er seinen Beruf genannt hat, eine ganz unwichtige, wertlose Betätigung gewesen ist. Dann ist es aber zu spät. Ein Beruf, in dem der Mensch nicht die Möglichkeit hat, zum Wohl der Gemeinschaft zu arbeiten und Leistungen zu vollbringen, ist keine Berufung und daher höchstens als Nebenbeschäftigung im Sinne des geistigen Fortschritts zu bezeichnen.

      Die Berufung ist das schönste Geschenk des Himmels, eine Gnade, der sich jeder in großer Dankbarkeit bewußt sein soll, der sie in sich fühlt. Sie kann, wie ich schon einmal ausgeführt habe, nicht erlernt oder erzwungen werden, sie muß verdient sein durch gute Taten.

      Ich will davon später noch etwas schreiben, jetzt aber noch zum Thema Beruf ergänzen, was ich für wichtig halte. Ein Beruf, der dem menschlichen, oder besser gesagt, geistigen Fortschritt nicht dienen kann, weil er in jeder Hinsicht nur auf Materie abgestellt ist, kann keinen Menschen befriedigen. Es gibt aber nur wenige solche Berufe. Es sind die, die zum Schaden der menschlichen Gesellschaft geschaffen wurden, die nur materiellen Genüssen dienen, ohne Schönheit oder Wohllaut zu vermitteln. Fast alle übrigen Berufe ermöglichen das Gefühl der Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit der Betätigung und, mit der rechten Lebensauffassung erfüllt, geben sie dem Menschen Befriedigung und innere Ruhe.

      Jede Arbeit, die nur der materiellen Vorteile, des Verdienstes

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