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      „Ja, zu einem …“

      „In welche Klasse gehst du denn?“

      Lucas konnte es nicht leiden, wenn man ihn nicht ausreden ließ. „Ich gehe in die Zehnte“, antwortete er annähernd gereizt. Dabei war Lucas im Grunde genommen eine Frohnatur. Immer freundlich zu seinem Gegenüber, hilfsbereit und gutherzig – trotz der Erfahrungen, die er hatte machen müssen.

      „Ach, sieh einer an.“

      „Was denn?“

      „Und zu wem sollst du?“ Der Lehrer verschränkte die Arme vor der Brust.

      Lucas blickte auf den Zettel, den man ihm mitgegeben hatte. „Zu einem Herrn Bröller.“

      „Dann kannst du gleich mitkommen.“

      „Wieso?“

      „Weil ich dein Lehrer bin!“, gab er ihm zu verstehen.

      „Oh.“ So viel Glück konnte auch nur er haben.

      „Ja, genau: Oh!“

      „Na, denn. Bin Lucas“, stellte er sich, weiterhin lässig, vor. „Er reichte Herrn Bröller die Hand, doch dieser nahm sie nicht an.

      „Hast du auch einen Nachnamen?“

      „Haben den nicht die meisten Menschen?“, fragte er trocken.

      „Ach, sieh einer an“, meinte Herr Bröller kopfschüttelnd. Den Neuen konnte er jetzt schon nicht ausstehen. „Ein ganz Schlauer.“

      „Travino“, sagte Lucas.

      „Was?“

      „Mein Name“, erwiderte er. „Travino ist mein Name.“

      „Dann komm mal auf der Stelle mit, Lucas Travino.“ Herr Bröller ging voran.

      Im Geiste stellte Lucas sich vor, wie er dieses Großmaul auseinandernehmen würde. Und es gefiel ihm, wie Bröller um sein Leben bettelte.

      „Ist das jetzt wieder in Mode?“, wollte Herr Bröller mit höhnischem Unterton wissen.

      „Was?“

      „Na, das“, meinte er und deutete auf Lucas Schopf.

      „Haare zu haben?“ Lucas wusste, dass den Lehrer diese Antwort innerlich zum Kochen bringen würde, denn Herr Bröller hatte sehr tiefe Geheimratsecken.

      Richtig zusammenreißen musste Herr Bröller sich, um nicht auszuholen und dem Schüler eine Ohrfeige zu geben. Tagtäglich hatte er damit zu kämpfen und es fiel ihm jedes Mal schwerer, nicht auf Jugendliche einzuprügeln.

      Lucas lief hinter dem Lehrer her, an mehreren Klassenzimmern vorbei, ehe es wenige Stufen hinauf in den ersten von zwei Geschossen ging. Das Licht schien entweder kaputt zu sein oder man hatte Strom sparen wollen. „Ziemlich düster hier.“ Dunkelheit war eins der wenigen Dinge, die den sonst so selbstbewussten Jugendlichen nervös machten.

      Herr Bröller reagierte nicht darauf und öffnete die Tür zum Klassenraum. „Such dir einen freien Platz“, sagte er auffordernd.

      Kaum hatte Lucas den Raum betreten, waren alle Augen auf ihn gerichtet. Mädchen begannen zu tuscheln, Jungs zu kichern.

      „Wir haben einen Neuen!“, verkündete Herr Bröller, während er die Tür hinter sich schloss und dann nach vorn zum Pult ging.

      „Der ist doch schwul“, hörte Lucas ein Mädchen flüstern. Solche Bemerkungen hatte er gekonnt zu ignorieren gelernt. Zu seinem Glück war gleich der erste Tisch vor ihm unbesetzt – und das direkt an der Tür. Perfekt!, dachte er und nahm Platz. Dass er ständig von irgendjemandem angeglotzt wurde, bekam er zwar mit, nur interessierte es ihn nicht. Neun Monate, wusste Lucas, und ich habe meinen Abschluss in der Tasche.

      2.3

      Der Schulgong ertönte und läutete die lang ersehnte Pause und damit das Ende der Schulstunde ein. Hastig klaubte Bastian seine Sachen zusammen, war schon zur Tür hinaus, bevor irgendwer noch irgendetwas zu ihm sagen konnte. Mit einem kaum hörbaren Seufzer der Erleichterung stieß er die Luft aus. Endlich hatte er fünfundzwanzig Minuten für sich allein. Er drängte sich durch die Menge, während er Bücher in seinen Rucksack steckte, als ihm plötzlich ein Typ die Tasche aus der Hand schlug und lachend davonrannte. Verstimmt ging Bastian in die Hocke, um die herausgefallenen Sachen aufzuheben. Rücksicht schien keiner auf ihn nehmen zu wollen. Andauernd wurde er angerempelt. Manche besaßen sogar die Frechheit, voller Absicht auf sein Hab und Gut zu treten.

      „Warte“, sagte unerwartet eine freundlich klingende Stimme zu ihm, „ich helfe dir.“ Verwundert blickte Bastian auf und schaute in ein leicht markantes Gesicht, das ihn auf der Stelle in seinen Bann zog. Die blauen Augen, die wie wunderschöne Juwelen funkelten, hatten es ihm unverzüglich angetan.

      „Pass doch auf, du Pisser!“, regte Lucas sich über einen Schüler auf, als dieser ihm fast auf die Hand getreten wäre. Als Lucas alles beisammen hatte, überreichte er dem Jungen die Sachen mit einem Lächeln. „Hier.“

      So viel Gutherzigkeit war Bastian absolut nicht gewohnt. Mann, ist der vielleicht süß! Seine Miene hellte sich schlagartig auf. „Danke dir“, flüsterte er, nahm seine Sachen schamhaft entgegen und erhob sich.

      Irgendwie fand Lucas den Typen knuffig – so wie einen Teddybär, den man die ganze Zeit über knuddeln wollte. „Lucas.“ Er reichte dem Jungen mit den weichen Gesichtszügen die Hand.

      Wie in Trance sah Bastian einen Moment auf die Hand, die ihm gereicht wurde. Ihm gefiel es, dass keiner von Lucas‘ Nägeln von der Lunula befallen war. Die meisten Menschen hatten nämlich diese weißen Halbmonde auf den Nägeln, und das fand er ziemlich unattraktiv. Er selbst besaß ebenfalls keine, was aber in der Familie lag. Niemand hatte sie, weder Mutter noch Großvater oder sonst wer.

      Nachdenklich spitzte Lucas die Lippen. Warum nahm der Putzige seine Hand nicht an? „Ähm, ist nur eine Hand – beißt nicht.“

      „Häh?“ Bastian schaute ihm ins Antlitz und spürte prompt eine unglaubliche Wärme in seinem Gesicht. Bekam er etwa Fieber?

      „Was is‘n mit dir los?“, fragte Lucas und zog seine Hand zurück.

      „Nichts“, schwindelte Bastian mit gesenktem Blick.

      „War ja nicht gerade sehr freundlich von dem Pisser.“

      „Häh?“ Bastian fühlte sich regelrecht benebelt. „Pisser?“

      „Der Schüler.“

      „Oh, ja“, bestätigte Bastian kaum vernehmbar.

      „Ist wirklich alles in Ordnung?“

      Die frische und liebevoll jugendliche Stimme, die sehr besorgt klang, ging Bastian geradewegs unter die Haut. „Häh?“

      „Du scheinst ein wenig …“, er verstummte kurz und fuhr dann mit Bedacht fort. „Sag, kann es sein, dass du irgendwelche Medikamente nimmst? Du wirkst gerade ein wenig benommen.“

      Bastian dachte sich verhört zu haben und riss sich schleunigst zusammen, um nicht als vollständiger Vollidiot dazustehen. Den verrückten Gedanken, in dem Attraktiven eventuell einen Freund oder gar den Mann seiner Träume gefunden zu haben, wischte er mit einem falschen Lächeln beiseite. Ein gut aussehender Typ, der dazu auch noch nett war, konnte nämlich niemals schwul sein. Das wäre gegen alle Regeln gewesen, war sich Bastian sicher. „Alles ist in bester Ordnung“, log er und verabschiedete sich hastig mit einem Nicken.

      Stirnrunzelnd blickte Lucas ihm nach. Sollte er ihm folgen oder ihn in Ruhe lassen?

      Bastian hastete regelrecht vom Schulhof, damit ihm kein Lehrer den Weg würde versperren können. Mehrfach war dies in der Vergangenheit schon geschehen. Eine Standpauke hatte man ihm gehalten, dass die Schule bei

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