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imstande war, ihn zu begeistern, einmal mehr mit einer Bestrafung geendet hatte, sondern sollte wohl eine Kostprobe jener durch Dreistigkeit erreichten Vielfalt der Ausdrucksweise abgeben.

      Wandas Miene hingegen war für mich unleserlich geworden. Mit Blicken versuchte ich in Erfahrung zu bringen, ob sie mir etwas mitzuteilen habe, das nicht für die Kinder und eventuell auch nicht für die verwirrte Frau bestimmt sei. Wanda jedoch antwortete so, dass alle es hören konnten.

      »Ich kenne zu diesem Bild eine ganz andere Geschichte. Meiner Version zufolge sollte der Turm in den Himmel reichen, um einem, dem einen Gott die Möglichkeit zu geben, auf die Erde herunterzusteigen.«

      Davon hatte ich noch nie etwas gehört. Wandas Besserwisserei hatte meine Geduld allerdings zuvor schon auf eine harte Probe gestellt.

      »Dann setzte es die Strafe wohl dafür, überhaupt einen Gott auf diese Art und Weise zu verehren.«

      Wanda senkte ihren Blick, als hätte sie sich zwar damit abgefunden, aus Gründen der Ablenkung vor den Kindern über derartige Belange mit mir zu sprechen, lehne es jedoch ab, über einen damit verbundenen Inhalt zu debattieren.

      »Im Vordergrund sucht der König die einzelnen Steine aus.«

      Wie ein erfahrener Moderator hatte Emily begriffen, dass dies der richtige Zeitpunkt für eine Neuausrichtung der Thematik war. Ihre Worte bezogen sich auf eine eindeutig als Herrscher zu identifizierende Figur, vor der Arbeiter, die offenbar damit beschäftigt waren, Steinblöcke für den Bau vorzubereiten, auf die Knie gefallen waren.

      »Oder das ist Gott, der ihnen erklärt, dass sie damit aufhören sollen.«

      Tessa wurde von Emily immer noch an der Hand gehalten, weshalb sie sich möglicherweise aufgefordert fühlte, ihrem Vorschlag einen eigenen hinzuzufügen.

      Wanda hatte sich indes dem Durchgang zum benachbarten Schausaal zugewandt, durch den soeben drei Personen, ein Mann, eine Frau und ein Kind – das Kind etwa acht oder neun Jahre alt – den Raum mit dem Turmbau zu Babel betreten hatten. Von einer Besorgnis aufgrund der kolportierten Unregelmäßigkeiten, der sogenannten technischen Probleme, war den dreien nicht das Geringste anzumerken. Ehrfurchtsvoll schritten sie, spärlich gefüllte Rucksäcke auf ihren Rücken, durch den Saal voll hochkarätiger Gemälde, wie demütige Studienanfänger über den steinernen Boden der gigantischen Kathedrale abendländischer Bildung tapsen. Wie die Figuren auf dem Turmbau zu Babel, fiel mir ein, und ich wünschte mir, einen Moment lang ein Kind zu sein, dem niemand eine solche Bemerkung übel nehmen würde.

      Vielleicht wussten die drei bereits mehr als wir und verhielten sich, solange noch nichts über eine konkrete Bedrohung bekannt gegeben wurde, einfach nur so, wie man es von ihnen erwartete.

      Als Konrad und Iggy mich aufforderten, sie gedanklich in das links von dem Turm detailreich dargestellte Städtchen sowie in die Hafenanlage rechts, in der man Schiffe an- und ablegen sehen konnte, zu begleiten, wurde mir neuerlich bewusst, dass vorläufig kein Mensch aus dem Bereich des Gebäudes, in dem wir uns befanden, herauskommen konnte. Bisher war zwar noch niemand mit Gewalt daran gehindert worden, aber das lag nur daran, dass sich in unserer Gegenwart noch keiner über diese Anweisung hinweggesetzt hatte. Ob die dreiköpfige Familie froh darüber war, sich unter diesen Umständen der Malerei widmen zu können, ohne von jemandem dabei gestört zu werden? Wanda hatte sich ihnen inzwischen wie zufällig genähert, sich dabei jedoch so ungeschickt angestellt, dass selbst mir das nicht entgangen war, obwohl ich mich in Konrads Gesellschaft in einer mittelalterlichen Stadt herumtrieb und gleichzeitig mit Iggy in See stach. Die beiden Buben wollten einfach nur weg, von dem Turm, aus dem Museum, ob nun durch enges Gassengewirr oder zu Wasser. Vielleicht ahnte ihr kindlicher Instinkt inzwischen, dass eine Bedrohung aufgetaucht war, angesichts der selbst wir Erwachsene nicht weiterwussten. Aus diesem Grund liefen sie vorerst auch nicht einfach in den nächsten Saal voraus, sondern probierten es mit einem Schritt in die vor ihnen ausgebreitete Bildlandschaft, die erkennen ließ, dass sie sich seit sehr langer Zeit nicht verändert hatte. Einzig Iggy traute ich zu, die Zwangslage, in der wir uns befanden, in Hinblick auf ihr Potenzial als Abenteuer zu betrachten, ähnlich wie ich das ungerechtfertigterweise dem Pärchen mit ihrem Kind angedichtet hatte.

      Als Wanda ein paar Worte an die beiden Erwachsenen richtete, lächelten diese nur, nickten mit den Köpfen – synchron wie zwei Besucher eines Rockkonzerts – und deuteten auf das Schildchen, auf dem ein paar Informationen zu Pieter Bruegels Bild, dem Turmbau zu Babel, vermerkt waren. Offenbar konnten sie kein Wort von dem, was Wanda zu ihnen gesagt hatte, verstehen. Gäste aus einem anderen Land, die wohl auch dem Gemurmel des Aufsehers keine besondere Bedeutung beigemessen hatten. Touristen, die, seit sie heute Morgen von ihrer Pension aufgebrochen waren, noch keinen Grund gesehen hatten, sich in dem, was für diesen Tag auf ihrem Programm stand, beeinträchtigen zu lassen. In ihrer Herberge befand sich wahrscheinlich auch der restliche Inhalt ihrer Rucksäcke.

      Wanda nahm, ihre Lippen zum Zeichen des Wohlwollens trotz allem aufeinandergepresst, von einem erneuten Versuch Abstand, und während Iggy den Plan schmiedete, fortan auf einem der Schiffe, das er auf den Namen Blabla taufen wollte, von der Piraterie zu leben, fragte ich mich, ob es nicht unsere Pflicht sei, die drei ahnungslosen Touristen über allfällige Sprachbarrieren hinweg auf den neuesten Stand zu bringen. Oder würden wir in diesem Fall etwa so auf sie wirken wie die verwirrte Frau kurz zuvor auf uns? Mein eben erst aufgeflammter Groll auf Wanda, weil diese beim leisesten Anzeichen von Schwierigkeiten, ein gegenseitiges Verstehen betreffend, unverzüglich zurückgewichen war wie eine Katze vor dem geringsten Luftzug, erlosch gleich wieder bei dem Gedanken, wir würden die ganz der Malerei hingegebenen Reisenden wohl nur unnötig aufschrecken. Vielleicht waren sie, unseren beiden Buben vergleichbar, in gemalten Versionen der Welt vorläufig ohnedies besser aufgehoben, und ihr Hinweis auf die Informationen zu dem Bild sollte uns auffordern, sie in die Malerei zu begleiten, wo wir alle uns, ungeachtet unserer jeweiligen Mundart, untereinander verständigen könnten.

      Andächtig traten die Touristen vor den Turmbau, vor dem auch die kurz zuvor noch reichlich verwirrte Frau stand. Während der letzten in unserer Gesellschaft verbrachten Minuten schien sie sich einigermaßen beruhigt zu haben. Anstatt uns von ihr aufscheuchen zu lassen, war es uns offenbar gelungen, sie einigermaßen zur Räson zu bringen. Beinahe gelassen wandte sie sich jetzt dem Familienvater zu und nannte ihn einen Märtyrer. Zumindest sprach sie dieses Wort aus und starrte den Mann, bei dem sie damit ein interessiertes Stirnrunzeln auslöste, an, vielleicht ja, weil Wanda und ich uns ihren vorangegangenen Warnungen gegenüber nicht im gewünschten Maße empfänglich gezeigt hatten. Das Wort Märtyrer hatte also nicht unbedingt etwas von einer Anschuldigung, eher von einem Hinweis darauf, wer sich ihrer Meinung nach hinter den technischen Problemen verstecke.

      Bei Wanda und mir läuteten einmal mehr die Alarmglocken. Ich blickte zu Wanda hinüber, die entsetzt die drei Rucksäcke fixierte. Daran hatte ich, zu sehr damit beschäftigt, mich über die neuerliche Panikmache zu echauffieren, überhaupt noch nicht gedacht. Als Wandas Blick schließlich den meinen traf, meinte ich, ihr ansehen zu können, dass sie in einer Situation, wie diese eine zu werden versprach, zwar lieber mit jemandes anderen Blick kommuniziert hätte, mangels einer Alternative allerdings entschlossen war, mit dem meinen vorlieb zu nehmen. Ihre Courage bestärkte mich, obgleich mir mein Gefühl eher riet, die harmlosen Touristen von der verwirrten Frau, für die ich mich offenbar bereits verantwortlich fühlte, abzuschirmen. Wanda und ich würden, so viel stand fest, an ein und demselben Strang ziehen, unklar war bloß noch, welcher das sein sollte.

      Emily, Tessa und Konrad war nicht entgangen, dass die Frau etwas zu dem Mann gesagt hatte. Erwartungsvoll blickten sie den Familienvater an. Nur Iggy hatte sich vollständig in das Gemälde vertieft. Er war bestrebt herauszufinden, ob mehr von dem Gewässer, auf dem er seine Laufbahn als Pirat beginnen wollte, zu sehen sein würde, sofern es ihm gelänge, in die Leinwand hinein und im Bildraum ums Eck zu schauen.

      Da ich nun mal nicht über die Autorität verfügte, der verwirrten Frau den Mund zu verbieten – schließlich unterstand sie noch nicht einmal vorübergehend meiner Aufsicht –, nahm ich mir im Auftrag einer Beschwichtigung der allgemeinen Situation vor, den drei Touristen mit einer die Verwirrte nicht unbedingt herabwürdigenden, wohl aber über sämtliche Sprachen hinweg unmissverständlichen

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