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Die Lilie im Tal. Оноре де Бальзак
Читать онлайн.Название Die Lilie im Tal
Год выпуска 0
isbn 9783955013370
Автор произведения Оноре де Бальзак
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Dies ist die unvollkommene Skizze, die ich Ihnen versprach. Aber das stete Walten ihrer Güte unter den Ihrigen, diese wohltätige Ausstrahlung von Licht, so warm wie Sonnenglanz, ihr innerstes Wesen, ihr Verhalten in den glücklichen Stunden, ihre Resignation in den umwölkten: alle diese Wirbel des Lebens, wo der Charakter sich entfaltet, hängen wie Himmelserscheinungen von unerwarteten und flüchtigen Umständen ab, die nur in ihrer letzten Ursache wesensverwandt sind und deren Darstellung naturgemäß mit den Geschehnissen dieser Geschichte verflochten sein wird. Ein wahres Familiendrama, diese Geschichte – in den Augen des Weisen ebenso bedeutungsvoll, wie ein Trauerspiel es für die Menge ist –, deren Verlauf Sie fesseln wird durch den Anteil, den ich daran genommen habe, dann auch durch ihre Verwandtschaft mit so vielen Frauenschicksalen.
Alles in Clochegourde trug den Stempel wahrhaft engländischer Sauberkeit. Das Zimmer, in dem die Comtesse sich aufhielt, war ganz mit Holz getäfelt und in zwei grauen Farbtönen gehalten. Den Kamin zierte eine Standuhr mit Mahagonigestell, das von einer Schale und zwei weißen goldgeäderten Porzellanvasen überragt war, in denen Heidekraut stak. Auf dem Sims stand eine Lampe, vor dem Kamin war ein Spieltisch. Zwei breite Baumwollstreifen rafften die weißen, unbefransten Leinenvorhänge der Fenster zusammen. Graue Möbelschoner mit grüner Tresse verhüllten die Sitze, und die Stickerei, die auf den Rahmen der Comtesse gespannt war, erklärte zur Genüge, weshalb ihre Möbel verdeckt waren. Diese Einfachheit grenzte an Größe. Von den Wohnungen, die ich später sah, hat keine in mir so fruchtbare, so reiche Empfindungen ausgelöst, wie sie mich in Clochegourde überwältigten, in dem Heim, das friedlich und andachtsvoll wie das Leben der Comtesse war und wo alles die klösterliche Regelmäßigkeit ihres Lebens spiegelte. Die meisten meiner Ideen, selbst die kühnsten, die ich mir über die Wissenschaft und die Politik bildete, haben dort ihre Heimat, sie gehören dorthin wie der Duft zu den Blumen. Dort gedieh die unbekannte Pflanze, die ihren befruchtenden Staub in meine Seele streute, dort strahlte die Sonne, die meine guten Eigenschaften reifte und die schlechten ausdörrte ... Vom Fenster aus umfasste der Blick das ganze Tal, vom Hügel, den Pont-de-Ruan krönt, bis zum Schloss Azay, er konnte der Wellenlinie des gegenüberliegenden Höhenzuges mit den Türmen von Frapesle folgen, weiterhin kamen die, Kirche, der Flecken und Saché, das alte Schloss, dessen schwere Massen die Wiesen überragen. Diese Landschaft erfüllte das Herz mit ihrem Frieden. Sie war ruhig wie das Leben in diesem Hause und kannte keine andern Erregungen als die des Familienlebens. Wäre ich ihr dort zum erstenmal begegnet, dort beim Comte de Mortsauf und ihren beiden Kindern, statt sie in ihrem herrlichen Ballkleid zu sehen, so hätte ich ihr wahrscheinlich den trunkenen Kuss nicht geraubt, der mir jetzt Gewissensbisse verursachte, weil er mir jede Aussicht auf Erwiderung meiner Liebe zu nehmen schien. Nein, in den trüben Stimmungen, in die mich mein Unglück stürzte, wäre ich vor ihr niedergekniet, hätte ihren Schuh geküsst, hätte ihn mit meinen Tränen benetzt und wäre dann gegangen, mich in die Indre zu stürzen. Aber seit meine Lippen ihre wie Jasmin so frische Haut berührt und die Milch aus dieser Liebesschale geschlürft hatten, war ich von Sehnsucht und der Hoffnung auf menschliche Wollust besessen, ich wollte leben und die Stunde des Genusses erwarten, wie der Wilde lauernd auf die Stunde der Rache harrt. Ich wollte mich im Geäst der Bäume verkriechen, durch die Weinberge schleichen, mich in die Indre betten. Ich wollte mich mit der Stille der Nacht, dem Lebensüberdruss, der Sonnenglut verschwören, um die wonnige Frucht zu Ende zu genießen, in die ich einmal gebissen hatte. Hätte sie von mir die singende Wunderblume, die vergrabenen Schätze ›Morgans, des Vernichters‹ gefordert, ich hätte sie ihr gebracht, um in den Besitz der sichern Schätze und der stummen Blüte zu gelangen, nach denen ich mich verzehrte. Als der Traum verflog, in dem ich beim staunenden Anblick meines Idols schwebte, und währenddessen ein Diener im Zimmer gewesen war und mit ihr gesprochen hatte, hörte ich plötzlich, wie sie etwas vom Comte sagte. Jetzt erst kam mir der Gedanke, dass eine Frau ihrem Manne gehört. Dieser Gedanke machte mich schwindlig. Dann fasste mich eine wütende und finstere Neugierde, den zu sehen, dem dieser Schatz gehörte. Zwei Gefühle beherrschten mich: Hass und Angst; ein Hass, der keinen bestimmten Widerstand erkannte, aber alle Hindernisse erwog, ohne vor ihnen zurückzuschrecken; eine unbestimmte, aber wesenhafte Angst vor dem Kampf, vor seinem Ausgang, vor ihr besonders. Ich war ein Raub der schlimmsten Ahnungen. Mir graute vor jenem Händedrücken, das entehrt. Ich sah im voraus die kaum greifbaren Schwierigkeiten, gegen die sich die stärksten Energien stoßen und die die stärksten Energien abstumpfen. Ich fürchtete die Macht der Trägheit, denn sie betäubt das heutige soziale Leben der Katastrophen, die leidenschaftliche Seelen herbeiwünschen.
»Da kommt Monsieur de Mortsauf«, sagte sie.
Ich richtete mich auf wie ein erschrockenes Pferd. Diese Bewegung entging zwar weder Monsieur de Chessel noch der Comtesse, aber ich zog mir trotzdem keinen stummen Verweis zu, denn die Aufmerksamkeit wurde von mir abgelenkt durch ein kleines Mädchen, das ich für sechsjährig hielt und das eintrat und rief: »Vater kommt!« – »Nun, Madeleine?« sagte die Mutter.
Und das Kind reichte Monsieur de Chessel die Hand und sah mich sehr aufmerksam an, nachdem es mir einen kurzen, erstaunten Gruß zugenickt hatte.
»Sind Sie mit ihrer Gesundheit zufrieden?« fragte Monsieur de Chessel die Comtesse. »Es geht ihr besser«, antwortete sie, indem sie liebkosend mit der Hand über das Haar der Kleinen strich, die sich in ihren Schoß geschmiegt hatte. Aus einer Frage Monsieur de Chessels ging hervor, dass Madeleine neun Jahre alt war. Ich sagte, dass ich erstaunt sei, aber meine Verwunderung verdüsterte die Stirn der Mutter. Mein Begleiter warf mir einen jener vielsagenden Blicke zu, durch die Leute von Welt uns eine zweite Erziehung angedeihen lassen. Hier lag offenbar der wunde Punkt im Herzen der Mutter, an den man nicht rühren durfte. Schwächlich, wie sie war, mit ihren verwaschenen Augen, mit ihrer Haut, so blass wie Porzellan, durch das Licht schimmert, hätte Madeleine in der Luft der Großstadt überhaupt nicht leben können. Die Landluft, die Pflege ihrer Mutter, die sie wie mit Fittichen zu beschützen schien, erhielten das Leben in ihrem Körperchen, das so zart war wie eine Pflanze, die trotz der Unbilden eines rauhen Klimas im Treibhaus groß geworden ist. Obwohl sie in nichts ihrer Mutter glich, schien Madeleine doch ihre Seele zu haben, und diese Seele hielt sie aufrecht. Ihr spärliches schwarzes Haar, ihre tiefliegenden Augen, ihre hohlen Wangen, ihre dünnen Ärmchen, die schmale Brust – alles wies auf einen Kampf zwischen Leben und Tod, ein endloses Ringen, in dem die Comtesse bisher siegreich geblieben war. Die Kleine zwang sich, lebhaft zu sein, wahrscheinlich um der Mutter keinen Kummer zu machen; denn sobald sie nicht auf sich achtete, glich sie einer Trauerweide. Man hätte sie für ein hungerleidendes Zigeunermädchen halten können, das sich aus seiner Heimat hierher durchgebettelt hatte, das erschöpft, aber mutig für sein Publikum geputzt war.
»Wo hast du Jacques gelassen?« fragte die Mutter sie und drückte ihr einen Kuss auf den weißen Scheitel, der ihr Haar – Rabenflügeln ähnlich – in zwei Hälften teilte. »Er kommt mit Vater.«
Da trat der Comte ein. Er hielt seinen Sohn an der Hand. Jacques, das wahre Ebenbild seiner Schwester, war ebenso schwächlich wie sie. Wer diese beiden überzarten Kinder neben einer so strahlend schönen Mutter sah, musste die Quellen des Kummers ahnen, der die Stirn der Comtesse umflorte und der sie Gedanken verschweigen hieß, die nur Gott zum Vertrauten haben, die aber furchtbar auf ihrer Stirn lasteten. Bei der Begrüßung warf mir Monsieur de Mortsauf einen nicht gerade forschenden, aber ungeschickt befangenen Blick zu, wie das den meisten Leuten eigentümlich ist, deren Misstrauen von einem Mangel an Menschenkenntnis herrührt. Nachdem sie ihm das Nötige mitgeteilt und ihm meinen Namen genannt hatte, trat die Comtesse ihrem Manne den Platz ab und ging hinaus. Die Kinder, deren Blicke fortwährend an den Augen der Mutter