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goldene Lilie, darunter die Devise: »Gott schütze den König, unsern Herrn!« Der Comte hat sich nach der Rückkehr der Emigranten aus der Verbannung hier niedergelassen. Dies Besitztum gehört seiner Frau, einer geborenen von Lenoncourt, aus dem Geschlecht der Lenoncourt-Givry, das am Erlöschen ist. Madame de Mortsauf ist das einzige Kind. Die bescheidenen Vermögensverhältnisse dieser Familie stehen in so seltsamem Widerspruch mit dem Ruhm ihrer Namen, dass sie, aus Stolz oder vielleicht der Not gehorchend, Clochegourde nicht verlässt und niemand empfängt. Bisher konnte ihre Anhänglichkeit an die Bourbonen ihre Vereinsamung rechtfertigen; aber ich glaube nicht, dass die Rückkehr des Königs ihre Lebensweise irgendwie ändern wird. Als ich mich im vorigen Jahre hier niederließ, machte ich ihnen einen Anstandsbesuch; sie haben meinen Besuch erwidert und mich zu Tisch geladen. Der Winter hat uns mehrere Monate getrennt. Dann haben politische Ereignisse meine Rückkehr verzögert; ich bin erst seit kurzem wieder in Frapesle. Aber Madame de Mortsauf ist eine Frau, die überall den ersten Platz einnehmen könnte.« – »Kommt sie oft nach Tours?« – »Niemals! Das heißt: ja doch«, verbesserte er sich; »neulich war sie dort, bei der Durchreise des Duc d'Angoulême, der gegen Monsieur de Mortsauf sehr freundlich gewesen ist.« – »Sie ist's!« rief ich aus. »Wer: sie?« – »Eine Frau mit wunderbaren Schultern.« – »Sie werden in der Touraine viele Frauen mit schönen Schultern treffen«, sagte er lachend; »aber wenn Sie nicht müde sind, wollen wir über den Fluss hinüber nach Clochegourde gehen, dort können Sie versuchen, die bewussten Schultern wiederzuerkennen.«

      Ich nahm den Vorschlag, vor Freude und Scham errötend, an. Gegen vier Uhr erreichten wir das kleine Schloss, das meine Blicke schon so lange liebkost hatten. Das Gebäude, das sich in der Landschaft so stolz ausnimmt, ist in Wirklichkeit recht bescheiden. Es hat fünf Fenster Front. Die beiden Eckfenster der Südfassade schieben sich um drei bis vier Ellen vor, und diese kunstvoll gebauten Erker erwecken die Vorstellung von Seitenflügeln und verleihen dem Ganzen einen besonderen Reiz. Das Mittelfenster dient als Tür, und durch die Glastür gelangt man über eine Doppelterrasse in die Gärten, die sich, sanft absteigend, bis zu einer schmalen Wiese längs der Indre hinziehen. Obwohl ein Gemeinweg diese Wiese von der untern, mit schattigen Akazien und japanischen Firnisbäumen bepflanzten Terrasse trennt, scheint sie von weitem doch zu den Gärten zu gehören; denn der Weg ist ein Hohlweg, den auf der einen Seite die Terrasse überragt und der auf der andern von einer lebenden Hecke eingesäumt ist. Durch die sanften Abhänge ist so viel Zwischenraum zwischen Haus und Fluss geschaffen, dass alle Unannehmlichkeiten allzu nahen Wassers beseitigt sind, die Vorzüge einer solchen Lage aber gewahrt bleiben. Im Erdgeschoss befinden sich Remisen, Ställe, Schuppen, Küchen mit rundbogigen Fensteröffnungen. Die Dächer sind an den Winkeln zierlich geschweift, von Mansarden mit geschnitztem Fachwerk belebt; bleierne Akroterien schmücken die Giebel. Das Dachwerk, das wahrscheinlich während der Revolution gelitten hat, ist mit rötlichbraunem Moos wie mit einer Rostkruste überwachsen. Über der großen Glastür der Terrasse ragt ein Türmchen; und hier findet sich das steingehauene Wappen der Blamont-Chauvry: vier Felder in Rot, in der Mittelsenkrechten das Pfahlfeld, rechts und links offene Handflächen in Gold und Inkarnat, die zwei sich kreuzende schwarze Speere halten. Darunter die Devise ›Seht's alle, keiner rühre dran!‹, machte auf mich tiefen Eindruck.... Das Wappen ruhte auf einem Greif und einem Drachen, die an goldener Kette lagen und hübsch gemeißelt waren. Die Revolution hatte die gräfliche Krone und die aus einer grünen Palme und goldenen Früchten bestehende Krönung beschädigt. Der Sekretär des Wohlfahrtsausschusses, Senart, war vor 1781 Dorfrichter von Sache gewesen. Das erklärt alles.

      Die ganze Anlage trägt dazu bei, dem Schloss ein vornehmes Gepräge zu geben. Es ist kunstvoll gearbeitet wie eine Blüte, die nicht viel Schwerkraft hat. Vom Tal aus gesehen, scheint das Erdgeschoss der erste Stock zu sein, aber nach dem Hofe zu liegt es zu ebener Erde, und hier führt eine breite sandbestreute Allee vorbei, die auf einen mit Blumenbeeten geschmückten Rasenplan mündet. Rechts und links senken sich Weinberge, Obstgärten und einige mit Nussbäumen bepflanzte Streifen Ackerlandes steil zum Tal, umrahmen das Haus mit ihrem Grün und erreichen das Ufer der Indre, das an dieser Stelle von Baumgruppen geschmückt ist; ihre grünen Farbtöne sind kunstvoll abgestuft. Auf dem Wege, der an Clochegourde vorbeiführt, bewunderte ich die wohlverteilten Laubmassen, ich atmete eine glückgesättigte Luft.... Hat denn die psychische Natur wie die physische ihre elektrischen Strömungen und ihre raschen Temperaturwechsel? Mein Herz schlug höher beim Nahen der geheimnisvollen Ereignisse, die es auf alle Zeiten hinaus umgestalten sollten, wie Tiere fröhlich werden, wenn sie schönes Wetter ahnen. Dieser für mein Leben so bedeutungsvolle Tag entbehrte keiner der Einzelheiten, die ihn zu einem Festtag machen konnten. Die Natur hatte sich geschmückt wie eine Frau, die ihrem Geliebten entgegengeht; meine Seele hatte zum ersten Mal ihre Stimme gehört; meine Augen hatten sie zum ersten Mal bewundert, so fruchtbar, so wechselreich, wie sie meine Phantasie in meinen Knabenträumen erschaut hatte, Knabenträume, deren Einfluss ich Ihnen mit unbeholfenen Worten zu schildern versucht habe. Denn sie waren wie eine Apokalypse, die mein Leben in Gleichnissen festlegte: jedes glückliche oder unglückliche Ereignis knüpft sich an seltsame Bilder aus meiner Kinderzeit mit unsichtbaren Banden, die nur dem innern Auge erkennbar sind. – Wir durchschritten zunächst einen Hof, der von Wirtschaftsgebäuden, einer Scheune, einer Kelter, von Kuh- und Pferdeställen eingefasst war. Hundegekläff kündete uns an. Der Diener, der uns entgegenkam, teilte uns, mit, dass der Comte schon am Morgen nach Azay aufgebrochen sei, aber wahrscheinlich bald zurückkehren werde, dass aber die Comtesse zu Hause sei. Mein Begleiter sah mich an. Ich fürchtete dass er Madame de Mortsauf in Abwesenheit ihres Gemahls nicht aufsuchen wolle; aber er bat den Diener, uns anzumelden. Von kindlicher, unbezähmbarer Ungeduld getrieben, stürzte ich in den langgestreckten Flur.

      »Treten Sie bitte näher, Messieurs!« sagte eine Stimme, die wie Gold klang.

      Obwohl Madame de Mortsauf auf dem Ball nur ein einziges Wort gesprochen hatte, erkannte ich ihre Stimme; sie durchdrang mich und erfüllte mich ganz, wie der Sonnenstrahl die Kerkerzelle des Gefangenen mit goldenem Licht erfüllt. Bei dem Gedanken, dass sie sich meiner Züge erinnern könnte, wäre ich am liebsten geflohen ... Es war zu spät, sie erschien auf der Türschwelle, unsere Blicke begegneten einander. Ich weiß nicht, wer von uns beiden am tiefsten errötete. Sie war zu sehr verwirrt, um auch nur ein Wort hervorbringen zu können. Der Diener schob zwei Sessel heran, und sie setzte sich wieder an ihren Stickrahmen. Sie zog, um einen Vorwand für ihr Schweigen zu haben, die Nadel sehr langsam, zählte einige Stiche, wandte dann ihr mildes, stolzes Haupt Monsieur de Chessel zu und fragte ihn, welchem glücklichen Zufall sie unsern Besuch verdanke. Obwohl sie gespannt war, den wirklichen Grund meines Erscheinens zu erfahren, sah sie keinen von uns beiden an. Ihre Augen hefteten sich beständig auf den Fluss; aber so, wie sie zuhörte, schien es, als könne sie, den Blinden gleich, jede seelische Regung in den Schwingungen der Stimme erkennen. Und es war in der Tat so. Monsieur de Chessel nannte meinen Namen und teilte ihr einiges aus meinem Leben mit: Ich sei vor wenigen Monaten nach Tours gekommen, wohin mich meine Eltern geführt hätten, als der Krieg Paris bedrohte. Sie sähe in mir, dem Kind der Touraine, dem die Touraine noch unbekannt sei, einen jungen Mann, der, von übermäßiger Arbeit angegriffen, nach Frapesle geschickt worden sei, um sich dort zu erholen, und dem er seine Besitzungen gezeigt habe. Ich sei zum ersten Mal hier. Erst am Fuß des Hügels hätte ich ihm mitgeteilt, dass ich die Reise von Tours nach Frapesle zu Fuß gemacht hätte, und aus Angst um meine ohnehin schwächliche Gesundheit sei er auf den Gedanken gekommen, in Clochegourde einzukehren, in der Hoffnung, dass sie mir eine kurze Rast gönnen werde. – Monsieur de Chessel sagte die Wahrheit; aber ein glücklicher Zufall scheint immer gefunden: Madame de Mortsauf blieb misstrauisch. Sie richtete auf mich so kalte und strenge Blicke, dass ich die Lider senkte aus einem unbestimmten Gefühl von Scham, aber auch, um Tränen zu verbergen, die an meinen Wimpern zitterten. Die hoheitsvolle Schlossherrin sah die Schweißperlen an meiner Stirn; vielleicht erriet sie auch meine Tränen, denn sie bot mir alles an, was ich brauchte, mit tröstender Güte, die mir die Sprache wiederschenkte. Ich errötete wie ein junges Mädchen, das man bei einem Fehler ertappt, und antwortete mit greisenhaft unsicherer Stimme. Ich dankte.

      »Das einzige, worum ich bitte«, sagte ich, meine Augen zu ihr erhebend (zum zweiten Mal traf mich ihr Blick, aber nur für eine Sekunde), »das einzige, was ich wünsche, ist, dass ich von hier nicht vertrieben werde. Ich bin von Müdigkeit so gelähmt, dass ich nicht weiterkann.« – »Warum

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