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fuhr sie, zu meinem Begleiter gewandt, fort.

      Ich richtete an meinen Begleiter einen so flehenden Blick, dass er bereit schien, auf ihren Vorschlag einzugehen, der doch, so wie er gefasst war, eine Absage zu fordern schien. Monsieur de Chessel ermöglichte es seine Weltgewandtheit, diese feinen Nuancen zu unterscheiden; aber ich junger Mann ohne Erfahrung glaubte so fest an die Übereinstimmung von Wort und Gedanken bei einer schönen Frau, dass ich höchlich überrascht war, als mir mein Gastgeber abends auf dem Heimweg sagte: »Ich bin geblieben, weil Sie vor Verlangen vergingen. Aber wenn Sie die Sache nicht wieder einrenken, habe ich es vielleicht mit meinem Nachbarn verdorben.«

      Dies ›Wenn Sie die Sache nicht wieder einrenken‹ gab mir viel zu denken. Wenn ich Madame de Mortsauf gefiel, so konnte sie dem nicht gram sein, der mich bei ihr eingeführt hatte. Monsieur de Chessel traute mir also die Fähigkeit zu, ihr Interesse zu erregen; und hieß das nicht soviel wie: mir diese Fähigkeit verleihen? Das bestärkte meine Hoffnung, und ich hatte es gerade jetzt sehr nötig, dass man mir helfe.

      »Das scheint mir schwierig«, antwortete er, »Madame de Chessel erwartet uns.« – »Sie hat Sie alle Tage«, entgegnete die Comtesse, »und dann können wir sie ja auch benachrichtigen. Ist sie allein?« – »Der Abbé de Quélus ist bei ihr.« – »Also gut«, sagte sie, indem sie aufstand, um zu klingeln, »Sie essen bei uns!«

      Diesmal hielt Monsieur de Chessel sie für aufrichtig und warf mir einen beifälligen Blick zu. Sobald ich die Gewissheit hatte, dass ich einen ganzen Abend unter diesem Dache zubringen würde, glaubte ich, eine Ewigkeit vor mir zu haben. Für viele Unglückliche entbehrt das ,Wort »morgen« jeglichen Sinnes, und ich gehörte damals zu denen, die zum Morgen keinerlei Zutrauen haben. Wenn ich einige Stunden für mich hatte, so drängte ich eine Welt von Wonnen in ihnen zusammen ... Madame de Mortsauf schnitt eine Unterhaltung über das Land; über die Ernten, über die Reben an. Ich verstand von alledem gar nichts. Bei einer Gastgeberin zeugt ein derartiges Verhalten von Mangel an Lebensart oder von ihrer Geringschätzung für den, den sie von der Unterhaltung ausschließt. Aber bei der Comtesse war es Verlegenheit. Ich glaubte, dass sie es darauf abgesehen hatte, mich als Kind zu behandeln. Ich beneidete den Vorzug erwachsener Männer, die, wie Monsieur de Chessel, ihre Nachbarin von ernsten Dingen, die mir verborgen waren, unterhalten konnten; ich ärgerte mich, weil alles nur ihm zugute kam; aber wenige Monate später erfuhr ich, wie vielsagend das Schweigen einer Frau ist und wie viele Gedanken sie unter einer oberflächlichen Unterhaltung verbergen kann. Zuerst versuchte ich mir's auf meinem Sessel gemütlich zu machen; dann erkannte ich die Vorzüge meiner Lage und gab mich dem Zauber ihrer Stimme hin. Wie Flötentöne schmelzend sich aneinanderbinden, so wob ein seelenweicher Hauch durch ihre Silben, er brandete sanft ans Ohr und beschwingte den Rhythmus des Blutes. Ihre Art, die Endungen auf i auszusprechen, gemahnte an Vogelgesang; das ch, wie sie es sprach, kam einer Liebkosung gleich; ihre Aussprache des t ließ auf ein tyrannisches Herz schließen. Ohne es zu wissen, verlieh sie den Worten eine höhere Bedeutung und riss die Seele mit sich in eine übersinnliche Welt. Wie oft ließ ich sie eine Diskussion weiterführen, die ich leicht hätte beschließen können! Wie oft ließ ich mich zu Unrecht von ihr tadeln, nur um diese Konzerte menschlicher Sprachlaute zu hören, um von ihren Lippen die Luft zu atmen, auf der ihre Seele sich wiegte, um das lichtgewordene Wort zu fassen mit derselben Inbrunst, mit der ich die Comtesse selbst ans Herz gedrückt hätte! Welch fröhliches Schwalbengezwitscher, wenn sie lachte! Aber wie glich ihre Stimme der des Schwans, der seine Gefährten ruft, wenn sie von ihrem Kummer sprach. Die geringe Beachtung, die ich erfuhr, ermöglichte es mir, die Comtesse genauer zu beobachten. Mein Blick labte sich, wenn er an der schönen Sprecherin herabglitt; er umfasste ihre Taille, küsste ihr die Füße und spielte in ihren Locken. Zugleich war ich das Opfer einer Herzensangst, die jeder verstehen wird, der in seinem Leben die unbegrenzten Wonnen einer aufrichtigen Leidenschaft gekannt hat. Ich fürchtete, sie möchte mich dabei ertappen, wie mein Blick sich an ihre Schultern heftete, wo ich sie so heiß geküsst hatte. Diese Befürchtung verdoppelte noch die Macht der Versuchung, ich erlag ihr, ich sah nichts anderes mehr. Mein Blick zerriss den Stoff, ich fand das Mal, das den Anfang der Nackenfurche bezeichnet, eine Fliege in lauter Milch. Dies Mal brannte seit dem Ballabend immer vor meinen Blicken, in jenem Dunkel, in dem der Schlaf der jungen Leute wie Wasser rinnt, deren Phantasie heiß und deren Leben keusch ist.

      Ich kann wohl die Hauptzüge andeuten, die überall bewundernde Aufmerksamkeit auf die Comtesse gelenkt hätten, aber die genaueste Zeichnung, die wärmsten Farben wären ihrer Schönheit nicht gerecht geworden. Um ein durchaus ähnliches Bild von ihr zu schaffen, hätte es des unmöglichen Künstlers bedurft, dessen Hand den Widerschein innerer Glut und jenen schwebenden Glanz zu malen wüsste, den die Kunst nicht kennt, den Worte nicht aussprechen können, den nur das Auge des Liebenden sieht. Ihr feines aschblondes Haar verursachte ihr oft Schmerzen, die wahrscheinlich von einem plötzlichen Blutandrang zum Kopfe herrührten. Die wohlgeformte Stirn war gewölbt wie die der Mona Lisa und schien Welten unausgesprochener Gedanken und verhaltener Gefühle zu verbergen wie Blüten, die unter bitteren Fluten begraben sind. Ihre grünlichen, mit Goldpunkten übersäten Augen schienen immer fahl. Aber wenn es sich um ihre Kinder handelte, wenn sie sich zu einem heftigen Ausbruch der Freude oder des Leides hinreißen ließ, so brach aus ihren Augen ein innerliches Leuchten, das sich an den Quellen des Lebens zu entzünden schien und sie ausdörrte. Dieser Blitz hatte mir Tränen entlockt, als sie mich mit ihrer furchtbaren Verachtung strafte, er zwang die Kühnsten, die Augen niederzuschlagen. Die griechische Nase, die von Pheidias hätte gemeißelt sein können, vergeistigte das Oval ihres Gesichts, von den Nasenflügeln liefen feine Linien um die geschweiften Lippen. Ihre Hautfarbe erinnerte an die zarten Blütenblätter weißer Kamelien und ging auf den Wangen in zartes Rosa über. Ihre vollentwickelten, üppigen Körperformen hatten alle jugendliche Anmut bewahrt. Sie mögen den vollen Umfang ihrer Schönheit ermessen, wenn ich Ihnen sage, dass Arm und Schulter, die mich so geblendet hatten, faltenlos glatt waren, Hals und Nacken zeigten keine der Unebenheiten, die den Hals mancher Frauen zu einem Baumstrunk machen; ihre Muskeln traten nicht wie Stränge hervor. Alle Linien waren weich und fließend, weder dem Auge noch dem Pinsel fassbar. Ein zarter Flaum lag wie ein Hauch über ihren Wangen, ihrem Nacken und hielt das Licht fest, das dort ganz seidig war. Ihre kleinen, hübsch modellierten Ohren waren, wie sie selbst sagte, die einer Sklavin und Mutter. Später, als ich ihrem Herzen nahestand, sagte sie oft: ›Da kommt Monsieur de Mortsauf.‹ Sie hatte recht; aber ich hatte nichts gehört, obwohl doch mein Gehör sehr scharf ist. Ihre Arme waren schön, die Hand war lang, mit geschweiften, spitz zulaufenden Fingern, und wie bei antiken Statuen überragte das Fleisch ein klein wenig den Nagel. Ich missfiele Ihnen, wenn ich flachen Taillen den Vorzug vor runden gäbe, wenn Sie selbst nicht eine Ausnahme wären. Die runde Taille ist ein Zeichen von Kraft, aber die so gebauten Frauen sind herrschsüchtig, gebieterisch, mehr wollüstig als zärtlich. Dagegen sind die Frauen mit flachen Taillen aufopferungsfähig, sehr feinfühlend, mit einem Hang zur Schwermut. Sie sind in einem besseren Sinne Frauen als die andern. Die flache Taille ist weich und schmiegsam, die runde unbeugsam und selbstsüchtig. Nun wissen Sie, wie sie gebaut war. Sie hatte den Fuß einer vornehmen Frau, einen Fuß, der wenig angestrengt wird, der leicht ermüdet und das Auge erfreut, wenn er unter dem Rande des Kleides hervorsieht. Obwohl sie Mutter zweier Kinder war, habe ich keine ihres Geschlechts gekannt, die ein mädchenhafteres Aussehen gehabt hätte. In ihrem Wesen lag Anmut, gepaart mit einem Zug von Staunen und Verträumtheit, der immer zu ihr hinzwang, wie es uns immer wieder zu dem Bilde eines Malers hinzieht, in dem sein Genius eine Welt von Gefühlen Gestalt werden ließ. Ihre Eigenschaften lassen sich übrigens nur in Vergleichen begreiflich machen. Erinnern Sie sich des wilden und herben Duftes des Heidekrauts, das wir auf dem Rückweg von der Villa Diodati brachen, denken Sie an die Blüte, deren schwarze und rosige Farbtöne Ihnen so sehr gefielen, dann werden Sie verstehen, wie jene Frau fern von der Welt elegant sein konnte, natürlich in ihren Äußerungen und wählerisch in den Dingen, die sie zu den ihren machte, zugleich rosig und schwarz. Ihr Leib hatte die frische Jugendkraft, die wir am zarten Frühlingslaub bewundern. Ihr Geist hatte die tiefe Einfalt des Naturmenschen, sie war dem Gefühl nach Kind, durch Leiden ernst gestimmt, gleichzeitig Schlossherrin und kleines Mädchen. Auch gefiel sie ohne jeden Aufwand von Ziererei, rein durch ihre Art, sich zu setzen, aufzustehen, zu schweigen oder ein Wort hinzuwerfen. Sie war meist andächtig, achtsam wie ein Wachtposten, dem das Wohl aller anvertraut ist und der immer nach einem drohenden Unheil

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