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Gedicht von herber Schwermut. Der Anblick des wolkenlosen Himmels, der Blumenduft, ein Gang Arm in Arm durch den Garten bereitete ihnen unerhörte Wonnen. Die Beendigung einer Stickerei machte ihnen eine harmlose Freude. Der Verkehr ihrer Mutter dagegen war weit entfernt, ihr Herz zu bereichern oder ihren Geist anzuregen. Er verdüsterte ihr Denken nur und trübte ihre Gefühle, denn er bestand nur aus steifen, trocknen, anmutlosen alten Damen, deren Unterhaltung sich um die Vorzüge der Prediger und Beichtväter drehte, um ihre kleinen Unpässlichkeiten oder um die nichtigsten religiösen Ereignisse, die selbst der »Quotidienne« und dem »Religionsfreund« entgingen. Die Männer aber, mit denen ihre Mutter verkehrte, hätten die Fackel der Liebe ausgelöscht: so kalt, trüb und entsagensvoll waren ihre Gesichter. Sie standen alle in den Jahren, da die Männer mürrisch und grämlich werden, wo ihre Freuden sich auf die Tafel beschränken, und sie nur noch an Dinge des leiblichen Behagens denken. Die Selbstsucht der Frömmigkeit hatte diese Herzen ausgedörrt, die ganz ihrer Pflicht lebten und in frommen Übungen aufgingen. Einsilbige Kartenspiele erfüllten fast den ganzen Abend. Die beiden Kleinen, gleichsam in Acht und Bann bei diesem Synedrium, der die mütterliche Strenge unterstützte, hassten unwillkürlich diese trostlosen Menschen mit ihren hohlen Augen und mürrischen Gesichtern.

      Vom Dunkel ihres Daseins hob sich kräftig eine einzige Männergestalt ab, die eines Musiklehrers. Die Beichtväter hatten entschieden, dass die Musik eine christliche Kunst sei, im Schoß der katholischen Kirche entstanden und von ihr entwickelt. Ein bebrilltes Fräulein, das im nächsten Kloster Gesang- und Klavierstunden gab, quälte sie mit Übungen. Als aber die Ältere zehn Jahre alt wurde, bestand Graf Granville darauf, einen Musiklehrer zu nehmen. Seine Gattin fügte sich notgedrungen, unterstrich aber die ganze Bedeutung ihres ehelichen Gehorsams, wie es ja die Art der Betschwestern ist, sich erfüllte Pflichten als Verdienst anzurechnen. Der Lehrer war ein deutscher Katholik, einer jener Männer, die zeitlebens alt sind, die stets fünfzig Jahre zählen, selbst mit achtzig. Sein hohles, runzliges, braunes Gesicht bewahrte etwas Kindliches und Harmloses in seinen dunklen Schatten. Das Blau der Unschuld belebte seine Augen, und das heitre Lächeln des Lenzes wohnte auf seinen Lippen. Seine ergrauten Haare, die wie die des Heilands natürlich gelockt und ungescheitelt waren, erhöhten sein schwärmerisches Aussehen und gaben ihm etwas Feierliches, das über seinen Charakter täuschte; hätte er doch mit der exemplarischsten Würde eine Torheit begangen. Seine Kleider waren eine notwendige Hülle, auf die er keinerlei Wert legte, denn seine Blicke streiften zu hoch in die Wolken, um sich mit irdischen Dingen zu befassen. So gehörte dieser große unbekannte Künstler denn zu der liebenswerten Klasse der Vergesslichen, die ihre Zeit und ihre Seele anderen leihen, wie sie ihre Handschuhe auf allen Tischen liegen und ihre Schirme an allen Türen stehen lassen. Seine Hände gehörten zu denen, die auch nach dem Waschen schmutzig sind. Und sein alter Körper wackelte auf seinen alten gichtischen Beinen und bewies, wie sehr der Mensch das bloße Zubehör seiner Seele sein kann. Er gehörte zu jenen schnurrigen Geschöpfen, die nur ein Deutscher, Hoffmann, richtig schildern konnte – der Dichter dessen, was nicht zu leben scheint und dennoch lebt. Das war Schmuke, ein früherer Kapellmeister des Markgrafen von Ansbach, ein Gelehrter, der, als er von einem Rat der Frommen verhört wurde, ob er auch faste, am liebsten geantwortet hätte: »Seht mich doch an!« Aber wie kann man mit Betschwestern und jansenistischen Beichtvätern Scherze treiben?

      Dieser unscheinbare Greis spielte im Leben der beiden Marien eine große Rolle. Sie fassten solche Vorliebe für den lauteren und großen Künstler, dem es genug war, seine Kunst zu verstehen, dass beide ihm nach ihrer Heirat eine Lebensrente von je 300 Franken aussetzten, eine Summe, die für seine Wohnung, sein Bier, seine Pfeife und seine Kleidung hinreichte. 600 Franken Rente und seine Stunden schufen ihm ein Eden. Schmuke hatte sein Elend und seine Wünsche nur den beiden anbetungswürdigen jungen Mädchen anzuvertrauen gewagt, diesen zwei Herzen, die unter dem Schnee mütterlicher Strenge und unter dem Eis der Frömmigkeit blühten. Das erklärt den ganzen Schmuke und die Kindheit der beiden Marien.

      Später wusste kein Mensch, welcher Abbé, welche alte Betschwester den nach Paris verschlagenen Deutschen entdeckt hatte. Sobald die Hausmütter hörten, die Gräfin von Granville hätte für ihre Töchter einen Musiklehrer gefunden, wollten alle seinen Namen und seine Adresse wissen. Schmuke bekam dreißig Häuser im Marais. Sein später Erfolg drückte sich durch Schuhe mit bronzierten Stahlschnallen und Rosshaarsohlen sowie durch häufigeren Wechsel seiner Wäsche aus. Seine harmlose Fröhlichkeit, durch seine edle, verschämte Armut lange unterdrückt, brach wieder hervor. Er machte kleine geistreiche Bemerkungen. Wenn z. B. der Straßenschmutz durch einen Nachtfrost getrocknet war, sagte er: »Meine jungen Damen, heute Nacht haben die Katzen den Pariser Schmutz gefressen,« aber er sagte das in einem deutsch-französischen Kauderwelsch: »Montemisselles, lè chas honte manché la grôttenne tan Bâri sti nouitte.« Befriedigt über diese Art von Vergissmeinnicht, das er den beiden Engeln darbot, nahm er beim Überreichen dieser Geistesblüten eine pfiffige, geistreiche Miene an, die den Spott entwaffnete. Er war so glücklich, ein Lächeln auf die Lippen seiner beiden Schülerinnen zu locken, deren unglückliches Dasein er durchschaut hatte, dass er sich freiwillig lächerlich gemacht hätte, wäre er es nicht von Natur gewesen. Aber sein Herz hätte auch den gewöhnlichsten Plattheiten etwas Neues gegeben; er hätte, nach einem schönen Wort des weiland Saint-Martin, mit seinem Lächeln auch den Schmutz vergoldet. Nach einem der edelsten Grundsätze der religiösen Erziehung gaben die beiden Marien ihrem Lehrer achtungsvoll das Geleit bis zur Haustür. Hier sagten ihm die beiden armen Dinger ein paar freundliche Worte, froh, diesen Mann beglücken zu können; konnten sie sich doch nur ihm gegenüber als Frauen erweisen. So wurde ihnen die Musik bis zu ihrer Verheiratung zum zweiten Leben, ebenso wie der russische Bauer seine Träume für Wirklichkeit und sein Leben für einen schlechten Traum halten soll. In ihrem Verlangen, sich all der Erbärmlichkeiten zu erwehren, die sie zu ersticken drohten, und um den ertötenden asketischen Vorstellungen zu entgehen, vertieften sie sich mit Feuereifer in die Schwierigkeiten der musikalischen Technik. Melodie, Harmonie und Komposition, diese drei Himmelstöchter, deren Chorus der alte, musiktrunkene katholische Satyr anführte, belohnten sie für ihre Mühen und umgaben sie mit ihrem schirmenden luftigen Reigen. Mozart, Beethoven, Haydn, Paësiello, Cimarosa, Hummel und die kleineren Talente erweckten in ihnen tausend Gefühle, die zwar die keusche Umfriedung ihrer verhüllten Herzen nicht überschritten, aber in die Schöpfung eindrangen, wo sie ihre Flügel machtvoll entfalteten. Hatten sie einige Stücke tadellos gespielt, so drückten sie sich die Hand, umarmten sich in lebhafter Begeisterung, und ihr alter Lehrer nannte sie seine heiligen Cäcilien. Erst mit sechzehn Jahren gingen die beiden Marien zum Tanzen in ein paar ausgesuchte Häuser und nur viermal im Jahre. Sie verließen den Rockschoß ihrer Mutter erst, nachdem sie Verhaltungsmaßregeln über ihr Benehmen gegenüber den Tänzern erhalten hatten und zwar so strenge, dass sie ihren Herren nur mit Ja oder Nein antworten konnten. Die Gräfin ließ ihre Töchter nicht aus den Augen und schien ihre Worte aus der Bewegung der Lippen zu erraten. Die armen Dinger trugen höchst schickliche Ballkleider, Musselinroben, die bis zum Kinn reichten, mit einer Unzahl von Rüschen überladen und mit langen Ärmeln. Diese Kleidung, die ihre Anmut verbarg und ihre Schönheit verhüllte, gab ihnen eine entfernte Ähnlichkeit mit ägyptischen Mumiensärgen. Immerhin tauchten aus diesen Kattunsäcken zwei entzückend schwermütige Gesichter hervor. Es ergrimmte sie, so oft bemitleidet zu werden. Welches weibliche Wesen, und sei es noch so keusch, möchte nicht Lust erregen? Keine gefährliche, ungesunde oder auch nur zweideutige Vorstellung befleckte also die Blütenweiße ihrer Gedanken. Ihre Herzen waren rein, ihre Hände furchtbar rot, sie platzten vor Gesundheit. Eva ging aus Gottes Händen nicht unschuldiger hervor, als die beiden Mädchen an dem Tage, wo sie das Elternhaus verließen, um zum Standesamt und zur Kirche zu fahren, mit der einfachen, aber furchtbaren Weisung, den Männern, mit denen sie in der Nacht schlafen oder wachen sollten, in allem zu Willen zu sein. Nach ihrer Meinung konnte es ihnen in dem fremden Hause, in das sie gebracht wurden, nicht schlechter ergehen, als in dem mütterlichen Kloster.

      Warum schützte der Vater dieser beiden Mädchen, Graf Granville, dieser große, gelehrte und rechtschaffene Jurist (wenn ihn auch bisweilen die Politik fortriss) die beiden kleinen Geschöpfe nicht vor diesem zermalmenden Despotismus? Ach! Beide Gatten lebten infolge einer denkwürdigen Vereinbarung, die sie nach zehnjähriger Ehe schlossen, in ihrem eignen Hause voneinander getrennt. Der Vater hatte sich die Erziehung der Söhne vorbehalten und der Mutter die der Töchter überlassen. Die Anwendung dieses

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