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      Honoré de Balzac

       Eine Evatochter

      Impressum

      ISBN 9783955014681

      2013 andersseitig.de

      Covergestaltung: Erhard Koch

      Digitalisierung: Erhard Koch

      andersseitig Verlag

      Dresden

      www.andersseitig.de

      [email protected]

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      I

      Es war in einem der schönsten Privathäuser der Rue Neuve des Mathurins, um halb zwölf Uhr abends. Zwei Damen saßen vor dem Kamin eines Boudoirs, dessen Wände mit dem zartschillernden, schmeichelnden blauen Samt ausgeschlagen waren, dessen Herstellung dem französischen Gewerbefleiß erst in den letzten Jahren gelang. Einer jener Tapezierer, die wahre Künstler sind, hatte die Türen und Fenster mit weichen Kaschmirvorhängen drapiert, deren Blau dem der Wandbekleidung entsprach. Eine mit Türkisen geschmückte silberne Lampe hing an drei schön gearbeiteten Ketten von einer hübschen Rosette an der Mitte der Decke herab. Das System dieser Ausstattung ist bis auf die kleinsten Einzelheiten durchgeführt, bis auf die Zimmerdecke aus blauer Seide mit weißen Kaschmirsternen, deren lange, gefältelte Streifen, durch Perlenschnüre gerafft, in gleichmäßigen Abständen auf die Wandbekleidung herabfallen. Ihre Ränder stoßen an das warme Gewebe eines flandrischen Wandteppichs, der dicht wie ein Rasen ist und auf dessen leingrauem Grunde blaue Blumensträuße prangen. Die Möbel, ganz aus Polisanderholz, nach den schönsten alten Mustern geschnitzt, beleben mit ihren reichen Tönen die Blässe dieser, wie ein Maler sagen würde, zu weichen Ausstattung. Die Rückenlehnen der Stühle und Lehnstuhle zeigen dem Beschauer kleine Felder aus weißer, mit blauen Blumen durchwirkter Seide, die ein Holzrahmen aus fein geschnitztem Blattwerk umspannt. Beiderseits des Fensters sieht man Ständer mit kostbaren Nippsachen, den Blüten des Kunsthandwerks, die an der Sonne des Gedankens gediehen sind. Auf dem Kamin aus bläulichem Marmor stehen die seltsamsten Altmeißner Porzellane, Hirten, die mit zarten Sträußen in der Hand zu ewigen Hochzeiten schreiten, eine Art deutscher Chinaware, und in ihrer Mitte eine Stutzuhr aus Platin mit eingelegten Arabesken. Darüber glänzen die gerippten Schliffe eines Venezianischen Spiegels in einem Ebenholzrahmen mit Relieffiguren, der aus irgendeiner Königsresidenz stammt. Zwei Blumenständer bergen den kranken Luxus blasser, himmlischer Treibhausblumen, der Perlen der Botanik. In diesem kalten Boudoir, das so wohlgeordnet und blitzsauber war, als stände es zum Verkauf, war nichts von der launischen, mutwilligen Unordnung zu spüren, aus der das Glück spricht. Alles stimmte überein, denn die beiden Damen weinten. Alles in dem Zimmer schien zu leiden.

      Der Name des Besitzers, Ferdinand du Tillet, eines der reichsten Pariser Bankiers, rechtfertigt den maßlosen Luxus des Hauses, von dem das Boudoir eine Probe ablegte. Obwohl ein Mann ohne Herkunft, ein Emporgekommener (Gott weiß, auf welche Weise!), hatte du Tillet 1831 die jüngere Tochter des Grafen Granville geheiratet, eines der berühmtesten Namen im französischen Richterstand, der nach der Julirevolution Pair von Frankreich geworden war. Diese Heirat aus Ehrgeiz hatte du Tillet dadurch erkauft, dass er im Ehekontrakt eine nicht erhaltene Mitgift quittiert hatte, die ebenso bedeutend war, wie die der älteren Schwester, die den Grafen Felix von Vandenesse geheiratet hatte. Diese Verbindung mit dem Haus Vandenesse hatten die Granvilles seinerzeit durch die Höhe der Mitgift erkauft. So hatte der Bankier die Lücke ausgefüllt, die der Edelmann in das Vermögen des Beamten gerissen hatte. Hätte der Graf von Vandenesse vorausgeahnt, dass er nach drei Jahren der Schwager eines Herrn Ferdinand und angeblichen du Tillet sein würde, er hätte seine Frau vielleicht nicht geheiratet. Aber wer hätte im Jahre 1828 die seltsamen Umwälzungen vorausgesehen, die die politische Verfassung, die Vermögensverhältnisse und die Moral Frankreichs erfahren sollten? Man hätte jeden für verrückt erklärt, der dem Grafen Felix von Vandenesse gesagt hätte, er würde bei diesem Umschwung seine Pairskrone verlieren und sie auf dem Kopf seines Schwagers wiederfinden.

      Frau du Tillet saß aufgerichtet auf einem niedrigen Stuhl, einem sogenannten Kaminstuhl, in aufmerksamer Haltung und drückte in mütterlicher Zärtlichkeit die Hand ihrer Schwester, Frau Felix von Vandenesse, an ihre Brust oder führte sie bisweilen an die Lippen. In der Gesellschaft pflegte man vor ihren Familiennamen den Vornamen ihres Gatten zu setzen, zum Unterschied von ihrer Schwägerin, der Marquise und Gattin des früheren Gesandten Charles von Vandenesse, der die reiche Witwe des Grafen Kergarouet, eine geborene de Fontaine, zur Frau hatte. Halb auf ein Kanapee hingegossen, ein Taschentuch in der andern Hand, unterdrückte die Gräfin das Schluchzen, das ihr den Atem benahm, und mit feuchten Augen machte sie ihrer Schwester soeben Anvertrauungen, wie sie nur zwischen zwei sich liebenden Schwestern möglich sind; und diese zwei Schwestern liebten sich zärtlich. Wir leben in einer Zeit, wo zwei so eigenartig verheiratete Schwestern sich sehr wohl nicht lieben können. Der Historiker muss also die Gründe für diese Zärtlichkeit angeben, die sich trotz aller gegenseitigen Verachtung ihrer Gatten, trotz allen gesellschaftlichen Gegensätzen stark und rein erhalten hatte. Ein kurzer Überblick über ihre Kindheit wird ihr gegenseitiges Verhältnis erklären.

      Sie waren in einem düstren Haus im Marais aufgewachsen, von einer frömmelnden, beschränkten Frau erzogen, die von ihren Pflichten durchdrungen war (so lautet der klassische Ausdruck) und die erste Aufgabe einer Mutter gegenüber ihren Töchtern erfüllt hatte. Als Marie Angelika und Marie Eugenie heirateten, die erste mit zwanzig, die zweite mit siebzehn Jahren, hatten sie noch nie den häuslichen Dunstkreis verlassen, über dem der Blick ihrer Mutter schwebte. Sie waren in kein Theater gegangen. Für sie waren die Pariser Kirchen das Theater. Kurz, ihre Erziehung zu Hause war so streng wie im Kloster. Als sie die erste Kindheit hinter sich hatten, schliefen sie in einem Zimmer neben dem Zimmer der Gräfin Granville, dessen Tür die ganze Nacht offen stand. Soweit sie ihre Zeit nicht mit Anziehen und Körperpflege, religiösen Pflichten oder Unterricht verbrachten, wie er sich für Mädchen aus vornehmem Hause geziemte, machten sie Handarbeiten für die Armen oder unternahmen Spaziergänge nach dem Muster der englischen Sonntagsspaziergänge, d. h. nach dem Grundsatz: »Wir wollen nicht so schnell gehen, sonst sieht es aus, als gingen wir zu unserm Vergnügen.« Ihre Bildung ging nicht über das hinaus, was ihre Beichtväter, unduldsame und streng jansenistische Geistliche, erlaubten. Nie kamen Frauen reiner und jungfräulicher in die Ehe. In diesem, allerdings recht wichtigen Punkt hatte ihre Mutter die Erfüllung all ihrer Pflichten gegen Gott und die Menschen erblickt. Die beiden armen Geschöpfe hatten vor ihrer Ehe weder Romane gelesen, noch etwas anderes gezeichnet als Figuren, deren Anatomie einem Cuvier als Meisterstück des Unmöglichen erschienen wäre. Die Vorlagen waren derart gestochen, dass sie auch den Farnesischen Herkules zum Weibe machten. Diesen Zeichenunterricht erhielten sie bei einer alten Jungfer. Ein ehrwürdiger Priester unterwies sie in Grammatik, Französisch, Geschichte, Geographie und dem bisschen Rechnen, das die Frauen brauchen. Ihre Lektüre am Abend bestand in lautem Vorlesen erlaubter Bücher, wie der »Erbauungsbriefe« und der »Literaturstunden« von Noël, und zwar in Gegenwart des Seelsorgers ihrer Mutter, denn es konnten doch Stellen vorkommen, die ohne geschickte Erläuterungen ihre Phantasie erregt hätten. Fénélons »Telemach« erschien bereits bedenklich. Die Gräfin Granville liebte ihre Töchter so sehr, dass sie sie zu Engeln nach Art der Marie Alacoque machen wollte, aber die Töchter hätten eine weniger tugendstrenge und etwas liebenswürdigere Mutter lieber gehabt.

      Diese Erziehung trug ihre Früchte. Als Joch auferlegt und in aller Strenge gehandhabt, ermüdete die Religion ihre jungen, unschuldigen Herzen mit ihren Pflichten, denn sie wurden wie Missetäterinnen behandelt. Sie unterdrückte ihre Empfindungen, und obwohl sie tiefe Wurzeln in ihren Herzen schlug, gewann sie sich doch keine Liebe. Die beiden Marien mussten entweder verblöden oder ihre Selbständigkeit herbeisehnen. Sie wünschten sich, zu heiraten, sobald sie eine Ahnung von der Welt hatten und ein paar Vorstellungen verknüpfen konnten, aber ihre rührende Anmut und ihre Herzensgüte blieb ihnen unbewusst. Sie kannten ihre eigene Reinheit nicht: wie sollten sie da das Leben kennen? Sie waren wehrlos gegen das Unglück und ohne Erfahrung, um das Glück schätzen zu können; so fanden sie in dem mütterlichen Kerker keinen anderen Trost als in sich selbst. Ihre sanften Anvertrauungen, die sie sich des Abends zuflüsterten, oder die paar Worte, die sie miteinander tauschten, wenn ihre Mutter sie für

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