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von Balzacs Feder gezeichnet sein; die Zergliederung ihrer Schönheit in die kleinsten Einzelheiten und die Art, wie ihre Reize hervorgehoben werden [* Eine 1847 in der »Gegenwart« (Nr. 3–21) erschienene Novelle »Die Russen in Paris« ist in allen Details von Balzac abhängig] , hat Schiff zweifellos Balzac abgelernt. Dagegen sind die anderen Gestalten des Romans vortrefflichen eigenen Beobachtungen erwachsen; der zelotische Rabbiner, der Geld leicht zugänglich ist, der zu Ehren seiner Religion die eigene Tochter seelisch und körperlich mißhandelt und in seiner Borniertheit sogar der eigenen Frau befiehlt, der Tochter das Gesicht zu zerfleischen, damit es dem Bild, auf dem sie gemalt ist, nicht mehr ähnlich sei, ist eine in ihrer erschreckenden Wahrheit ungemein glaubwürdige Gestalt; ebenso seine fanatische Frau, aus der – echt weiblich – ein bißchen Eitelkeit spricht, daß ihrer schönen Tochter fast göttliche Ehren erwiesen werden, und die sie deshalb mit wahrer Wollust entstellt; der Vater Schief-Levinches, ein Wucherer schlimmster Sorte, der aber in einer jüdischen Gemeinde die erste Rolle spielt, der Talmudist Löbel Kurzweil, der für hundert Taler zu allem fähig ist – er gleicht Zug um Zug dem Löbel Kurzweil aus »Hundert und ein Sabbath« – und die einzelnen Nebenpersonen, die vorzüglich differenziert und abschattiert sind – all das zusammen ergibt voll erbarmungsloser Wahrhaftigkeit ein plastisches, abgerundetes Bild eines jüdischen Ghettos.

      Und aus diesem Milieu erklärt sich dann sehr leicht der schwere Konflikt, in den Mariamne gerät, die dem Maler für das Muttergottesbild Modell steht. Die ganze Judenschaft empört sich um so heftiger gegen das Mädchen, als Bilderverehrung nach jüdischem Glauben ein arger Frevel ist. Es verschlägt nichts, daß Mariamne, eine durchaus schwärmerische Natur, die immer vom Paradiese träumt und in Gedanken daran schon auf Erden Seligkeiten empfindet, fast durch hypnotische Gewalt von dem Maler überredet wird, sich malen zu lassen. Unbarmherzig wird sie gefoltert: aber wie sie als echtes Judenmädchen immer gehorsam ist und sich sogar dazu verstanden hat, einen häßlichen Schacherjuden auf Befehl ihrer Eltern zu heiraten, so erduldet sie jetzt alles mit stoischer Selbstüberwindung. Endlich flieht sie, aber nur weil sie geträumt hat, sie werde – eine zweite Jungfrau von Orleans – ihrem Volke eine Retterin werden.

      Mariamne bei den Christen ist der schwächere Teil des Werkes. Es ist wieder nur eine Motivwiederholung (aus »Das Margaretenfest«), wenn Schiff das Mädchen von dem Pastor Vitepsky heiß lieben und diesen, um sie in seine Gewalt zu bringen, sogar ein Verbrechen begehen läßt. Auch der tragische Schluß, der sich dem Gefüge eines »komischen« Romans wohl nur schlecht anpaßt, muß als verfehlt, wenn auch dichterisch schön gelten. Unglaubhaft ist er nicht: Die seelischen Erregungen der letzten Zeit haben Mariamne so angegriffen, daß sie, die durch Hunger und Mißhandlungen ohnehin sehr geschwächt ist, bei der Exorzisierung von einem Nervenschlag getroffen wird und daran stirbt.

      Aus der Erzählung Schiffs spricht der ungebändigte Haß gegen das Judentum; ihm scheint es nicht wie Heine (vgl. Alfred Meißners »Erinnerungen«, Seite 148) ebenso lächerlich wie ehrwürdig zu sein, sondern er findet es bloß lächerlich und erbärmlich. Die Gestalt des gepeinigten Judenmädchens soll tiefste Rührung, aber auch Erbitterung über einen Fanatismus erwecken, der es noch für Glaubenstreue hält, wenn er zur höheren Ehre Gottes martert und mordet. Es soll nur Schiffs Objektivität (im Hassen) beweisen, wenn er auch Schattenseiten des Christentums herausfindet und lächerlich macht (die Bestattung Mariamnes als einer Art Heiligen usw.). Ernstlich kam es ihm nur darauf an, den Schäden des jüdischen Klerikalismus heftig und wirkungsvoll zu Leibe zu gehen [* Der Roman erschien unter dem charakteristischen Pseudonym Isaak Bernays. Isaak Bernays war orthodoxer Rabbiner in Hamburg (vgl. »Schröders Lexikon der Hamburgischen Schriftsteller«, II. 233 ff.) und Schiff beabsichtigte wohl mit der Wahl dieses Decknamens gerade in den Kreisen, die er so unsanft angriff, erhöhtes Interesse zu finden. Bruchstücke aus dem Roman erschienen im »Freimütigen« (1848, Nr. 40–46) und im »Freischütz«. Über das Werk vgl. »Blätter für literarische Unterhaltung« (1848, Nr. 207)] .

      So vortrefflich die Tendenz und der satirische Ton des Verfassers ist, so wenig kann sein Vortrag befriedigen. Wieder macht sich der Hang Schiffs, Binnenerzählungen einzuschieben, unliebsam bemerkbar. Dabei ist er so skrupellos, von ihm bereits veröffentlichte jüdische Geschichten einzuflechten, wie zum Beispiel aus »Hundert und ein Sabbath« das Märchen vom »Rabbi Chanina« (allerdings in etwas veränderter Form). Von der größten Bedeutung ist die Vorrede des Romans, in der Schiff seine Absichten genau darlegt. Er schreibt an seinen Verleger:

      »In der deutschen Literatur gibt es noch wenig komische Romane und in dieser Art vielleicht noch keinen; er ist kein satirisch-, kein fantastisch-, kein sentimental-, kein humoristisch-komischer Roman, sondern ganz einfach ein komischer Roman. Dieses Buch entspringt aus dem einzigen Spaß, der alle Situationen herbeiführt. Daß eine jüdische Rabbinerstochter als Mutter Gottes auf einem Hochaltar einer Kathedrale gemalt ist, bringt Katholiken und Juden in Harnisch.

      Die Gegenwart hat mir den Stoff nahegebracht. Wir haben jetzt einen Neu-Katholizismus, einen Neu-Protestantismus. einen Neu-Israelitismus. Jeder hadert mit seiner Religion und die Gegenwart mit allen Religionen insgesamt. Ein Dichter lernt von seiner Zeit. Ursprünglich liebt er alle Religionen, jede hat ihre Merkwürdigkeiten, sinnreichen Mythen, und der Dichter kann sich keinen würdigeren Stoff wünschen als diesen. Aber zwei Religionen sind etwas anderes als eine, und zwei Religionen auf einmal anzunehmen, ist unmöglich. Zwei Religionen sind zwei Auguren, die sich nicht ansehen können, ohne sich auszulachen. Und deshalb kann ein Dichter aus zwei Religionen einen komischen Roman machen. Ernst läßt sich dieses Thema nicht behandeln. Wenn sich bei Calderon zwei Religionen begegnen, ergreift er für eine Partei. Lessing macht aus drei Religionen eine. Denn er ist Kosmopolit und will aufklären. Allerdings kann diese Versöhnung Lessings nur dauern, bis der Vorhang fällt. Diese eine Familie wird nie einen Hausstand bilden können – eine polnische Wirtschaft ist unausbleiblich. Nach meiner Ansicht schwindet sofort alles Würdige und Edle, wenn sich zwei Religionen im Geiste des schaffenden Dichters begegnen.« Schiff entwirft dann eine fiktive Charakteristik seines schriftstellerischen Lebens. Als Sohn blutarmer Leute mußte er Bittbriefe schreiben, man ließ ihn studieren, aber nirgends fand sich für ihn ein Amt, und deshalb wurde er Schriftsteller. Er will aber nur die «Sympathien und Antipathien der niederen Klassen« zur Sprache bringen. Er will ein literarischer Plebejer sein. »Die deutsche Literatur hat seit achtzehn Jahren nur in großen Worten geschwelgt, ohne etwas geleistet zu haben. Sie gleicht dem Zeitgeiste, der nicht demokratisch ist, obwohl er als solcher gerühmt wird. Er ist ein Geldgeist, ein Kaufmannsgeist, ein Rechengeist, ein Judengeist, der uns das Brot abknappt und uns unsere Weiber mißgönnt. Die deutsche Literatur hat sich durch siebzehn Jahre nur nach den Bedürfnissen der Reichen gerichtet, sie hat ihnen Pikantes serviert, weil Pikantes von ihr verlangt wurde. Der Reiche hat alles und kann alles bezahlen, der Arme hat nichts. Will er einmal für sein geringes Geld etwas genießen, so ist es ihm unmöglich; nicht einmal ins Theater kann er gehen. Nur eine Kunst kann sich des Armen annehmen: die des Dichters. Das Buch hat für alle denselben Preis.« Man hatte den Fürsten literarisch lange genug geschmeichelt, nun möge man einmal dem Volke schmeicheln. Man möge die Feinde des Volkes verhöhnen und nichts vom deutschen Michel erzählen, keine sentimentalen Dorfgeschichten, keine Polizeinovellen, keine Geheimnisse von Paris, übertriebene Schilderungen von Lastern (was er aber selbst sehr oft getan hat). Nicht dem Zeitgeiste, sondern dem deutschen Volksgeiste möge man huldigen, das sei der einzige wahre, ewige Gott, der Gott seiner Väter. Im Namen des Volkes und für das Volk will er die Willkür des Genies, seinen Übermut des Talentes rechtfertigen gegen seine Mitliteraten. Seine Devise ist: Es lebe der deutsche Geist.

      Aus dieser Vorrede sprechen starke demokratische Anschauungen, die Schiff voll erbitterter Wut und Wucht vorträgt. Zweierlei mag dies veranlaßt haben: Die Zeitstimmung, in der »Schief-Levinche« entstand (die Revolution des Jahres 1848) und die Mißachtung, über die er sich gerade jetzt zu beklagen hatte. Die Volkserhebungen im »tollen Jahre« machten aus ihm einen begeisterten Demokraten. Er beabsichtigte damals die Abfassung einer Reihe von Flugschriften unter dem gemeinsamen Titel »Die Ehrentaten der Bluse oder die Revolutionen des Jahres 1848«, wovon jetzt nur das erste Heft »Die französische Revolution« (mit vier lithographierten Bildern, Hamburg 1849) erschien. Die Begeisterung für die achtundvierziger Revolution muß wundernehmen, denn gerade sie war der Anlaß, daß »Schief-Levinche« vollkommen spurlos vorüberging. So war es Schiff ja immer ergangen: jedem

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