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die gegen ihren alten Anbeter kein Misstrauen mehr hegte, aber er mutmaßte über den Verkehr der beiden Liebenden zuviel. Ihre Liebe blieb zur großen Verzweiflung Louisens und Luciens platonisch. Es gibt in der Tat Liebesverhältnisse, die gut oder schlecht, wie man will, von Stapel gehen. Zwei Menschen werfen sich auf die Taktik des Gefühlsaustausches, sprechen, anstatt zu handeln, und schlagen sich auf freiem Feld, anstatt eine Belagerung vorzunehmen. So werden sie oft einander überdrüssig, indem sie ihre Sehnsucht ins Leere verpuffen. Zwei Liebende sind dann so weit, dass sie Zeit finden, nachzudenken und sich kritisch zu betrachten. Oft kehren so Leidenschaften, die mit fliegenden Fahnen und in strahlendem Schmuck, mit einer Glut, die alles umwerfen wollte, ins Feld gezogen waren, schließlich ohne Sieg, beschämt, entwaffnet, ärgerlich über ihren leeren Lärm, nach Hause zurück. Dieses Verhängnis erklärt sich manchmal mit der Schüchternheit der Jugend und dem Hinzögern, zu dem Frauen, die Anfängerinnen sind, neigen, denn diese Art gegenseitigen Betrugs passiert weder den erfahrenen Praktikern noch den Koketten, die mit der Leidenschaft umzugehen wissen.

      Das Provinzleben steht überdies der Befriedigung der Liebe seltsam feindlich gegenüber und begünstigt in der Leidenschaft die verstandesgemäßen Auseinandersetzungen; und ebenso stürzen die Hindernisse, die es dem süßen Verkehr, der die Liebenden so sehr verbindet, entgegensetzt, die glühenden Seelen in Zwiespalt miteinander. Dieses Leben ist auf eine so ängstliche Spionage begründet, auf eine so große Durchsichtigkeit der Häuser, es erlaubt so wenig eine Intimität, die befriedigt, ohne die Tugend zu verletzen, die reinsten Beziehungen werden so sinnlos bezichtigt, dass viele Frauen entehrt werden, obgleich sie unschuldig sind. Manche unter ihnen werden dann ungehalten, dass sie nicht alle Wonnen eines Fehlers genießen, dessen schlimme Folgen sie alle tragen müssen. Die Gesellschaft, die ohne irgendeine ernsthafte Prüfung die offenkundigen Tatsachen, die langen geheimen Kämpfen ein Ende setzen, tadelt oder kritisiert, ist also ursprünglich mitschuldig an diesen Skandalen; aber die meisten Menschen, die gegen die angeblichen Skandale zetern, an denen zu Unrecht verleumdete Frauen schuld sein sollen, haben nie an die Ursachen gedacht, die sie schließlich zu einer öffentlichen Handlung bringen. Frau von Bargeton sollte in diese verrückte Lage kommen, in die so viele Frauen gekommen sind, die erst Verlorene wurden, nachdem sie ungerecht beschuldigt worden waren.

      Beim Beginn einer Leidenschaft schrecken unerfahrene Menschen vor den Hindernissen zurück; und die Hindernisse, die unsere beiden Liebenden vorfanden, glichen sehr den Fesseln, mit denen die Liliputaner den Gulliver geknebelt hatten. Es waren gehäufte Nichtigkeiten, die jede Bewegung unmöglich und die heftigsten Wünsche zunichte machten. So musste zum Beispiel Frau von Bargeton immer gewärtig sein, Besuche zu empfangen. Hätte sie für die Stunden, wo Lucien kam, ihre Tür verschlossen gehalten, dann wäre schon alles aus gewesen, und es wäre ebenso gut gewesen, mit ihm zu entfliehen. Sie empfing ihn in der Tat in dem Boudoir, an das er schon so gewöhnt war, dass er sich als Herr darin vorkam; aber die Türen blieben gewissenhaft offen. Alles ging ganz und gar tugendhaft vor sich. Herr von Bargeton ging in voller Harmlosigkeit hin und her, ohne daran zu denken, seine Frau könnte mit Lucien allein sein wollen. Wäre er das einzige Hindernis gewesen, so hätte ihn Naïs sehr gut wegschicken oder beschäftigen können; aber sie war mit Besuchen überlaufen, und es wurden ihrer um so mehr, je stärker die Neugier sich angestachelt fühlte. Die Menschen in der Provinz sind Spielverderber aus natürlicher Anlage, es macht ihnen Freude, entstehenden Liebesverhältnissen in den Weg zu treten. Die Bedienten gingen im Hause hin und wider, ohne dass man sie gerufen hatte und ohne vorher an die Tür zu klopfen; es waren das alte Gewohnheiten, wie eine Frau, die nichts zu verbergen brauchte, sie angenommen hatte. Wäre an diesen Gepflogenheiten im Hause etwas geändert worden, hätte das nicht ebenso viel besagt, als die Liebe einzugestehen, an der noch ganz Angoulême zweifelte. Frau von Bargeton konnte den Fuß nicht über die Schwelle setzen, ohne dass die Stadt wusste, wohin sie ging. Mit Lucien allein außerhalb der Stadt zu gehen, wäre ein entscheidender Schritt gewesen: es wäre weniger gefährlich gewesen, sich mit ihm bei sich zu Hause einzuschließen. Wenn Lucien nach Mitternacht, wenn keine Gesellschaft mehr zugegen war, bei Frau von Bargeton geblieben wäre, hätte es am nächsten Tage ein Gerede darüber gegeben. So lebte Frau von Bargeton in und außer dem Hause immer in der Öffentlichkeit. Diese Einzelheiten geben ein Bild von der ganzen Provinz: die Fehltritte sind da entweder eingestanden oder unmöglich.

      Louise erkannte, wie alle Frauen, die von einer Leidenschaft hingerissen sind, in der sie sich nicht auskennen, nacheinander alle Schwierigkeiten ihrer Lage; sie schreckte davor zurück. Ihre Angst wirkte jetzt auf die Auseinandersetzungen ein, die so oft die schönsten Stunden, in denen zwei Liebende allein beisammen sind, in Anspruch nehmen. Frau von Bargeton besaß keinen Landsitz, auf den sie ihren geliebten Dichter mitnehmen konnte, wie es manche Frauen machen, die sich unter einem geschickt ersonnenen Vorwand auf dem Lande begraben. Sie war es müde, so öffentlich zu leben, fühlte sich aufgerieben von der Tyrannei, deren Joch so hart war, dass die Annehmlichkeiten nicht mehr in Betracht kamen, und dachte an l'Escarbas. Sie erwog, ihren alten Vater dort zu besuchen, so wütend war sie über diese elenden Hindernisse.

      Châtelet glaubte nicht an so viel Unschuld. Er lauerte auf die Stunden, in denen Lucien zu Frau von Bargeton kam, und begab sich ein paar Augenblicke später ebenfalls dahin. Er ließ sich immer von Herrn von Chandour begleiten, der der indiskreteste Mensch dieses Klüngels war. Er ließ ihn immer zuerst eintreten und hoffte auf eine Überraschung. Er versteifte sich darauf, dass ihm ein Zufall zu Hilfe kommen werde. Seine Rolle und das Gelingen seines Plans waren um so schwieriger, weil er neutral bleiben musste, um alle die Spieler des Dramas, das er aufführen wollte, zu lenken. Daher hatte er sich, um Lucien, dem er schmeichelte, und Frau von Bargeton, die nicht ohne Scharfblick war, sorglos zu machen, und um sich eine Haltung zu geben, an die eifersüchtige Amélie angeschlossen. Um Louise und Lucien besser ausspionieren zu können, war es ihm seit einigen Tagen gelungen, zwischen sich und Herrn von Chandour eine Meinungsverschiedenheit über die beiden Liebenden zustande zu bringen. Châtelet behauptete, Frau von Bargeton machte sich über Lucien lustig, sie sei zu stolz und von zu guter Herkunft, um zu einem Apothekerssohn herabzusinken. Diese Rolle des Ungläubigen gehörte zu dem Plan, den er geschmiedet hatte, denn er wünschte für den Verteidiger Frau von Bargetons zu gelten. Stanislaus blieb dabei, Lucien wäre kein unglücklicher Liebhaber. Amélie verschärfte die Auseinandersetzung, indem sie den dringenden Wunsch aussprach, die Wahrheit zu erfahren. Jeder führte seine Gründe an. Wie es in kleinen Städten geschieht, traten oft einige intime Freunde des Hauses Chandour gerade während eines Gesprächs ein, in dem Châtelet und Stanislaus um die Wette ihre Meinung mit ausgezeichneten Argumenten vertraten. Es ergab sich wie von selbst, dass jeder von den beiden Gegnern Bundesgenossen suchte und etwa seinen Nachbarn fragte: »Und Sie, was ist Ihre Meinung?« Diese Kontroverse bewirkte es, dass man Frau von Bargeton und Lucien nicht aus den Augen ließ.

      Eines Tages endlich bemerkte Châtelet, dass, wenn Herr von Chandour und er Frau von Bargeton besuchten und Lucien da war, niemals irgendein Anzeichen für verdächtige Beziehungen vorhanden sei: die Tür zum Boudoir war immer offen, die Leute kamen und gingen, nichts Geheimnisvolles kündete die reizenden Verbrechen der Liebe usw. Stanislaus, dem es an einem gewissen Quantum Dummheit nicht fehlte, versprach, er wolle am nächsten Tag auf den Fußspitzen sich heranschleichen, und Amélie bestärkte ihn in diesem Vorsatz lebhaft.

      Dieser nächste Tag war für Lucien einer von denen, wo junge Menschen sich die Haare ausraufen und sich geloben, der törichten Zeit des Schmachtens endlich ein Ende zu machen. Er hatte sich an seine Lage gewöhnt. Der Dichter, der in dem geheiligten Boudoir der Königin von Angoulême kaum gewagt hatte, sich auf einen Stuhl zu setzen, hatte sich in einen drängenden Liebhaber verwandelt. Sechs Monate hatten genügt, dass er sich Louise ebenbürtig fühlte, und er wollte jetzt ihr Herr sein. Als er von zu Hause wegging, versprach er sich, sehr unvernünftig zu sein, alles daranzusetzen, alle Mittel einer stammenden Beredsamkeit anzuwenden; er wollte sagen, er hätte keinen Kopf mehr, er wäre unfähig, einen Gedanken zu fassen oder eine Zeile zu schreiben. Manche Frauen haben eine schreckliche Angst vor festen Entschlüssen, die ihrem Zartgefühl Ehre macht, sie wollen der Verführung weichen, aber nicht der Konvention. Niemand will einen Genuss, zu dem er gezwungen wird. Frau von Bargeton bemerkte auf Luciens Stirn, in seinen Augen, seiner ganzen Physiognomie und seinem Auftreten das aufgeregte Wesen, das eine feste Entschließung verrät: sie nahm sich vor, sie zu vereiteln, ein wenig aus Widerspruchsgeist,

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