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In der Welt, in die du gehst, ist dir alles dienlich und mir alles von Nachteil. Du bist dazu geschaffen, ans Ziel zu kommen. Die Frauen werden dein himmlisches Gesicht vergöttern. Nicht wahr, Eva?«

      Lucien fiel David um den Hals und küsste ihn. Diese bescheidene Zurückhaltung machte vielen Schwierigkeiten ein Ende. Wie sollte er nicht diesem Manne gegenüber seine Zärtlichkeit verdoppeln, der aus Freundschaft auf dieselben Gedanken gekommen war, zu denen ihn der Ehrgeiz geführt hatte? Der Ehrgeizige und der Liebende in ihm spürten ebene Bahn vor sich, und in das Herz des Jünglings und des Freundes zog Freude ein. Es war einer der seltenen Augenblicke im Menschenleben, wo alle Kräfte sanft angespannt sind, alle Saiten vibrieren und vollen Ton erklingen lassen. Aber diese Klugheit einer schönen Seele verstärkte in Lucien noch die Tendenz, die den Menschen dazu bringt, alles auf sich zu beziehen. Wir sagen alle mehr oder weniger wie Ludwig XIV.: »Der Staat bin ich!« Die hingebende Zärtlichkeit seiner Mutter und seiner Schwester, die Aufopferung Davids, die Gewohnheit, sich als Gegenstand der geheimen Bemühungen dieser drei Menschen zu sehen, gaben ihm die Fehler des Schoßkindes, erzeugten in ihm jenen Egoismus, der den Edlen verzehrt, dem Frau von Bargeton, da sie ihn dazu brachte, seine Verpflichtungen gegen seine Mutter, seine Schwester und David zu vergessen, schmeichelte. Es war noch nicht so weit; aber hatte er nicht zu befürchten, er würde, wenn er den Kreis seines Ehrgeizes erweiterte, gezwungen sein, nur an sich zu denken, um sich zu halten?

      Nach diesem erregten Auftritt sagte David zu Lucien, sein Gedicht »Johannes auf Patmos« wäre vielleicht zu biblisch, um in einer Gesellschaft vorgelesen zu werden, der die Poesie der Apokalypse wenig vertraut sein konnte. Lucien, der vor dem schwierigsten Publikum der Charente auftreten sollte, schien unruhig zu werden. David riet ihm, den André de Chénier mitzunehmen und ein zweifelhaftes Vergnügen durch ein sicheres zu ersetzen. Lucien las vorzüglich, er würde ohne Frage Beifall finden und zugleich eine Bescheidenheit zeigen, die ihm ohne Zweifel nützlich sein würde. Wie die meisten jungen Leute, liehen sie der großen Welt ihren eigenen Verstand und ihre Vorzüge. Wenn die Jugend, die noch nicht Schiffbruch gelitten hat, gegen die Fehler der andern unduldsam ist, so schenkt sie ihnen doch auch ihr wundervolles Vertrauen. Man muss in der Tat viel Erfahrung im Leben hinter sich haben, ehe man erkennt, dass nach einem schönen Wort Raffaels ›verstehen‹ ›gleichstellen‹ heißt. Im allgemeinen ist Sinn und Verständnis für Poesie in Frankreich selten, wo der Witz die Quelle heiliger Begeisterungstränen schnell austrocknet, wo niemand sich die Mühe geben will, das Erhabene zu verstehen und ihm auf den Grund zu gehen, um seine Unendlichkeit zu gewahren. Lucien sollte seine erste Erfahrung über die Verständnislosigkeit und Kälte der großen Welt machen! Er ging bei David vorbei, um dort den Gedichtband mitzunehmen.

      Als die beiden Liebenden allein waren, kam David in eine Verlegenheit, wie er sie nie im Leben empfunden hatte. Er war in tausend Ängsten, hoffte, dass sie ihn lobte, und fürchtete es, er wünschte zu fliehen, denn auch die Scham hat ihre Koketterie! Der arme Liebhaber wagte kein Wort zu sagen, das so hätte klingen können, als ob er einen Dank erwartete; er fand alle Worte peinlich und blieb schweigsam in der Haltung eines Verbrechers. Eva, die die Qualen seiner Schüchternheit ahnte, gefiel es, dieses Schweigen zu genießen; aber als David seinen Hut hin und her drehte und Miene machte, fortzugehen, lächelte sie.

      »Herr David,« sagte sie zu ihm, »da Sie den Abend nicht bei Frau von Bargeton weilen, könnten wir ihn zusammen verbringen. Es ist schönes Wetter, wollen wir am Ufer der Charente spazieren gehen? Wir können von Lucien plaudern.«

      David hatte Lust, diesem entzückenden Mädchen zu Füßen zu fallen. Eva hatte in den Ton ihrer Stimme einen Lohn gelegt, der alle seine Hoffnungen überstieg; sie hatte durch die Freundlichkeit der Rede die Schwierigkeit der Situation gelöst; ihr Vorschlag war mehr als ein Lob, war die erste Liebesgunst.

      »Nur«, sagte sie, auf eine Bewegung, die David machte, »lassen Sie mir einige Augenblicke zum Umkleiden.«

      David, der in seinem Leben keine Melodie behalten hatte, sang, als er die Treppe hinunterging, leise vor sich hin, was dem braven Postel auffiel und ihn zu argwöhnischen Gedanken über die Beziehungen zwischen Eva und dem Buchdrucker brachte.

      Die geringsten Umstände dieses Abends übten starke Wirkung auf Lucien, dessen Eigenheit es war, die kleinsten Eindrücke zu empfinden. Wie alle unerfahrenen Liebhaber, kam er so früh hin, dass Louise noch nicht im Salon war. Nur Herr von Bargeton war da. Lucien hatte schon ein paar von den kleinen Erbärmlichkeiten erlernt, mit denen der Liebhaber einer verheirateten Frau sein Glück erkauft und die den Frauen anzeigen, wieviel sie verlangen können; aber er war noch nie mit Herrn von Bargeton allein zusammen gewesen.

      Dieser Edelmann war einer der kleinen Geister, die sich behutsam zwischen der harmlosen Nichtigkeit, die noch versteht, und der hochmütigen Dummheit, die nichts annehmen und nichts von sich geben will, bewegen. Er war von seinen Pflichten gegen die Welt durchdrungen und bemühte sich, ihr angenehm zu sein, und so bildete nun das Lächeln eines Tänzers seine einzige Sprache. Ob er zufrieden oder unzufrieden war, er lächelte. Er lächelte bei einer Unglücksbotschaft ebensowohl wie bei der Nachricht von einem glücklichen Ereignis. Dieses Lächeln war durch den Ausdruck, den ihm Herr von Bargeton gab, gut für alles. Wenn eine direkte Zustimmung unumgänglich notwendig war, verstärkte er sein Lächeln durch ein freundliches Lachen, und nur im äußersten Notfall gab er ein Wort von sich. Ein Zusammensein unter vier Augen war die einzige Verlegenheit, die sein vegetatives Leben störte; er war dann gezwungen, in der Unendlichkeit seiner inneren Leere nach etwas zu suchen. Meistens zog er sich dadurch aus der Verlegenheit, dass er die naiven Gewohnheiten seiner Kindheit wieder aufnahm: er dachte laut, weihte seinen Partner in die geringsten Kleinigkeiten seines Lebens ein, drückte ihm seine Bedürfnisse, seine kleinen Stimmungen aus, die er schon für Ideen hielt. Er sprach weder vom Regen noch vom schönen Wetter; er machte keinen Gebrauch von den Gemeinplätzen der Unterhaltung, die die Zuflucht der Schwachköpfe sind, er sprach dann vielmehr von intimeren Angelegenheiten des Lebens.

      »Aus Gefälligkeit gegen Frau von Bargeton habe ich diesen Vormittag Kalbfleisch gegessen, das sie gern hat, und habe Magenschmerzen«, sagte er wohl. »Ich weiß das, ich bekomme sie immer davon; woher kommt das?« Oder auch: »Ich werde klingeln und mir ein Glas Zuckerwasser kommen lassen; wollen Sie auch gleich eins?« Oder auch: »Ich werde morgen ausreiten und meinen Schwiegervater besuchen.«

      Diese kleinen Sätze, die keine Diskussion erlaubten, brachten aus dem Partner ein Nein oder ein Ja heraus, und die Unterhaltung lag wieder am Boden. Herr von Bargeton flehte alsdann seinen Besucher um Hilfe an, indem er seine Stumpfnase zur Seite drehte und ihn mit seinen großen glasigen Augen in einer Weise ansah, die bedeuten sollte: »Sie sagten?« Die langweiligen Menschen, die von nichts anderem reden können als von sich selbst, behandelte er sehr zärtlich, er hörte ihnen mit biederer und zarter Aufmerksamkeit zu, und das machte ihn ihnen so wertvoll, dass die Schwätzer von Angoulême ihm heimlichen Verstand zuschrieben und behaupteten, er werde falsch beurteilt. Daher kamen diese Leute auch, wenn ihnen niemand mehr zuhören wollte, zu Herrn von Bargeton, um bei ihm ihre Geschichten oder ihre Betrachtungen zu vollenden, und waren sicher, sein zustimmendes Lächeln zu finden. Da der Salon seiner Frau immer sehr besucht war, fühlte er sich im allgemeinen wohl darin. Er beschäftigte sich mit den kleinsten Einzelheiten: er achtete darauf, wer eintrat, grüßte den Ankömmling lächelnd und führte ihn seiner Frau zu, er lauerte auf die, die fortgingen, gab ihnen das Geleite und empfing ihre Abschiedsworte mit seinem ewigen Lächeln. Wenn die Unterhaltung belebt war und er jeden beschäftigt sah, blieb der glückliche Stumme, wie ein Storch auf seinen Stelzen, auf seinen hohen Beinen aufgepflanzt und gab sich die Miene, als höre er einem politischen Gespräch zu, oder er sah einem Spieler in die Karten, ohne etwas davon zu verstehen, denn er kannte kein Spiel; oder er ging auf und ab, sog dabei den Rauch seines Tabaks ein, schnaufte und verdaute. Anaïs war der strahlende Punkt in seinem Leben, sie gab ihm unendliche Freuden. Wenn sie ihre Rolle als Herrin des Hauses spielte, streckte er sich in einem Lehnstuhl aus und bewunderte sie; denn sie sprach für ihn. Dann wollte er sich das Vergnügen machen, den Sinn ihrer schwülstigen Sätze zu verstehen; und da er sie oft erst lange, nachdem sie ausgesprochen waren, verstand, gestattete er sich häufig ein Lächeln, das einen Eindruck machte wie Granaten, die sich in die Erde gebohrt hatten und nachträglich platzten. Die Verehrung, die er ihr entgegenbrachte, ging überdies bis zur Anbetung. Genügt eine Anbetung

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