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Tagen oder in vier oder in zehn Tagen, wenn ich sehe, daß der Sahib ein Sucher ist und von gutem Verständnis – werde ich selbst ihm ein anderes malen. Dieses aber ist für die Unterweisung eines Novizen bestimmt. Sage ihm das, Babu.«

      »Er wünscht es aber gleich zu haben – für Geld.«

      Der Lama schüttelte langsam sein Haupt und faltete die Karte zusammen. Der Russe sah nur einen schmutzigen alten Mann wegen eines schmutzigen Stückes Papier schachern. Er zog eine Handvoll Rupien aus der Tasche und griff, halb scherzend, nach der Karte, die beim Festhalten des Lamas zerriß. Ein leises Murmeln des Entsetzens kam von den Kulis her. Sie waren aus Spiti und dem Anschein nach gute Buddhisten. Der Lama erhob sich bei der Kränkung; seine Hand faßte nach dem eisernen Federkasten, der die Waffe des Priesters ist; und der Babu tanzte vor Aufregung.

      »Nun siehst Du es – siehst Du es, warum ich Zeugen haben wollte. Sie sind höchst vorurteilsfreie Leute. O, Sar! Sar! Ihr dürft keinen heiligen Mann beleidigen?«

      »Chela, er hat das Geschriebene Wort entweiht.«

      Und ehe Kim ihn abwehren konnte, hatte der Russe den alten Mann ins Gesicht geschlagen. Im nächsten Augenblick aber rollte er kopfüber den Berg hinab, Kims Hand an seiner Kehle. Der Schlag hatte alle bisher unbekannten irischen Teufel wach gerufen in des Knaben Blut und der plötzliche Fall seines Feindes tat das Übrige. Der Lama, halb betäubt, sank auf die Kniee. Die Kulis flohen mit ihrer Last so rasch bergan, wie es Talbewohner nur in der Ebene können. Sie hatten eine ungeheuere Gotteslästerung gesehen, und sie mußten fliehen, ehe die Götter und Teufel der Hügel Rache nahmen. Der Franzose stürzte, nach seinem Revolver tappend, auf den Lama zu, mit der unklaren Idee, ihn zum Geisel für seinen Gefährten zu machen. Ein Schauer von scharfen Steinen – Gebirgler sind gute Zieler – trieb ihn fort und ein Kuli von Ao-chung riß den Lama mit in die Flucht hinein. Das Alles hatte sich so schnell abgespielt wie die Abenddämmerung im Hochgebirge.

      »Sie haben die Bagage mitgenommen und alle Flinten,« brüllte der Franzose und feuerte blindlings in das Halbdunkel hinaus.

      »Wohl wahr, Sar! Wohl wahr! Aber schießt nicht! Ich muß zur Hilfe eilen.« Und Hurree, den Abhang hinunter stampfend, purzelte buchstäblich über den erstaunten, aber entzückten Kim, der gerade den Kopf seines atemlosen Feindes gegen einen Felsen bumste.

      »Geh zurück zu den Kulis,« flüsterte der Babu ihm ins Ohr. »Sie haben das Gepäck. Die Papiere sind in dem Zelt mit der roten Decke; aber sieh sie alle durch. Nimm ihre Papiere und besonders den Murasla (Königsbrief). Geh! Der andere kommt!«

      Kim kletterte aufwärts. Eine Revolverkugel schlug ihm zur Seite gegen den Felsen an; er kauerte, wie ein Rebhuhn, nieder.

      »Wenn Ihr schießt,« schrie Hurree nach oben, »werden die Kulis herunterkommen und uns vernichten. Den andern Herrn habe ich gerettet, Sar. Dies ist eine ganz besonders gefährliche Geschichte.«

      »Donnerwetter!« Kim dachte englisch. »Dies ist eine verdammt kritische Lage; aber es ist Selbstverteidigung.« Er faßte nach Mahbubs Geschenk auf seiner Brust, und unsicher – er hatte die Waffe noch nie gebraucht, abgesehen von einigen Versuchsschüssen in der Wüste von Bikaner – drückte er den Revolver ab.

      »Was habe ich gesagt, Sar!« Der Babu schien zu weinen.

      »Kommt herunter und helft mir, ihn wieder ins Leben zu rufen. Unser aller Leben hängt an einem Haar, sag ich Euch.«

      Das Schießen hörte auf. Man hörte polternde Schritte, und Kim eilte aufwärts durch die Dunkelheit, fluchend wie ein Eingeborener und fauchend wie eine Katze.

      »Haben sie Dich verwundet, Chela?« erklang des Lamas Stimme über ihm.

      »Nein. Und Du?« Er verschwand in einer Gruppe verkrüppelter Föhren.

      »Nicht verwundet. Komm hinweg. Wir gehen mit diesen Leuten nach Shamlegh – unter – dem – Schnee.«

      »Aber nicht ehe wir Gerechtigkeit geübt haben,« rief eine Stimme. »Ich habe die Flinten der Sahibs, alle vier. Laßt uns hinunter gehen.«

      »Er schlug den Heiligen – wir sahen es! Unser Vieh wird unfruchtbar werden – unsere Weiber werden aufhören zu gebären! Der Schnee wird auf uns niederfallen, wenn wir heimwärts gehen …«

      Die aufgeregten Kulis drängten sich in den Föhren zusammen, in ihrer Furcht und Panik waren sie zu allem fähig. Der Mann aus Ao-chung ruckte ungeduldig am Schlußhahn seines Gewehres und wollte hinuntersteigen.

      »Warte ein wenig. Heiliger; sie sind noch nicht weit fort; warte, bis ich wiederkomme.«

      »Ich bin es, der Unrecht erlitten hat,« sprach der Lama, die Hand an die Stirn legend.

      »Darum eben,« war die Antwort.

      »Wenn ich es übersehe, sind Euere Hände rein, überdies, Ihr erwerbt Verdienst durch Gehorsam.«

      »Warte,« beharrte der Mann, »wir wollen nachher zusammen nach Shamlegh gehen.«

      Einen Augenblick, kaum so lange wie man eine Patrone in den Verschluß des Gewehrs schiebt, zögerte der Lama. Dann stand er auf und legte einen Finger auf des Mannes Schulter.

      »Hast Du gehört? Ich sage, es soll nicht getötet werden – ich – der Abt von Such-zen war. Trägst Du Verlangen, als Ratte wiedergeboren zu werden oder als Schnecke unter dem Efeu – als Wurm im Leib des niedrigsten Tieres – Ist es Dein Wunsch, zu –«

      Der Ao-chunge fiel auf seine Knie, denn die Stimme dröhnte wie ein tibetanischer Teufels-Gong.

      »Ai! Ai!« schrien die Spiti-Männer, »verwünsche uns nicht – verwünsche ihn nicht. Es war nur sein Eifer, Heiliger! … Wirf das Gewehr von Dir, Narr!«

      »Unwille auf Unwille! Übel auf Übel! Es soll nicht getötet werden. Laßt die Priester-Schläger in die Sklaverei ihrer eigenen Taten gehen. Gerecht und untrüglich ist das Rad und weicht nicht ein Haarbreit ab! Sie werden noch viele Male wiedergeboren werden – in Qual.« Sein Kopf sank nieder und er stützte sich schwer auf Kims Schulter.

      »Ich kam nahe an großes Unrecht, Chela,« sprach er leise in dem Schweigen unter den Föhren. »Ich war in Versuchung, die Kugel abzuschießen; und wahr ist es, in Tibet würde ein schwerer und ein langsamer Tod ihr Los gewesen sein … Er schlug mich ins Gesicht… auf das Fleisch …« Er glitt schwer atmend auf den Boden nieder und Kim hörte das überanstrengte Herz klopfen und aussetzen.

      »Haben sie ihn zu Tode getroffen?« fragte der Ao-chunge und die andern standen stumm dabei.

      Kim kniete in tödlicher Angst neben dem Körper. »Nein,« rief er endlich leidenschaftlich, »es ist nur Schwäche.« Er besann sich, daß er ein weißer Mann war und daß weißer Männer Hilfsmittel in seiner Hand waren.

      »Öffnet die Zelte!« rief er. »Die Sahibs werden Arznei haben.«

      »Oho! Die kenne ich,« lachte der Mann. »Nicht umsonst war ich fünf Jahre Pankling Sahibs Shikarri. Ich habe sie auch geschmeckt. Schaut her!«

      Er zog aus seiner Brust eine Flasche billigen Whiskys, wie er in Leh Pfadfindern verkauft wird, und goß geschickt ein wenig zwischen des Lamas Zähne.

      »So machte ich es, als Pankling Sahib sich jenseits Astor den Fuß verstauchte. Oho! Ich habe schon in ihre Körbe geschaut – in Shamlegh wollen wir redlich teilen. Gebt ihm etwas mehr. Es ist gute Medizin. Fühlt, sein Herz geht schon besser. Legt seinen Kopf nieder und reibt ihm die Brust ein wenig. Wenn er etwas gewartet hätte, bis ich die Sahibs zur Rechenschaft gezogen, würde dies nicht passiert sein. Aber vielleicht werden die Sahibs uns nun verfolgen. Dann wäre es doch keine Sünde, sie mit ihren eigenen Flinten totzuschießen, he?«

      »Einer hat bereits seine Bezahlung,« murmelte Kim. »Ich trat ihm in die Rippen, als wir bergab rollten. Wollte, ich hätte ihn getötet.«

      »Man kann wohl kühn sein, wenn man nicht in Rampur lebt,« sagte einer, dessen Hütte nur wenige Meilen von des Rajahs baufälligem Palaste lag. »Wenn wir uns einen schlechten Namen bei den Sahibs machen, braucht man uns

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