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Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke von Rudyard Kipling
Год выпуска 0
isbn 9788027209255
Автор произведения Редьярд Киплинг
Издательство Bookwire
Kims Erlebnisse in St. Xavier, die eines Knaben unter dreihundert frühreifen jungen Menschen, von welchen die meisten noch nie das Meer gesehen hatten, bieten wenig Neues. Er verbüßte die gewöhnlichen Strafen für Fortlaufen über die bestimmten Schranken, wenn Cholera in der Stadt war und er nach dem Basar rannte, um einen Briefschreiber aufzutreiben, solange er selbst noch nicht Englisch schreiben konnte. Er wurde natürlich angeschrieben wegen des Rauchens und wegen so saftiger Kraftausdrücke, wie sie selbst in St. Xavier unerhört waren. Er lernte sich waschen mit der scheinheiligen Gewissenhaftigkeit der Eingeborenen, in deren Meinung der Engländer für sehr schmutzig gilt. Er trieb die gewöhnlichen Späße mit den geduldigen Kulis, die die Punkahs ziehen mußten in den Schlafräumen, wo die Knaben in den heißen Nächten sich herumwarfen und bis zur Morgendämmerung Geschichten erzählten; und schweigend maß er sich in Gedanken mit seinen selbstbewußten Kameraden. Diese waren Söhne von untergeordneten Beamten beim Eisenbahn-, Telegraphen-und Kanaldienst, von Offizieren in und außer Dienst, zuweilen aktiven als Oberbefehlshaber der Armee eines feudalen Rajahs; von Regierungs-Pensionierten, von Pflanzern, von Missionaren und Ladenbesitzern aus der Residentschaft. Einige waren jüngere Söhne von alten eurasischen Familien, die sich in Durrumtollah festgewurzelt haben – von Pereiras, de Souzas, de Silvas. Ihre Eltern konnten sie wohl in England erziehen lassen, aber sie bevorzugten die Schule, die sie in ihrer eigenen Jugend besucht, und so folgte in St. Xavier eine gelbbleiche Generation der anderen. Ihre Wohnsitze erstreckten sich von Howrah, wo der Eisenbahnverkehr herrscht, bis zu verlassenen Quartieren, wie Monghyr und Chunar, vergessenen Teeplantagen an der Shillong-Straße, Dörfern in Oudh oder dem Dekkan, wo ihre Väter große Grundbesitzer waren, Missions-Stationen, sieben Tage von der nächsten Eisenbahn entfernt, Seehäfen, tausend Meilen gen Süden, im Angesicht der metallschimmernden Indischen Brandung und noch südlicheren China-Baumpflanzungen. Die Erzählung allein ihrer Abenteuer, die für sie keine Abenteuer waren, auf ihren Reisen von und nach der Schule, hätte einem europäischen Knaben das Haar gesträubt. Sie waren es gewohnt, allein hundert Meilen weit durch Dschungel zu streichen, immer mit der entzückenden Möglichkeit, von Tigern angefallen zu werden; aber sie würden eben so wenig im August-Monat im Canal la Manche gebadet haben, wie ihre europäischen Brüder stillgelegen hätten, wenn ein Leopard ihren Reisekarren umschnüffelte. Da waren Knaben von fünfzehn Jahren, die anderthalb Tage auf einem Inselchen inmitten eines angeschwollenen Stromes zugebracht und wie etwas selbstverständliches die Leitung über eine dort lagernde, vor Angst halb wahnsinnige Pilgerschar, auf der Rückkehr von irgendeinem Heiligengrab begriffen, übernommen hatten. Andere wieder, ältere, hatten einen ihnen zufällig begegnenden, einem Rajah gehörigen Elefanten, im Namen von St. Francis Xavier für sich requiriert, als der Fahrweg zu ihres Vaters Besitzung von dem Regen zerstört war, und hätten um ein Haar das ungeheuere Tier in einer Wanderdüne verloren. Da war ein Knabe, der erzählte und niemand zweifelte an seinen Worten, daß er seinem Vater geholfen hätte, einen Angriff von Akas von der Veranda aus mit Flinten zurückzutreiben, in den Tagen, als diese Kopfjäger noch einsame Pflanzungen keck überfielen.
Und jede Geschichte wurde mit der leidenschaftslosen, ruhigen Stimme der Eingeborenen erzählt, oft untermischt von seltsamen Betrachtungen, die ihnen, halb unbewußt, von ihren eingeborenen Pflegemüttern überkommen waren und mit Redewendungen, die zeigten, daß sie im selben Augenblick aus dem Dialekt übertragen waren. Kim beobachtete, lauschte und zollte Beifall. Das war kein fades, eintöniges Geschwätz von Trommlerjungen, das handelte vom Leben, das er verstand und halb und halb kannte. Diese Atmosphäre sagte ihm zu. Er wuchs zusehends. Man gab ihm einen weißen Drellanzug, als es warm wurde; die äußerliche Behaglichkeit erfreute ihn, wie es ihm Freude machte, seinen scharfen Verstand an den ihm zuerteilten Aufgaben zu erproben. Seine schnelle Auffassung würde einen europäischen Lehrer entzückt haben; in St. Xavier aber war diese stürmische Entwicklung des Geistes unter der Einwirkung der Sonne und Umgebung ebenso bekannt, wie ein plötzliches Versagen, das im Alter von zwei-oder dreiundzwanzig Jahren eintritt.
Er hielt sich aber bescheiden zurück, wie man ihm empfohlen hatte.
Wenn während der heißen Nächte Geschichten erzählt wurden, hütete er sich wohl, seine Reminiszenzen aufzutischen, denn in St. Xavier sieht man auf den Knaben herab, der sich viel mit Eingeborenen abgibt. Man darf nicht vergessen, daß man ein Sahib ist und eines Tages, wenn das Examen bestanden, über Eingeborene befehlen wird.
Kim nahm sich das ad notam; er begann zu verstehen, wohin ein gutes Examen führt.
Es kamen die Ferien von August bis Oktober – die langen Ferien, durch Hitze und Regen bedingt. Man sagte Kim, er würde nordwärts geschickt nach einer Hügel-Station jenseits Umballa, wo Vater Victor ihn unterbringen würde.
»Eine Kasernen-Schule?« fragte Kim, der viel fragte und noch mehr dachte.
»Ich vermute es,« antwortete der Lehrer. »Es wird Dir nicht schaden, wenn Du einmal keine dummen Streiche machen kannst. Du kannst mit dem jungen de Castro bis Delhi fahren.«
Kim erwog es von allen Seiten. Er war fleißig gewesen, wie der Oberst ihm geraten. Die Ferien gehörten dem Schüler ganz allein; soviel hatte er aus den Reden seiner Kameraden erfahren und – nach St. Xavier eine Kasernen-Schule – das war unerträglich. Überdies – und das war ein unschätzbares Zaubermittel – er konnte jetzt schreiben! In drei Monaten hatte er begreifen lernen, wie Menschen mit einander reden können, ohne daß ein Dritter darum weiß, mittels einer halben Anna und ein bißchen Wissen. Kein Wort war von dem Lama gekommen; aber dafür war ja die Landstraße da. Kim sehnte sich nach der Liebkosung weichen Schmutzes, der zwischen den Zehen aufspritzt; der Mund wässerte ihm nach mit Butter und Kohl gedämpftem Hammelfleisch, nach Reis mit scharf riechendem Cardamom gemischt, dem safranfarbigen Reis mit Zwiebeln und Knoblauch, und nach den verbotenen fettigen Süßigkeiten der Bazare. In der Kasernen-Schule würde man ihm rohes Fleisch auf flachen Schüsseln geben, und rauchen dürfte er nur heimlich. Wiederum – er war ein Sahib und in St. Xavier – und das Schwein Mahbub Ali … Nein, er wollte Mahbubs Gastfreundschaft nicht auf die Probe stellen – und doch … Im Schlafsaal brachte er seine Gedanken zu Ende und kam zu der Erkenntnis, daß er ungerecht gegen Mahbub wäre.
Die Schule war leer, fast alle Lehrer schon fort; Oberst Creightons Freibillet für die Eisenbahn hielt Kim in der Hand und lobte sich selbst, daß er Creightons und Mahbubs Geld nicht vernascht hatte. Noch war er Herr über zwei Rupien und sieben Annas. Sein neuer Büffelleder-Koffer, »K. O’H.« gezeichnet, und sein zusammengerolltes Bettzeug lag in dem leeren Schlafsaal. »Sahibs schleppen sich immer mit ihrer Bagage herum,« sprach Kim, der seinen zunickend. »Ihr bleibt hier.« Er trat hinaus in den warmen Regen, lächelte sündhaft und suchte ein gewisses Haus auf, dessen Aussehen er vor längerer Zeit sich gemerkt hatte.
»Halt! Weißt Du nicht, welcher Art Mädchen in diesem Quartiere sind? O, schäme Dich!«
»Bin ich gestern geboren?« Kim kauerte sich nach heimischer Sitte in jenem Obergeschoß auf den Polstern nieder. »Ein wenig Farbstoff und ein paar Meter Zeug, um einen Scherz auszuführen, ist das viel verlangt?«
»Wer ist Sie? Jung genug für einen Sahib bist Du zu solchem Teufelsstreich.«
»O, Sie? Sie ist die Tochter eines gewissen Schulmeisters in einer Militärstation. Er hat mich zweimal geprügelt, weil ich in diesen Kleidern über ihre Mauer stieg. Ich möchte es nun als ein Gärtnerbursche versuchen. Alle Männer sind so eifersüchtig.«
»Das ist richtig. Halt Dein Gesicht ruhig, während ich den Saft aufspritze.«
»Nicht zu schwarz, Naikan. Ich möchte ihr nicht wie ein Nigger erscheinen.«
»O, Liebe macht sich daraus nichts. Und wie alt ist sie?«
»Zwölf Jahre, glaube ich,« sagte der unverschämte Kim.
»Schmiere auch etwas auf die Brust. Könnte passieren, daß der Vater mir die Kleider herunterreißt, und wenn ich buntscheckig bin –« er lachte.
Das Mädchen arbeitete flink, einen zusammengewickelten Zeuglappen