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selbst hatte den Abend als anstrengend empfunden. Unterschwellige Spannungen waren immer schwer auszuhalten, fand sie, und so hatte sie weder das Essen noch die Unterhaltung genießen können. So schön es vor Bettinas Ankunft mit Alexa zusammen gewesen war, so mühsam fand sie es jetzt. Es würde schön sein, am folgenden Tag nach Sternberg zurückzukehren.

      Es klopfte leise. »Ja, bitte?«

      Zu Sofias Erstaunen kam Bettina herein. »Ich wollte mich bei dir bedanken, Sofia. Mir ist klar, dass du heute keinen sehr amüsanten Tag mit Mama verbracht hast. Trotzdem hast du die Ruhe bewahrt.«

      »Es gibt ja auch nichts, was mich beunruhigen müsste, Tina. Versuch, deine Mutter zu verstehen. Sie hatte sich eben alles ganz anders vorgestellt.«

      »Ich verstehe sie ja«, erklärte Bettina. »Und glaub mir: Ich habe mir auch vieles anders vorgestellt.«

      »Irgendwann solltet ihr in Ruhe miteinander reden – das kann doch nicht so schwer sein, oder? Es sind so reizende Kinder, Tina, man muss sie einfach lieben.«

      Bettina nickte, dann sagte sie etwas, das Sofia überhaupt nicht verstand: »Das ist es ja, was alles noch viel schwerer macht!«

      »Wie meinst du das?«

      »Ich kann es dir jetzt nicht erklären, Sofia. So, wie ich nicht erklären kann, warum ich über den Vater der Zwillinge nicht reden kann. Es gibt gute Gründe dafür.«

      »Davon gehe ich aus«, erwiderte Sofia. »Gib deinen Eltern ein biss­chen Zeit, dann werden sie mit Sicherheit auf deiner Seite stehen.«

      »Hat Mama schon … hat sie es meinem Vater schon erzählt?«

      »Nein, noch nicht. Er ist ja noch unterwegs, muss offenbar schwierige Verhandlungen führen und fliegt erst heute Nacht zurück. Deshalb hat sie sich entschlossen, ihm noch nichts zu sagen. Außerdem, denke ich, wollte sie selbst versuchen, noch ein wenig Abstand zu gewinnen.«

      »Was für ein Glück, dass ihr Mama nach Frankfurt begleitet habt, Sofia! Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh ich darüber bin. Wäre sie allein gewesen …« Bettina verstummte angesichts dieser Vorstellung.

      Sofia umarmte die zarte junge Frau. »Jetzt hör auf, dich verrückt zu machen. Deine Eltern sind klug, sie lieben dich – und sie werden auch die Zwillinge lieben!«

      Bettina nickte nur, drückte Sofia liebevoll an sich und verließ das Zimmer.

      *

      »Tolles Konzert«, sagte Helen Marienhagen zu ihrem Mann und küsste ihn leidenschaftlich. »Euer bestes bisher, Clemens.«

      Er hielt sie fest. »Ist das dein Ernst?«

      »Habe ich dich schon einmal angelogen?«

      »Ich hoffe nicht!«, lächelte er. »Ich fand es auch gut heute, wir kommen allmählich richtig in Schwung.«

      Sie küsste ihn erneut, deshalb hörten sie beide nicht, wie die Tür von Clemens’ Garderobe geöffnet wurde. Erst als jemand Beifall klatschte und ›Bravo, bravo!‹ rief, ließ Clemens seine Frau los.

      »Lili!« Helen strahlte ihre Schwester an. Lili war ihr äußerlich sehr ähnlich, aber viel zurückhaltender als die tatkräftige Helen, die schon als Kind verstanden hatte, ihren Willen durchzusetzen. »Wo kommst du denn her?«

      »Ich wollte meinen Schwager mal wieder spielen hören«, erklärte Lili Paulsen und umarmte erst Helen, dann Clemens. »War ein großartiges Konzert, Clemens, ihr werdet immer besser.«

      »Genau das habe ich eben auch gesagt, schöne Schwägerin«, erklärte er. »Gehst du noch mit uns und den Jungs was trinken?«

      »Weshalb wäre ich sonst noch hier?«, fragte Lili.

      »Das sind ja ganz neue Töne«, wunderte sich Helen. »Meine häusliche Schwester Lili geht abends zu später Stunde mit uns etwas trinken! Wann hat es denn das schon mal gegeben?«

      »Auch ein häuslicher Mensch vergnügt sich ab und zu«, erklärte Lili lachend. »Ich glaube, ihr habt ein völlig falsches Bild von mir. Nur weil ich Lehrerin bin und nicht so schillernde Berufe habe wie ihr …«

      Die Tür wurde aufgerissen. »Kommt ihr endlich? Die Jungs haben Durst!«

      Es war Bonny, der Gitarrist der Band, der bei Lilis Anblick erfreut lächelte. »He, schöne Frau, gehst du etwa auch mit?«

      »Ja, tue ich, Bonny. Tolles Solo, das du bei der Zugabe gespielt hast.«

      Er strahlte sie an, und wenig später machten sie sich auf den Weg in ihr Lieblingslokal.

      *

      »Ich haue ab, Mo«, sagte Konstantin nach einem Blick auf die Uhr. »War ein richtig schöner Abend, ich habe ihn genossen, aber jetzt muss ich gehen, damit ich morgen gleich wieder richtig in die Arbeit einsteigen kann.«

      »Müde kannst du eigentlich noch nicht sein, wenn du erst um fünf aufgestanden bist«, stellte Moritz fest.

      »Doch, irgendwie bin ich trotzdem schon wieder müde. Du vergisst, dass ich wochenlang zu wenig geschlafen habe.«

      »Na schön, dann geh halt. Schade, aber ich verstehe es ja. Wir sehen uns dann spätestens am Mittwoch zu diesem Vortrag, oder?«

      »Auf jeden Fall.«

      »Ich bleibe noch ein bisschen.«

      Moritz bestellte sich ein weiteres Bier, als Konstantin gegangen war. Er hatte es gerade bekommen, als die Tür des Lokals geöffnet wurde und eine große Gruppe wild aussehender Gestalten hereindrängte. Überwiegend waren es junge Männer, aber Moritz entdeckte auch einige Frauen darunter – eine davon war unzweifelhaft Helen Marienhagen, Konstantins Verlegerin. Er hob die Hand und winkte ihr zu.

      Sie löste sich aus dem Arm ihres Mannes und kam direkt auf ihn zu. »Hallo, Mo!«, sagte sie. Er bekam Küsschen rechts und links, dann fragte sie: »Willst du dich nicht zu uns setzen? Du siehst ein wenig einsam aus.«

      »Bis eben war Konstantin hier, aber du kennst ihn ja: Pflichtbe­wusst, wie er ist, hat er sich bereits verabschiedet, weil er morgen wieder pünktlich an der Arbeit sitzen will. Er hat bis fünf Uhr heute Nachmittag geschlafen nach deinem Anruf.«

      »So ähnlich habe ich mir das vorgestellt«, erklärte Helen. »Hoffentlich schafft er es jetzt wirklich ohne weiteren Stress.«

      »Ich denke schon.« Moritz nahm sein Bier und folgte Helen zu den anderen.

      Einige von ihnen kannte er, die meisten jedoch nicht. Ihm war klar, dass sich hier nicht nur die Mitglieder der Rockband von Helens Mann versammelt hatten, sondern das gesamte Team, das für den reibungslosen Ablauf der Konzerte hinter den Kulissen verantwortlich war.

      »Setz dich zu Lili«, schlug Helen vor. »Du kennst meine kleine Schwester noch gar nicht, oder?«

      »Nein«, antwortete Moritz. »Wer ist denn deine Schwester?«

      Helen lachte schallend. »Na, die Familienähnlichkeit ist doch eigentlich unverkennbar, oder? Lili, kümmere dich ein bisschen um Moritz, ja? Er ist Konstantins bester Freund.«

      Und so fand sich Moritz plötzlich neben einer jüngeren Ausgabe von Helen wieder. Lili Paulsens grüne Augen richteten sich aufmerksam forschend auf ihn, dann lächelte sie. »Hallo, ich bin Lili«, sagte sie.

      »Moritz. Die meisten sagen Mo zu mir.«

      »Und? Gefällt dir das?«

      Er zögerte kurz. »Es geht«, gestand er. »Ich finde Moritz eigentlich auch ganz schön.«

      »Dann nenne ich dich so. Hast du etwas mit der Band zu tun?«

      »Überhaupt nicht. Ich kenne Helen, weil sie Konstantins Verlegerin ist. Na ja, und ihren Mann kenne ich auch. Einige andere vom Sehen, weil ich schon ein paar Konzerte der Band gehört habe.«

      »Heute war es toll«, sagte Lili nachdenklich. »Vielleicht werden die Jungs doch noch mal richtig erfolgreich.«

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