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hatte noch eine halbe Stunde mit dem Veranstalter zusammengesessen, der ihr einen Tee gekocht und sich noch einmal herzlich bei ihr bedankt hatte. Nun ging sie zu ihrem Wagen, um zurück zu ihren Eltern und den Zwillingen zu fahren. Bei diesem Gedanken lächelte sie unwillkürlich. Die Liebe ihres Vaters zu Miriam und Paul wurde rückhaltlos erwidert – und mittlerweile wollte auch ihre Mutter nicht mehr abseits stehen und bemühte sich um die Zuneigung der Babys. Aber ihr Vater hatte, schätzte Bettina, einen uneinholbaren Vorsprung.

      Die ersten unangenehmen Erfahrungen hatten sie natürlich auch schon machen müssen. Ein paar neugierige Besucher waren bei den Rabenfels’ aufgetaucht, unter leicht durchschaubaren Vorwänden. In Wirklichkeit ging es jedes Mal um ›die schwarzen Zwillinge‹, wie sich nach kurzer Zeit herausstellte. Ihr Vater wurde mit solchen Besuchern deutlich besser fertig als ihre Mutter, die noch immer dazu neigte, die Nerven zu verlieren. Einige Gerüchte waren auch bereits in Umlauf – der Vater der Kinder sei drogensüchtig, deshalb sei Bettina nach Deutschland zurückgekehrt, um die Kinder dem Einfluss des Vaters besser entziehen zu können. Woher solche Geschichten wohl kamen? Irgendjemand musste sie sich schließlich ausdenken und in die Welt setzen – aber mit welchem Ziel? Was brachte es einem Menschen, Lügen über andere zu erzählen? Sie würde das niemals begreifen.

      »Frau Dr. von Rabenfels?«

      Sie war so in Gedanken gewesen, dass sie regelrecht zusammenzuckte.

      »Es tut mir leid, ich wollte Sie nicht erschrecken«, entschuldigte sich der Mann, der sie angesprochen hatte.

      Sie erinnerte sich sofort an ihn, er war in ihrem Vortrag gewesen: Dichte braune Haare, kluge braune Augen, ein schmales, gut geschnittenes Gesicht. Er hatte neben dem Dunkelhaarigen gesessen, der so viele Fragen gestellt hatte. »Ich war in Gedanken«, erklärte sie mit einem Lächeln. »Normalerweise bin ich nicht so schreckhaft.«

      »Ich bin Konstantin von Klawen«, stellte er sich vor.

      Ihre Augen wurden groß. »Sind Sie der Autor?«, fragte sie.

      Er nickte. »Sie kennen meine Bücher?«

      »Aber ja, wir alle, die wir in Afrika arbeiten, kennen Ihre Bücher. Ich fühle mich geehrt, dass Sie meinen Vortrag angehört haben.«

      »Es war ein sehr guter Vortrag«, erklärte er sachlich. »Und ich würde gern noch ein wenig mit Ihnen über Ihre Arbeit reden, wenn Sie Zeit haben.«

      Sie sah auf die Uhr. »Anderthalb Stunden hätte ich noch«, sagte sie.

      »Darf ich Sie zum Essen einladen?«, fragte Konstantin erfreut.

      Sie lächelte. »Gern. Wenn ich ehrlich sein soll, ich bin völlig ausgehungert.«

      Er schlug vor, seinen Wagen zu nehmen, und sie willigte ein. Welch unvorhergesehene Wendung dieser Abend doch nahm! Sie spürte ihr Herz heftig klopfen, und zum ers­ten Mal seit langer Zeit war es wieder da, dieses angenehme Kribbeln im Bauch, das sie schon beinahe vergessen hatte.

      *

      »Ich verstehe dich nicht, Henning«, sagte Alexa von Rabenfels. »Wie kannst du nur so gelassen bleiben?«

      Er sah seine Frau nachdenklich an. »Und wie kannst du an unserer Tochter zweifeln?«, fragte er.

      »Was soll das denn heißen?«, rief sie ärgerlich. »Ich fühle mich von ihr getäuscht, weil sie mir etwas Wichtiges verschwiegen hat – sehr lange verschwiegen. Ist das nicht verständlich?«

      »Wenn du es unbedingt so sehen willst, dann schon. Aber wenn du dir klar machst, dass sie das nie im Leben getan hat, ohne triftige Gründe dafür zu haben, dann eigentlich nicht. Vertrau ihr, sie wird uns irgendwann erklären, warum sie sich so und nicht anders verhalten hat.«

      »Du stellst es ja beinahe so hin, als hätte ich mir in dieser Angelegenheit etwas zuschulden kommen lassen.«

      »Mangelndes Vertrauen«, stellte er ruhig fest. »Hör auf, immer und immer wieder die gleichen Vorwürfe gegen Tina zu wiederholen, Alexa. Nimm die Situation, wie sie ist, und finde dich damit ab. Es wird dir besser gehen, glaub mir.«

      Der Butler erschien an der Tür und meldete den Besuch der Gräfin zu Stabenow.

      »Auch das noch, diese alte Klatschtante!«, stöhnte Alexa.

      »Wir werden schon mit ihr fertig«, erwiderte Henning von Rabenfels gelassen.

      Gleich darauf kam Irina Gräfin zu Stabenow mit weit ausgebreiteten Armen auf sie zu. Sie umarmte die widerstrebende Alexa, scheiterte jedoch an dem Versuch, Henning ebenfalls in ihre Arme zu ziehen. Er ergriff ihre Hand und drückte sie. »Nun, Irina«, fragte er, »welchem Umstand verdanken wir denn deinen überraschenden Besuch?«

      Die Gräfin lachte gekünstelt. »Na, hör mal, Henning, man braucht doch nicht immer einen Grund, um seine Freunde zu besuchen, oder?«

      »Ich würde uns nicht direkt als Freunde bezeichnen«, erwiderte er. »Wir haben uns vor etwa einem Jahr das letzte Mal gesehen.«

      »Du weißt ja, es ist immer so schrecklich viel zu tun – und mit einem Mal ist ein Jahr vorüber, und man weiß gar nicht, wo es geblieben ist.« Die Augen der Gräfin huschten flink durch den Salon, fanden aber keinen Hinweis auf die Anwesenheit zweier Babys.

      Die forschenden Blicke entgingen weder Alexa noch Henning. War Alexa vorher noch verzagt und kleinmütig gewesen, so stellte sie jetzt überrascht fest, wie sie zornig wurde auf diese neugierige Person, die einzig und allein den Zweck verfolgte, zu spionieren und Stoff für weitere Gerüchte zu sammeln.

      »Wo ist denn Tina?«, fragte die Gräfin mit unschuldsvollem Lächeln.

      »Man hört ja so allerhand, seit sie aus Afrika zurück ist.«

      »Was hört man denn, Irina?« Hennings Stimme klang gefährlich sanft, was die Gräfin jedoch nicht merkte.

      »Nun, dass sie … dass sie sich zwei Andenken aus Afrika mitgebracht hat! Ist das wirklich wahr? Hat sie schwarze Zwillinge bekommen?«

      »Darf ich fragen, was dich das angeht, Irina?«, fragte Henning.

      »Entschuldige, Henning, aber als alte Freundin der Familie werde ich doch wohl mal fragen dürfen.«

      »Du bist keine alte Freundin der Familie«, erklärte nun Alexa. »Du warst noch nie unsere Freundin, Irina. Als Tina damals nach Afrika gegangen ist, hast du lauter Gerüchte über sie in die Welt gesetzt, keins davon hat der Wahrheit entsprochen. Erinnerst du dich? Du hast behauptet, dass sie ihr Examen nicht geschafft hat und deshalb nach Afrika verschwinden musste, damit hier niemand etwas davon erfährt.«

      Auf den Wangen der Gräfin erschienen hektische rote Flecken. »Das ist nicht wahr!«, rief sie mit scheinheiliger Empörung. »Ich weiß wirklich nicht, wer so etwas über mich erzählt.«

      »Es war jemand, der, im Gegensatz zu dir, ein wahrer Freund ist und dem wir deshalb vertrauen. Dürfen wir dich bitten, uns jetzt wieder zu verlassen? Und in Zukunft darfst du auf derartige ›Freundschaftsbesuche‹ gern verzichten.«

      Die Gräfin schnappte nach Luft. Gerade erst war sie gekommen, nun wurde sie schon wieder zum Gehen genötigt. »Ich weiß wirklich nicht …«, japste sie, doch sie kam nicht dazu, ihren Satz zu beenden, denn Alexa hatte nach dem Butler geklingelt.

      »Gräfin zu Stabenow möchte gehen«, erklärte sie.

      Über das Gesicht des Butlers huschte ein kaum wahrnehmbares Lächeln, das jedoch sofort wieder verschwand. »Wenn Sie mir bitte folgen würden, gnädige Frau«, sagte er höflich und hielt ihr die Tür auf.

      Irina zu Stabenow folgte ihm ohne weiteres Wort. An der Tür jedoch hielt sie noch einmal inne und verkündete mit bebender Stimme: »Das werdet ihr bereuen.«

      »Oder du, Irina«, rief Henning erbost. »Verleumdung ist strafbar, falls du das noch nicht wusstest!«

      Der Butler schloss die Tür, sie waren wieder allein. Nach einer Weile stellte Alexa fest: »Klug war das nicht. Sie wird sich rächen, Henning.«

      Er

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