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Mr. Pastore zwinkerte mir zu, dann fischte er unter der Theke herum und holte mehrere Packungen in Wachspapier gewickelten Aufschnitt hervor. »Ich habe im Caller gelesen, dass du den ersten Platz bei ihrem Wettbewerb im kreativen Schreiben belegt hast«, sagte er, während er die Waren in die Kasse eintippte. »Das ist echt klasse, Angelo. Gratuliere.«

      »Danke.«

      »Wird die Siegergeschichte veröffentlicht?«

      »Naja, so hatte es anfänglich zumindest geheißen, danach meinten sie aber, die Geschichte sei zu lang«, erklärte ich. »Aber sie haben mir einen Scheck über fünfzig Mäuse zugeschickt.«

      »Fantastisch!« Mr. Pastore schob sich seine Brille den Nasenrücken hoch und las die Gesamtsumme von der Kasse ab.

      Ich reichte ihm zwanzig Dollar und wartete auf mein Wechselgeld.

      Der Mann in dem marineblauen Pullover neben mir tappte nervös mit dem Fuß auf den Boden. Ich drehte mich um und sah ihn an. Unsere Blicke trafen sich. Er hatte kleine dunkle Augen, die ebenso nervös schienen, wie sein tappender Fuß sich anhörte. Eine Sekunde später wandte er sich ab.

      Mr. Pastore, der wohl mein Unbehagen gespürt haben musste, lächelte mich matt an. »Heute Abend war unten am Park ganz schön was los. Sie haben die Kreuzung an der Counterpoint gesperrt. Du hast vielleicht die Polizeiwagen gesehen.«

      »Ja …« Mein Mund wurde schlagartig trocken. Das Bild des toten Mädchens mit dem eingeschlagenen Schädel tauchte jäh wieder vor meinen Augen auf – ich konnte es einfach nicht abschütteln. Plötzlich spürte ich nur noch die brütende Hitze aus dem Heizlüfter über der Ladentür.

      »In der Stadt geht die Sorge um, dass jemandem etwas zugestoßen sein könnte«, fuhr Mr. Pastore fort. Er hatte noch immer dieses gezwungene Lächeln im Gesicht, doch sein Tonfall war ernst. »Man befürchtet, es könnte eines der … nun ja, du weißt schon …«

      Ich öffnete den Mund, um ihm zu erzählen, dass ich die Polizei ein totes Mädchen auf einer Trage aus dem Wald hatte bringen sehen, aber überlegte es mir doch anders. Ich blickte zu dem Mann im marineblauen Pullover. Was, wenn er der Vater des toten Mädchens war? Der Gedanke traf mich wie ein Schlag aus der Steckdose. Wollte ich wirklich derjenige sein, der ihm diese Hiobsbotschaft offenbarte?

      Mr. Pastore reichte mir mein Wechselgeld, das ich in meine Jackentasche stopfte. Ich schnappte mir die Einkaufstüte vom Tresen, bedankte mich bei ihm und ging eilig zur Tür.

      »Angelo?«, stoppte mich Mr. Pastore. Als ich mich umdrehte, um ihn anzusehen, sagte er: »Vielleicht ist es das Beste, wenn du dich heute direkt auf den Weg nach Hause machst, ja? Kein Herumtrödeln.«

      Vorübergehend nicht in der Lage, einen Ton zu sprechen, nickte ich nur.

      »Guter Junge«, lobte er.

      Ich öffnete die Ladentür und trat hinaus in die hereinbrechende Dunkelheit.

      KAPITEL ZWEI

      Die Shallows

      Als ich nach Hause kam, war es bereits dunkel. Im alten Dunbar-Haus nebenan brannte Licht und ein Auto parkte in der Einfahrt. Die neuen Nachbarn waren vor ein paar Tagen eingetroffen, aber ich war noch keinem von ihnen begegnet. Bislang hatte ich auch noch keinen Umzugswagen vor dem Haus gesehen, also nahm ich an, dass sie wohl noch immer nicht vollständig eingezogen waren.

      Mein Vater hätte an diesem Abend eigentlich frei haben sollen, doch sein Zivilstreifenwagen stand nicht in der Einfahrt und ich fragte mich, ob er wohl wegen des toten Mädchens trotzdem arbeiten musste. Bevor ich ins Haus ging, klopfte ich mir den Schmutz von meinen Sneakers am Türpfosten des Cape-Cod-Hauses ab, in dem ich schon mein ganzes Leben lang wohnte.

      Als ich die Haustür öffnete und eintrat, wurde ich von einem Schwall warmer Luft und dem einladenden Aroma der Pasta Fagioli meiner Großmutter, die auf dem Herd simmerten, begrüßt. In ein mit dem Duft italienischer Küche erfülltes Haus zu kommen, hatte etwas unheimlich Behagliches an sich. In der Diele trat ich mir achtlos die Sneakers von den Füßen und spürte ein Kribbeln in den Lippen und Fingerspitzen, die sich allmählich aufzuwärmen begannen.

      Ich ging den Flur entlang und steckte den Kopf ins Wohnzimmer, um nach meinem Großvater zu sehen, der, eingetaucht in den flimmernden blauen Schein des Fernsehers, friedlich in seinem Wohlfühlsessel vor sich hinschlummerte.

      In der Küche legte ich die Einkäufe auf den Tisch, ließ mir meine Jacke von den Schultern rutschen und hängte sie über eine Stuhllehne. Meine Großmutter stand vor dem Herd, dirigierte ein Orchester aus dampfenden, sprudelnden Töpfen und Pfannen, und sah in ihrem geblümten Schürzenkleid wie eine Tapete aus. Ihr silbernes Haar war streng zu diesem typischen stahlfarbenen Dutt zurückgebunden, der bei Frauen über fünfundsechzig äußerst beliebt war und nie aus der Mode zu kommen schien.

      »Wo ist Dad?«, erkundigte ich mich.

      »Na«, tadelte meine Großmutter, »das nenne ich ja mal eine feine Begrüßung.«

      »Tut mir leid.« Im Vorbeigehen zum Kühlschrank gab ich ihr einen Kuss auf die Wange. »Riecht lecker.«

      »Schläft dein Großvater?«

      »Er sieht fern«, flunkerte ich.

      »Schläft …«, murmelte sie mehr zu sich selbst. »Dann wälzt er sich wieder die ganze Nacht wach im Bett hin und her.«

      Ich öffnete mir zischend eine Dose Pepsi und erntete dabei einen missbilligenden Blick von meiner Großmutter. Aus welchem Grund auch immer und mit keinerlei Belegen, um ihre Hypothese zu untermauern, war sie felsenfest davon überzeugt, dass alle Softdrinks krebserregend seien. »Also, wo ist Dad nun?«

      »Er hat einen Anruf bekommen.«

      »Wegen eines Mädchens?«

      »Eines Mädchens?«

      »Arbeitstechnisch.«

      »Er erzählt mir ja nichts, mein lieber Herr Sohn. Und Gott bewahre, ich werde mich auch nicht nach seiner Arbeit erkundigen.« Sie rührte die Pasta Fagioli mit einem großen hölzernen Kochlöffel um. Der Topf war fast so groß wie ein Kessel. Daneben brutzelten und zischten Hühnchenschnitzel in einer Pfanne mit Pflanzenöl. »Was für ein Mädchen meintest du da gerade?«

      »Die Cops haben hinter der Counterpoint Lane ein Mädchen im Wald gefunden. Die Jungs und ich haben es auf dem Heimweg von der Schule gesehen.«

      »Sie hatte sich verlaufen?«

      »Sie war tot.«

      »Oh, Madonn’!« Betroffen legte sie ihren Löffel auf einem Ofenhandschuh ab. »Was ist passiert?«

      »Keine Ahnung. Vielleicht irgendein Unfall.« Doch ich wusste genau, dass es kein Unfall hatte sein können – gemessen daran, dass sie nackt gewesen war, und an ihrem säuerlichen Gesichtsausdruck unter diesem Tuch; und an der Tatsache, dass ihr Kopf eingeschlagen war. Zum ersten Mal fragte ich mich, wie lange sie wohl schon dort im Wald gelegen hatte, bevor die Polizei sie fand. »War sie hier aus der Gegend?«, wollte meine Großmutter wissen.

      »Ich weiß nicht, wer sie ist … oder war …«, korrigierte ich mich.

      »Wie entsetzlich.«

      »Hat Dad irgendetwas gesagt, wann er heute Abend nach Hause kommt?«

      »Wie ich gerade schon sagte, der Mann erzählt mir einfach nichts. Aber nun geh dir vor dem Abendessen noch kurz die Hände waschen, ja? Und wecke bitte deinen Großvater auf – er ist schon wieder vor dem Fernseher eingeschlafen. Ich weiß es genau. Du brauchst für ihn nicht zu schwindeln.«

      Wir aßen, begleitet vom Gezeter meines Großvaters, der schon, seit ich denken konnte, an allem und jedem auf diesem Planeten etwas auszusetzen hatte. In letzter Zeit war es schon so schlimm geworden, dass ihm meine Großmutter verboten hatte, sich die Fernsehnachrichten anzusehen oder eine Zeitung zu lesen, da die Ungerechtigkeiten, über die darin täglich berichtet wurde, genug waren, um den alten Mann zu einem ausschweifenden Monolog von derart kreativer Obszönität

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