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sonnigen Februartag war es, der wie ein erster heiterer Frühlingsgruß über die Erde ging, mußte Frau von Steinberg doch das erste Goldstück ihres heimlichen kleinen Schatzes nehmen. Sie konnte ihren Sohn nicht hungern lassen, sie wollte aber auch nicht von den gutherzig gegebenen Gaben der Bäckersleute leben, dazu war sie zu stolz.

      »Zahl' unten die Miete und das Brotgeld! Käsmodels wollen es nicht, ich will aber nichts schuldig bleiben, Raoul,« sagte sie leise, und eine Träne fiel brennend auf die ausgestreckte Hand des Sohnes.

      Tief erschrocken sah der Knabe aus, und in diesem Augenblick verstand er voll die Sorge der Mutter. In wild ausbrechendem Schmerz schlang er seine Arme um sie und flehte: »Weine nicht, ach, weine nicht! Im Frühling wird alles gut, du wirst gesund, und ich finde schon einen Verdienst.«

      »Im Frühling — ja,« flüsterte die Mutter und küßte zärtlich ihr Kind, »du hast recht, dann wird alles gut.«

      Ach, sie fühlte es ja gerade an diesem sonnigen Tage, der von dem kommenden Lenz zu erzählen wußte, daß ihre Stunden auf der Erde gezählt waren, und daß sie nicht mehr lange über ihrem Kinde wachen konnte. Und als Raoul gegangen war, überwand sie endlich ihren Stolz und schrieb an den Bruder ihres Mannes, an den Freiherrn Wolf-Friedrich von Steinberg auf Hohensteinberg, schilderte ihm ihre Lage und bat ihn, sich ihres Kindes anzunehmen, wenn sie tot sei. Sie schloß auch ein Brieflein für die Mutter mit ein. Für sich bat sie um nichts, nur Hilfe für den Sohn wollte sie. Den Brief trug die Meisterin Käsmodel selbst auf die Post, zahlte das Porto und sandte dem Schreiben ihre guten Wünsche nach, denn sie billigte im innersten Herzen den Schritt, den ihre Mieterin getan hatte. Sie ahnte nicht, daß ein böses Geschick den Brief tief im Grunde eines Postsackes festhielt, viele, viele Wochen lang.

      Ein paar Tage später stürmte Raoul am Nachmittag hastig und aufgeregt in das Zimmer. »Mama,« rief er, »Herzensmama, denke doch, ach denke doch, welch ein Glück mir widerfahren ist!« Er umschlang stürmisch die bleiche Mutter, und an ihr vorbeisehend, damit sie ihm nicht in die Augen blicken konnte, denn die sahen gar nicht glücklich aus, erzählte er hastig: »Der Meister war mit mir beim Advokaten Schnabel in der Burgstraße; dem ist sein junger Schreiber davongelaufen, und der Meister meinte, schreiben könnte ich so gut wie er backen. Wir sind also hingegangen, und der Herr Advokat hat uns vorgelassen. Der hat gleich geschrieen: ›Das ist ein Kind, der ist zu jung, zu jung, zu jung, 's ist nichts damit!‹«

      Bei der Erinnerung an diese Szene kam in Raouls Augen nun doch das Lachen. Er blickte seine Mutter froh an, als er fortfuhr: »Meister Käsmodel hat sich einfach auf einen Stuhl gesetzt, und allemal, wenn der Herr Advokat schrie: ›Zu jung, zu jung,‹ hat er genickt, und endlich hat er gesagt: ›Alleweil jetzt, Herr Advokat, ist der Junge schon etwas älter geworden, und Jugend hat noch nie jemanden geärgert, höchstens das Altwerden.‹ Erst machte der Herr Advokat ein ganz bitterböses Gesicht, dann fing er an zu lachen. Ich mußte schreiben, das gefiel ihm, und nun, Mama, bin ich angestellter Schreiber und bekomme — zwei Taler vorläufig auf den Monat. Ist das nicht schön? freust du dich auch?«

      »Sehr schön,« flüsterte Frau von Steinberg, »ich freue mich sehr, mein guter Junge du.« Sie kämpfte krampfhaft die aufsteigenden Tränen zurück, und Mutter und Sohn hielten sich lange umschlungen. Sie sahen sich nicht in die Augen, denn jedes fürchtete den heimlich getragenen Schmerz sehen zu lassen. Ein Freiherr von Steinberg, Enkel des Grafen Turaillon, eines der vornehmsten Würdenträger am Hofe Ludwigs XVI., ein Schreiberlein mit zwei Talern Monatsgeld. Der Mutter zog sich das Herz zusammen, wenn sie daran dachte, und sie sah sich im Geist mit dem geliebten Gatten an der Wiege ihres Kindes sitzen und hörte wieder die so früh verklungene Stimme: »Mein Sohn soll einmal dem Namen Steinberg Ehre machen,« und nun mußte dieser Sohn als armes Schreiberlein ein kümmerliches Brot verdienen.

      Raoul sollte am nächsten Morgen bereits seine Stellung antreten. Die Meisterin hatte ihm versprochen, sie wollte für seine Mutter sorgen, aber er stand doch noch früher als sonst auf und fegte erst die Stube aus, kochte fürsorglich die Morgensuppe für die Mutter und sich, und dann eilte er rasch nach kurzem Abschied davon. Er hatte es nicht weit, und geschwind lief er über den Marktplatz, bog in ein schmales Gäßchen ein und langte bald in der Burggasse an. Dort kletterte er eilfertig in einem uralten Hause zwei enge Treppen empor und zog die Klingel an Advokat Schnabels Wohnung. Eine Magd öffnete und brummte unwirsch: »Jemineh, der neue Schreibbursche! Nee, so'n Dreikäsehoch aber auch! Da hast'n Besen, nun kehre mal flink die Schreibstube aus. Rasch, rasch, tummle dich, sieh nicht erst 'n Loch in die Türe!«

      Raoul stieg das Blut in das Gesicht. Er war ein stolzer, kleiner Bursche, und es demütigte ihn tief, daß er solche Dienste verrichten sollte und sich von der Magd so grob anfahren lassen mußte. Am liebsten wäre er gleich umgekehrt, aber er preßte die Lippen fest aufeinander, um nicht eine patzige Antwort zu geben. Das Zimmer, das er betrat, lag nach dem Hof hinaus, die graue Rückwand eines Hauses nahm jede Aussicht, nur wer sich weit aus dem Fenster bog, der konnte den Turm der nahen Thomaskirche aufragen sehen. Einen Augenblick blieb Raoul unschlüssig an der Türe stehen und überschaute den Raum, der ihm fortan tagaus, tagein Aufenthaltsort sein sollte. Bis zur Decke hinauf krochen die Ständer, angefüllt mit dicken Aktenbündeln, ein paar von Tintenflecken übersäte Tische standen dicht an den Fenstern, deren Scheiben gewiß lange nicht geputzt waren. Seufzend begann Raoul mit dem Auskehren, er dachte dabei immer nur: Zwei Taler, zwei Taler, wie wird sich die Mutter freuen!

      Er war noch nicht mit seiner Arbeit fertig, denn Staub und Schmutz lagen dick in allen Winkeln, als die Türe mit einem lauten Krach geöffnet wurde und zwei noch junge Männer hereinkamen. Der eine war lang und dünn, sein Gesicht, seine Hände, sein Anzug sahen grau, ungewaschen und ungebürstet aus; der andere war klein, verwachsen, er hatte etwas Zartes, Sanftes in seiner ganzen Erscheinung. Der Lange schaute Raoul von oben bis unten an; er kniff dabei die Augen zusammen, und der Knabe erschrak vor dem unangenehmen Ausdruck des Gesichtes. »He, ist er der Neue, wie heißt er denn?«

      Raoul sagte ruhig seinen Namen, ohne den Adel, den er auf Wunsch des Advokaten selbst nicht nannte, und sah dabei mit seinen schönen, dunklen Augen offen zu dem langen Schreiber empor. Der grinste und schrie dem Verwachsenen zu: »Ein halber Franzos! Du Napoleonfresser, das ist was für dich, hihihi! Da, junger Dachs, nehm er meinen Rock, mein Schreibkittel hängt dort im Schrank. Flink, er weiß wohl gar nicht, was sich gehört?«

      Der Verwachsene war still an den Schrank getreten, hatte einen abgeschabten, zerflederten Rock herausgenommen, der so schmutzig war, daß Raoul sich ekelte, ihn anzugreifen. Den reichte er dem Knaben, damit er ihn dem Langen brächte, er selbst zog sich ein paar Schreibärmel über, und da gleichzeitig im Nebenzimmer Schritte laut wurden, eilten die Schreiber an ihre Plätze. Der Lange, der Paul Neumann hieß, wies Raoul grob einen Platz neben sich an, aber kaum saß der Knabe und hatte begonnen, mit dem Gänsekiel ein Aktenstück zu kopieren, als ihn sein Nachbar anfuhr: »Trag das hinüber, flink, marsch! Er schläft wohl?«

      Da schrak Raoul so zusammen, daß ein dicker Klecks auf sein Papier tropfte, und ein Hagel von Scheltworten brauste auf ihn herab. Er hörte Worte, die er noch gar nicht kannte, die roh und gemein in seinen Ohren gellten. Er war froh, als ein paar Leute kamen und der lange Schreiber in das Nebenzimmer gerufen wurde. Den ganzen Vormittag ging das so fort: einer nach dem andern kam, und Paul Neumann lief wichtig hin und her, er war einmal von unterwürfiger Höflichkeit zu den Klienten seines Herrn, das andere Mal grob und hochfahrend, dann wieder vertraulich, machte alberne Späße, je nach Rang und Stellung der Kommenden.

      Der kleine Verwachsene, Karl Wagner genannt, blieb immer ruhig an seinem Tisch sitzen und schrieb emsig. Raoul, der die Arbeit des andern übersehen konnte, staunte, wie schnell sich in schöner, klarer Schrift Wort an Wort reihte. Der Verwachsene sprach nichts, nur ein paarmal warf er seinem jungen Genossen einen guten, freundlichen Blick zu, einen, der zu trösten und aufzumuntern schien. Aber dennoch war es dem Knaben, als schlichen an diesem Tage die Stunden unendlich langsam dahin, und er atmete erleichert auf, als mit tiefem Dröhnen der Schall der Mittagsglocke in die Schreibstube hineintönte.

      Raoul hatte gemeint, er würde nun eilig davonlaufen können und mit der Mutter die karge Freistunde genießen; das gab es aber nicht. Erst mußte er noch für Paul Neumann einen Gang tun, und es waren schon zehn Minuten

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