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Die Steinbergs. Siebe Josephine
Читать онлайн.Название Die Steinbergs
Год выпуска 0
isbn 4064066111212
Автор произведения Siebe Josephine
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Warum ist man nur noch so jung!« schrie Raoul plötzlich in hellflammender Tatensehnsucht auf.
»Allweil nu möcht ich wissen, warum der Musjeh zu jung ist?« fragte Meister Käsmodel, der gerade wieder eintrat. »Jugend ist alleweil der einzige Fehler, von dem man jeden Tag 'n Linschen ablegt.«
»Ich möchte groß sein, Soldat sein und in den Kampf gegen Napoleon ziehen können!« rief Raoul.
»Jetzt ist Frieden,« brummte der Meister, »Frieden, ihr Bengels, aber merkt's: alleweil ist's mit dem Frieden jetzt so wie mit meiner Backofenglut. Wenn ich nicht backe, decke ich Asche drauf, viel Asche, und nachher, wenn ich wieder Feuer brauche, stöbere ich die Asche weg, ein paar Scheite drauf, und heissa, das Feuer brennt!«
»Das Feuer brennt!« schrieen die Knaben unwillkürlich mit, die Frauen aber schraken zusammen, und die Bäckermeisterin bat ängstlich: »Mann, Käsmodel, setz den Jungens doch nicht solche Gedanken in'n Kopf, man weiß heute nie, was draus wird.« Sie sah sich scheu um. »Man muß vorsichtig sein.«
»Ih was,« knurrte der Meister, »Glut muß bleiben — bis die Zeit zum Backen kommt! Hab' ich nicht recht, Frau Nachbarin?«
Frau von Steinberg schloß sekundenlang die Augen; sie sah sich wieder am Sterbebett ihres Mannes stehen und hörte ihn mit versagender Stimme rufen: »Die Schmach muß ausgewetzt werden, vergiß es nicht, vergiß es nie!« — und ganz leise sagte sie: »Sie haben recht, Meister, die Glut muß bleiben — bis die Zeit kommt.«
Dann legte sie ihre Arbeit zusammen und nahm Abschied von ihren freundlichen Wirtsleuten, es war Zeit zur Nachtruhe. Raoul folgte bereitwillig der Mutter. Er hoffte noch auf ein Plauderstündchen, um ihr von allem zu erzählen, was er auf seinem Botengange gesehen und was er mit Gottlieb gelernt hatte, aber oben sagte die Mutter sanft, und ihre Stimme klang unendlich müde: »Erzähl mir morgen alles, Raoul, ich brauche heute Ruhe.«
Es dauerte nicht lange, und der Bube lag im Bett und schlief auf dem harten Strohsack fest wie ein Murmeltier. Seine Mutter aber fand keinen Schlaf. Brust und Rücken schmerzten, sie fror, und quälender noch als Schmerzen und Kälte peinigte sie der Gedanke an die Zukunft. Wieder wie so oft in den langen Wochen, da sie fühlte, daß ihre Kräfte mehr und mehr abnahmen, dachte sie an die Verwandten ihres Mannes, an seinen Bruder auf Hohensteinberg und — an seine Mutter. Sie hatte, seit sie selbst Mutter war, oft gedacht, daß sie und ihr Mann damals wohl zu rasch das Werben um die Verzeihung der alten Frau aufgegeben. Die hatte sie ja nicht gekannt, nichts von ihr gewußt, fremd war sie ihr, — wie durfte sie da gleich Liebe fordern! Vielleicht hätte die Mutter ihr gern geholfen, sie verstanden. Und wieder rang sie mit ihrem Stolz und nahm sich vor, an die Mutter, den Schwager zu schreiben und um Hilfe zu bitten, nicht mehr für sich, aber für ihren Sohn, damit er nicht verlassen und schutzlos war, wenn sie von ihm gehen mußte — vielleicht würde das bald sein, sehr bald.
Ein tiefes Stöhnen entrang sich der schmerzenden Brust der armen Frau, und Raoul, der im Winkel unter dem schrägen Dach schlief, wachte auf. »Riefst du mich, Mama?« Doch alles blieb still, vom Bett der Mutter kam keine Antwort, und so huschelte sich Raoul beruhigt wieder in seine Decke ein und schlief seinen festen, gesunden Jugendschlaf weiter.
Die Frau preßte die Lippen fest zusammen, damit kein Klagelaut wieder den Schlaf ihres Kindes stören sollte, über ihr Gesicht aber rannen Tränen, bittere, schwere Tränen. Draußen hatte sich der Wind erhoben, er sauste und brauste um die hohen, spitzgiebligen Häuser herum, drehte knarrend die Wetterfahne auf dem Dach und klapperte an der Dachrinne. Die Frau hörte das wilde Lied und dachte an den Sturm, der ihr Glück vernichtet hatte. Jetzt schwieg er, Friede herrschte, aber wie lange noch? Erst gegen Morgen, als sich auch draußen der Sturm legte, schloß der Schlaf für wenige Stunden die müden Augen, und ein heiterer Traum entführte ihre Seele für kurze Zeit der trüben, schweren Gegenwart.
Zweites Kapitel.
Das Schreiberlein des Herrn Advokaten Schnabel.
»Mit der Frau von Steinberg steht's nicht gut, Mann,« sagte die Meisterin ein paar Tage später, als ihre Hausgenossin gerade von einem Ausgang zurückkehrte und langsam, die schlanke Gestalt vornübergeneigt, den dämmrigen, schmalen Flur durchschritt.
»Ach, Unsinn! Weiberleut müssen sich allweil ängstigen,« knurrte der behäbige Bäcker, aber auch er sah der bleichen Frau ernst nach. Stufe auf Stufe stieg diese die Treppe empor. So himmelhoch und endlos wie heut waren sie ihr noch nie erschienen. Sie hatte an diesem Tage selbst eine Haube forttragen müssen zu einer wohlhabenden Kaufmannsfrau, die verlangt hatte, sie solle ihr das Kunstwerk gleich einmal aufsetzen.
Der Weg bei dem rauhen, unwirtlichen Wetter war Madeleine von Steinberg sehr schwer geworden, und als sie auf der zweiten Treppe angelangt war, mußte sie sich einen Augenblick an die Wand lehnen; fast unmöglich erschien es ihr, hinaufzukommen, noch so viele Stufen, noch die mühsame Leiter gab es zu erklimmen.
»Mama, was fehlt dir?« Raoul von Steinberg fuhr ein paar Minuten später erschrocken auf und ließ das Buch, in dem er gelernt hatte, zu Boden fallen. »Um Gotteswillen, Mama, Mutter!«
»Ich — es ist nichts, mein Junge, mein — armer Junge!« Die Frau taumelte und wäre zu Boden gefallen, wenn nicht des Knaben starke junge Arme sie gehalten hätten.
Ein Hilferuf gellte durch das Haus, ein weher, verzweifelter Angstruf. Er drang auch hinunter in das warme Bäckerlädchen, schreckte die Meisterin auf und trieb Gottlieb aus seinem Ofenwinkel heraus. Der Meister kam auch, die Magd mit den beiden Kleinen lief herzu, oben im Hause, in dem ein Warenlager untergebracht war, wurden Türen geschlagen, man hörte rufen, und dann stand von allen Hausgenossen doch die rundliche Bäckermeisterin zuerst oben im Mansardenstübchen, hinter ihr tauchte Gottlieb auf, und beide sahen Frau von Steinberg wachsbleich, mit blutbeflecktem Kleid in Raouls Armen liegen.
»Die Mutter stirbt,« schrie der Knabe verzweifelt, und seine heißen Tränen mischten sich mit dem roten Blut der Mutter, das tropfenweise dem blassen Munde entströmte.
Die Meisterin griff herzhaft zu, und als nach wenigen Minuten auch die andern Hausgenossen im Zimmer erschienen, trieb sie alle hinaus, nur die Magd durfte bleiben und die Kranke in ihr Bett legen helfen. Gottlieb rannte zu einem Arzt, der in der nahen Nikolaistraße wohnte, und Raoul saß im Winkel und sah mit heißer Angst zu, wie die Meisterin die Mutter bettete, sie rieb und mit warmen Tüchern umwickelte. Auf seinem Herzen lag dumpf und schwer die Ahnung kommenden Leides.
Bange Tage folgten, lange Wochen des Leidens kamen, Frau von Steinberg siechte langsam dahin. Wohl stand sie nach etlichen Tagen wieder auf und machte den Versuch, wenigstens die bestellten Arbeiten zu vollenden, aber es war nur ein mühsames Ringen mit versagenden Kräften. Immer wieder entsank die Nadel ihren müden Händen, immer wieder mußte sie stundenlang still auf ihrem Lager ruhen, unfähig, auch nur etwas zu tun.
Raoul pflegte, von der Meisterin Käsmodel tatkräftig unterstützt, seine Mutter, so gut er nur konnte. »Du mußt ihr eine Stütze sein, darfst selbst nicht klagen und nicht trübselig dreinschauen,« hatte die Meisterin zu ihm am ersten Tage der Krankheit gesagt, und danach richtete sich der Knabe, wenn es ihm auch noch so schwer fiel. Er nahm seiner Mutter alle Arbeit in der kleinen Wirtschaft ab, er kehrte, wusch und kochte wie eine Dienstmagd, und dann rannte er draußen noch stundenlang herum und tat Botengänge für kargen Lohn. Die Geschäfte gingen schlecht, die Not der Zeit drückte alles nieder, jeder sparte, wo er konnte, und recht gering war das, was da ein halbwüchsiger