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und war daher erstaunt über solche Vergeßlichkeit. Ich sprang aus dem Bett und klingelte dem Diener. Aber kein Mensch kam. Ich klingelte wieder und wieder, mit demselben Mißerfolg. Dann schloß ich, daß die Klingel kaput sein müsse; ich warf mich ärgerlich in meine Kleider und lief die Treppe hinunter, um mir heißes Wasser zu bestellen. Nun denken Sie sich mein Erstaunen, als ich im ganzen Hause niemand fand. Ich rief unten auf der Diele. Keine Antwort. Ich lief von Zimmer zu Zimmer – kein Mensch zu sehen! Herr Garcia hatte mir am Abend gezeigt, wo er schlafe; ich klopfte an, und als ich keine Antwort erhielt, öffnete ich die Tür. Das Zimmer war leer, in dem Bett war nicht geschlafen worden. Er war einfach weg, mit den übrigen. Der Hausherr fort, der Diener fort, der Koch fort – die ganze landfremde Sippschaft war über Nacht verschwunden! Das war das Ende meines Besuches in der Villa Wisteria.«

      Sherlock Holmes rieb vergnügt die Handflächen gegeneinander und schmunzelte über diese Bereicherung seiner Sammlung von merkwürdigen Begebenheiten.

      »Meines Wissens ist Ihr Erlebnis ganz einzigartig«, sagte er. »Darf ich Sie fragen, was Sie dann taten, als Sie entdeckt hatten, daß Sie allein im Hause waren?«

      »Ich war wütend, Herr Holmes. Mein erster Gedanke war, ich sei das Opfer eines sehr schlechten Scherzes. Ich packte meine Sachen zusammen, schlug die Tür hinter mir zu und ging mit dem Koffer in der Hand nach Esher. Unterwegs kam mir ein Gedanke. Ich ging in Esher zu den Gebrüdern Allan, dem Grundstücksbüro am Ort, und erfuhr dort, daß Allans die Villa vermietet hatten. Es schien mir undenkbar, daß Garcia sollte ein Landhaus extra gemietet haben, um mich zum Narren zu machen, und ich kam auf den Gedanken, es handelte sich bei ihm darum, sich um die Miete zu drücken. Wir haben Ende März, also ist die Vierteljahrsmiete demnächst fällig. Aber diese Theorie fiel gleich zusammen. Herr Allan dankte mir für meine Warnung, aber sie war überflüssig, versicherte er, denn die Miete war für das kommende Vierteljahr bereits vorausbezahlt. Dann fuhr ich nach London, zur spanischen Gesandtschaft. Ein Aloysius Garcia war dort nicht bekannt. Das wunderte mich nicht mehr. Darauf ging ich zu Melville, in dessen Haus ich Garcias Bekanntschaft gemacht hatte. Ich erfuhr von ihm nur, daß er noch weniger über ihn wußte, als ich selber. Schließlich, als ich in Charing Croß Ihre Antwort auf mein Telegramm erhielt, kam ich zu Ihnen heraus, denn ich habe gehört, daß Sie in solchen mysteriösen Angelegenheiten manchem schon geholfen haben. Und nun, Herr Inspektor, scheint es mir, daß Sie nach dem, was Sie vorhin gesagt haben, meinen Bericht fortsetzen können und daß ein Verbrechen begangen wurde. Ich versichere Sie, daß jedes Wort, das ich gesagt, die reine Wahrheit ist, und daß ich sonst nichts zu sagen weiß, schlechterdings gar nichts, am wenigsten darüber, was aus Garcia geworden ist, nachdem er die Villa verlassen hat. Mein einziger Wunsch ist jetzt, der Gerechtigkeit und dem Gesetz nach bestem Können, auf jede nur mögliche Weise, bei der Aufklärung des Verbrechens zu dienen.«

      »Ich zweifele nicht daran, Herr Scott Eccles, ich zweifele nicht daran«, erwiderte Inspektor Gregson in sehr verbindlichem Tone. »Ich muß Ihnen sagen, daß alles, was Sie gesagt haben, sehr genau zu den Tatsachen paßt, die zu unserer Kenntnis gelangt sind. Zum Beispiel der Zettel, der während des Essens gebracht wurde – haben Sie zufällig beobachtet, wo er hinkam, nachdem Garcia ihn gelesen?«

      »Jawohl, Garcia knüllte ihn zusammen und warf ihn ins Kaminfeuer.«

      »Was sagen Sie dazu, Herr Kollege Baynes?«

      Der Provinzkonstabler war ein korpulenter, etwas aufgeschwemmter rotbackiger Herr, dessen grobes Gesicht jedoch durch zwei auffallend klare Augen, die von Fett und Brauen fast verdeckt waren, etwas Geistiges erhielt. Mit einem breiten Lächeln zog er einen Zettel Papier, beschmutzt und voller Falten, aus seiner Brusttasche.

      »Es war ein sehr tiefer Kamin, Herr Holmes, und ein nicht ebenso tiefer Feuerrost. Garcia hat das Papier über das Feuer hinweggeworfen, es ist zwischen der Rückwand und dem Rost niedergefallen, und da habe ich es unversehrt gefunden.«

      Holmes lächelte dem Konstabler zu. Ein Lächeln der Anerkennung.

      »Sie müssen das Haus sehr sorgfältig durchsucht haben, um solch ein Bällchen Papier zu finden.«

      »Sorgfältigkeit ist meine Art, Herr Holmes. – Soll ich es vorlesen, Herr Gregson?«

      Der Londoner nickte.

      »Der Zettel besteht aus gewöhnlichem Schreibpapier, ohne Wasserzeichen. Es ist ein Quartblatt. Das Papier ist mit zwei Schnitten einer kurzen Schere abgeschnitten. Es wurde dreimal gefaltet und mit rotem Siegellack gesiegelt, ohne Sorgfalt gesiegelt und mit Verwendung eines ovalen flachen Gegenstandes an Stelle eines Petschaftes. Überschrieben ist es an Herrn Garcia, Villa Wisteria. Der Text lautet: ›Unsere eigenen Farben, grün und weiß. Grün offen, weiß geschlossen. Haupttreppe, erster Korridor, siebentes zur Rechten. Grüner Fries. Gott behüte Sie D.« Es ist die Handschrift einer Frau, geschrieben mit einer harten, spitzen Feder; aber die Überschrift ist mit einer anderen Feder geschrieben oder von einer anderen Hand. Die Schriftzüge sind dicker, fester, wie Sie sehen.«

      »Eine sehr merkwürdige Mitteilung«, sagte Holmes und betrachtete das Papier und die Schrift. »Ich muß Ihnen mein Kompliment machen, Herr Baynes, zu der so sicher ins einzelne gehenden Untersuchung, die Sie mit diesem Blatt angestellt haben. Einige geringfügige Kleinigkeiten wären vielleicht noch nachzutragen. Der ovale Siegelabdruck: das ist offenbar ein Manschettenknopf – was hätte sonst noch so eine Form? Die Schere hatte, wie Sie richtig bemerkten, nur kurze Klingen; überdies waren sie gebogen – es war eine Nagelschere. Die Krümmung können Sie genau hier an den zwei Schnitten sehen.«

      Der Provinzkonstabler ließ ein unterdrücktes Lachen hören.

      »Ich glaubte, ich hätte allen Saft herausgepreßt, aber ich sehe jetzt, daß immer noch etwas übrig blieb«, sagte er. »Ich muß Ihnen übrigens noch gestehen, daß mir die Worte nichts verraten, ich kann sie mir nicht deuten, außer natürlich, daß da irgend ‘was geplant war, und daß, wie gewöhnlich, eine Frau dahinter steckt.«

      Herr Scott Eccles hatte während dieser Unterhaltung sich unruhig auf seinem Stuhl hin-und hergeschoben.

      »Es erleichtert mich außerordentlich, daß Sie den Zettel gefunden haben«, sagt er, »denn er bestätigt Ihnen in diesem Punkt die Richtigkeit meiner Angaben. Aber darf ich Sie daran erinnern, daß ich noch nichts weiter davon gehört habe, was Herrn Garcia zugestoßen ist und was aus seinen Leuten wurde?«

      »Was Garcia anlangt«, erwiderte Gregson, »so ist die Frage leicht beantwortet. Man hat ihn heute morgen tot aufgefunden, etwa eine Meile von Villa Wisteria. Der ganze Kopf ist ihm zu Brei geschlagen, mit irgendeinem stumpfen Gegenstand, der außen vielleicht weich sein dürfte, denn offene Wunden sind kaum vorhanden. Nasser Sandsack vielleicht. Es ist eine einsame Gegend dort, Orshotter Gebiet, kein Haus in der Nähe auf eine Viertelmeile. Allem Anschein nach ist er von hinten niedergeschlagen worden, aber sein Angreifer hat dann fortgefahren, auf den Kopf loszuhämmern, lange nachdem Garcia schon tot war. Es ist eine fürchterliche Untat, grausig! Von dem Mörder fehlt jede Spur. Kein Fußabdruck, nichts.«

      »Beraubt?«

      »Nein, soweit wir feststellen konnten.«

      »Das ist alles so schrecklich, so schrecklich und furchtbar«, sprach Herr Scott Eccles mit klagender Stimme; »und für mich ist es ganz ungewöhnlich hart. Ich habe nicht das mindeste damit zu tun, daß Herr Garcia in der Nacht irgend etwas unternahm und er ein so schreckliches Ende dabei fand. Wieso werde ich denn mit diesem Mord in Verbindung gebracht?«

      »Sehr einfach«, erwiderte Inspektor Baynes. »Das einzige Schriftstück, das man bei dem Toten fand, ist ein Brief von Ihnen, der besagt, daß Sie in derselben Nacht bei ihm sein wollten, in der er ermordet wurde. Nur aus dem Umschlag Ihres Briefes haben wir Namen und Wohnort des Toten erfahren. Nach zehn Uhr heute früh kamen wir zu der Villa und fanden sie leer. Ich telegraphierte an Herrn Gregson, er solle Sie in London festnehmen, während ich die Villa zunächst untersuchte. Dann fuhr auch ich nach London, traf mich mit Herrn Gregson, und so sind wir hier vor Ihnen erschienen.«

      Gregson erhob sich.

      »Ich denke, wir geben der ganzen Sache jetzt die richtige amtliche Form. Kommen

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