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Male mit ihm spaziert, hatte ich mich bald gewöhnt, die ganze landschaftliche Natur nicht mehr als etwas Rundes und Greifliches, sondern nur als ein gemaltes Bilder-und Studienkabinett, als etwas bloß vom richtigen Standpunkte aus Sichtbares zu betrachten und in technischen Ausdrücken zu beurteilen.

      Als wir in seiner Wohnung anlangten, welche aus ein paar eleganten Zimmern in einem schönen Hause bestand, setzte Römer sogleich seine Mappen auf einen Stuhl vor das Sofa, hieß mich auf dieses neben ihn sitzen und begann die Sammlung seiner größten und wertvollsten Studien eine um die andere umzuwenden und aufzustellen. Es waren alles umfangreiche Blätter aus Italien, auf starkes grobkörniges Papier mit Wasserfarben gemalt, doch auf eine mir ganz neue Weise und mit unbekannten kühnen und geistreichen Mitteln, so daß sie ebensoviel Schmelz und Duft als Klarheit und Kraft zeigten und vor allem aus in jedem Striche bewiesen, daß sie vor der lebendigen Natur gemacht waren. Ich wußte nicht, sollte ich über die glänzende und angenehm nahetretende Meisterschaft der Behandlung oder über die Gegenstände mehr Freude empfinden, denn von den mächtigen dunklen Zypressengruppen der römischen Villen, von den schönen Sabinerbergen bis zu den Ruinen von Pästum und dem leuchtenden Golf von Neapel, bis zu den Küsten von Sizilien mit den zauberhaften hingehauchten, gedichteten Linien tauchte Bild um Bild vor mir auf mit den köstlichen Merkzeichen des Tages, des Ortes und des Sonnenscheins, unter welchem sie entstanden. Schöne Klöster und Kastelle glänzten in diesem Sonnenschein an schönen Bergabhängen, Himmel und Meer ruhten in tiefer Bläue oder in heitrem Silberton, und in diesem badete sich die prächtige, edle Pflanzenwelt mit ihren klassisch einfachen und doch so reichen Formen. Dazwischen sangen und klangen die italienischen Namen, wenn Römer die Gegenstände benannte und Bemerkungen über ihre Natur und Lage machte. Manchmal sah ich über die Blätter hinaus im Zimmer umher, wo ich hier eine rote Fischerkappe aus Neapel, dort ein römisches Taschenmesser, eine Korallenschnur oder einen silbernen Haarpfeil erblickte; dann sah ich meinen neuen Beschützer aufmerksam und von Grund aus wohlwollend an, seine weiße Weste, seine Manschetten, und erst, wenn er das Blatt umwandte, fuhr mein Blick wieder auf dasselbe, um es noch einmal zu überfliegen, ehe das nächste erschien.

      Als wir mit dieser Mappe zu Ende waren, ließ mich Römer noch flüchtig in einige andere blicken, von denen die eine einen Reichtum farbiger Details, die andere eine Unzahl Bleistiftstudien, eine dritte lauter auf das Meer, Schiffahrt und Fischerei Bezügliches, eine vierte endlich verschiedene Phänomene und Farbenwunder wie die Blaue Grotte, außergewöhnliche Wolkenerscheinungen, Vesuvausbrüche, glühende Lavabäche usw. enthielten. Dann zeigte er mir noch im andern Zimmer seine gegenwärtige Arbeit, ein größeres Bild auf einer Staffelei, welches den Garten der Villa d’Este vorstellte. Dunkle Riesenzypressen ragten aus flatternden Reben und Lorbeerbüschen, aus Marmorbrunnen und blumigen Geländern, an welchen eine einzige Figur, Ariost, lehnte, in schwarzem ritterlichen Kleide, den Degen an der Seite. Im Mittelgrunde zogen sich Häuser und Bäume von Tivoli hin, von Duft umhüllt, und darüber hinweg dehnte sich das weite Feld, vom Purpur des Abends übergossen, in welchem am äußersten Horizonte die Peterkuppel auftauchte.

      »Genug für heute!« sagte Römer, »kommen Sie öfter zu mir, alle Tage, wenn Sie Lust haben; bringen Sie mir Ihre Sachen mit, vielleicht kann ich Ihnen dies und jenes zum Kopieren mitgeben, damit Sie eine leichtere und zweckmäßigere Technik erlangen!«

      Mit der dankbarsten Verehrung verabschiedete ich mich und sprang mehr, als ich ging, nach Hause. Dort erzählte ich meiner Mutter das glückliche Abenteuer mit den beredtesten Worten und verfehlte nicht, den fremden Herrn und Künstler mit allem Glanz auszustatten, dessen ich habhaft war; ich freute mich, ihr endlich ein Beispiel rühmlichen Gelingens als einen Trost für meine eigene Zukunft vorführen zu können; besonders da ja Römer ebenfalls aus Herrn Habersaats kümmerlicher Pflanzschule hervorgegangen war. Allein die fünfzehn in der weiten Ferne zugebrachten Jahre, welche zu diesem Gelingen gebraucht worden, leuchteten meiner Mutter nicht sonderlich ein, auch hielt sie dafür, daß es noch gar nicht ausgemacht wäre, ob der Fremde wirklich glücklich sei, indem er als solcher so einsam und unbekannt in seiner Heimat angekommen sei. Ich hatte aber ein anderweitiges geheimes Zeichen von der Richtigkeit meiner Hoffnungen, nämlich das plötzliche Erscheinen Römers, unmittelbar nachdem ich gebetet hatte. Hievon sagte ich aber nichts zu meiner Mutter, denn erstens war zwischen uns nicht herkömmlich, daß man viel von solchen Dingen sprach, besonders wenn sie nach salbungsvoller Prahlerei ausgesehen hätten, und dann baute die Mutter wohl fest auf die Hilfe Gottes, aber es würde ihr nicht gefallen haben, wenn ich mich eines so eklatanten und theatralischen Falles gerühmt hätte, und als ein solcher wäre ihr meine Erzählung ohne Zweifel erschienen, da sie viel zu schlicht und bescheiden war, um ein solches Einschreiten in solchen Angelegenheiten von Gott zu erwarten. Sie war froh, wenn er das Brot nicht ausgehen ließ und für schwere Leiden, für Fälle auf Leben und Tod seine Hilfe in Bereitschaft hatte. Sie hätte mich wahrscheinlich ziemlich ironisch zurechtgewiesen; desto mehr beschäftigte ich mich den Abend hindurch mit dem Vorfalle und muß gestehen, daß ich dabei doch eine grübelnde Empfindung hatte. Ich konnte mir die Vorstellung eines langen Drahtes nicht unterdrücken, an welchem der fremde Mann auf mein Gebet herbeigezogen sei, während, gegenüber diesem lächerlichen Bilde, mir ein Zufall noch weniger munden wollte, da ich mir das Ausbleiben desselben nun gar nicht mehr denken mochte. Seither habe ich mich gewöhnt, dergleichen Glücksfälle, so wie ihr Gegenteil, wenn ich nämlich ein unangenehmes Ereignis als die Strafe für einen unmittelbar vorhergegangenen, bewußten Fehler anzusehen mich immer wieder getrieben fühle, als vollendete Tatsachen einzutragen und Gott dafür dankbar zu sein, ohne mir des genauern einzubilden, es sei unmittelbar und insbesondere für mich geschehen. Doch kann ich mich bei jeder Gelegenheit, wo ich mir nicht zu helfen weiß, nicht enthalten, von neuem durch Gebet solche hübsche faits accomplis herbeizuführen und für die Zurechtweisungen des Schicksals einen Grund in meinen Fehlern zu suchen und Gott Besserung zu geloben.

      Ich wartete ungeduldig einen Tag und ging dann am darauffolgenden mit einer ganzen Last meiner bisherigen Arbeiten zu Römer. Er empfing mich freundlich zuvorkommend und besah die Sachen mit aufmerksamer Teilnahme. Dabei gab er mir fortwährend guten Rat, und als wir zu Ende waren, sagte er, ich müßte vor allem die ungeschickte alte Manier, das Material zu behandeln, aufgeben, denn damit ließe sich gar nichts mehr ausrichten. Nach der Natur sollte ich fleißig vorderhand mit einem weichen Blei zeichnen und für das Haus anfangen, seine Weise einzuüben, wobei er mir gerne behilflich sein wolle. Auch suchte er mir aus seinen Mappen einige einfache Studien in Bleistift sowie in Farben, welche ich zur Probe kopieren sollte, und als ich hierauf mich empfehlen wollte, sagte er »Oh! bleiben Sie noch ein Stündchen hier, Sie werden den Vormittag doch nichts mehr machen können; sehen Sie mir ein wenig zu, und plaudern wir ein bißchen!« Mit Vergnügen tat ich dies, hörte auf seine Bemerkungen, die er über sein Verfahren machte, und sah zum ersten Mal die einfache freie und sichere Art, mit der ein Künstler arbeitet. Es ging mir ein neues Licht auf, und es dünkte mich, wenn ich mich selbst auf meine bisherige Art arbeitend vorstellte, als ob ich bis heute nur Strümpfe gestrickt oder etwas Ähnliches getan hätte.

      Rasch kopierte ich die Blätter, die Römer mir mitgab, mit aller Lust und allem Gelingen, welche ein erster Anlauf gibt, und als ich sie ihm brachte, sagte er »Das geht ja vortrefflich, ganz gut!« An diesem Tage lud er mich ein, da das Wetter sehr schön war, einen Spaziergang mit ihm zu machen, und auf diesem verband er das, was ich in seinem Hause bereits eingesehen, mit der lebendigen Natur, und dazwischen sprach er vertraulich über andere Dinge, Menschen und Verhältnisse, welche vorkamen, bald scharf kritisch, bald scherzend, so daß ich mit einem Male einen zuverlässigen Lehrer und einen unterhaltenden und umgänglichen Freund besaß. Ich erzählte ihm vieles von meinen Verhältnissen und Geschichten, fast alles, mit Ausnahme der Anna und Judith, und er faßte alles so auf, wie ich nur wünschen konnte, vom Standpunkte eines freien und erfahrenen Menschen und als Künstler. So stellte sich schnell ein ungezwungener Umgang her, bei welchem ich mich ganz konnte gehenlassen und keinen Einfall zu unterdrücken brauchte, ohne daß ich die Bescheidenheit und Ehrerbietung zu sehr verletzte, und wenn ich dies tat, so glich die widerspruchslose Bereitwilligkeit, welche jenes Alter den Zurechtweisungen der wahren und wohlmeinenden Autorität entgegenbringt, den Fehler bald wieder aus.

      Bald fühlte ich das Bedürfnis, immer und ganz in seiner Nähe zu sein, und machte daher immer häufiger von meiner Freiheit, ihn zu besuchen, Gebrauch, als er eines Tages,

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