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befallen wurde, sich sogleich zu Bett begeben mußte. Sie führte mich an einen artig eingerichteten Tisch, auf welchem ihre Bücher und Arbeitssachen, auch Papier und Schreibzeug lagen, setzte Licht darauf und sagte lächelnd »Mein Vater bleibt alle Abend bei mir, bis ich eingeschlafen bin, und liest mir manchmal etwas vor. Hier kannst du dich vielleicht so lange beschäftigen. Sieh, hier mache ich etwas für dich!« und sie zeigte mir eine Stickerei zu einer kleinen Mappe, welche sie nach jener Blumenzeichnung verfertigte, die ich vor mehreren Jahren in der Weinlaube gemacht und ihr geschenkt hatte. Das naive Bild hing über ihrem Tische. Dann gab sie mir die Hand und sagte wehmütig leise und doch so freundlich: »Gut’ Nacht!« und ich sagte ebenso leise: »Gut’ Nacht!«

      Einige Augenblicke nachher, als sie gegangen, kam der Schulmeister herein, und ich sah, daß er ein schön eingebundenes Andachtsbucht mitnahm, als er sich wieder entfernte, um in Annas Zimmer zu gehen. Ich hingegen beschaute alle Sächelchen, welche auf dem Tische lagen, spielte mit ihrer Schere und konnte mir gar nicht ernstlich denken, daß irgendeine Gefahr für Anna sein sollte.

       Inhaltsverzeichnis

      Da ich in dem Hause meines Liebchens zu Gaste war, so er wachte ich am Morgen sehr früh, noch eh eine Seele sich regte. Ich machte das Fenster auf und sah lange auf den See hinaus, dessen waldige Uferhöhen vom Morgenrote beglänzt waren, indessen der späte Mond noch am Himmel stand und sich ziemlich kräftig im dunklen Wasser spiegelte. Ich sah ihn nach und nach erbleichen vor der Sonne, welche nun die gelben Kronen der Bäume vergoldete und einen zarten Schimmer über den erblauenden See warf. Zugleich aber begann die Luft sich wieder zu verhüllen, ein leiser Nebel zog sich erst wie ein Silberschleier um alle Gegenstände, und indem er ein glänzendes Bild um das andere auslöschte, daß sich rings ein Reigen von aufleuchtendem Scheiden und Verschwinden bewegte, wurde der Nebel plötzlich so dicht, daß ich nur noch das Gärtchen vor mir sehen konnte, und zuletzt verhüllte er auch dieses und drang feucht an das Fenster. Ich schloß dieses zu, trat aus der Kammer und fand die alte Katherine in der Küche an dem traulichen hellen Feuer.

      Ich plauderte lange mit ihr; sie ergoß sich in zärtlichen Klagen über Annas bedenklichen Zustand, berichtete mir, seit wann derselbe begonnen, ohne daß ich jedoch über seine eigentliche Beschaffenheit klar wurde, da sie sich mancher dunklen und geheimnisvollen Anspielung bediente. Dann begann sie mit rührender, aber ganz trefflicher Beredsamkeit das Lob Annas zu verkünden und ihr bisheriges Leben zu beschauen bis in die Kinderjahre zurück, und ich sah deutlich vor mir das dreijährige Engelchen umherspringen, in genau beschriebener Kleidung, aber freilich auch ein frühes und leidenvolles Krankenlager, auf welches das kleine Wesen dann jahrelang gelegt wurde, so daß ich nun ein schlohweißes, länglichgestrecktes Leichnamchen erblickte, mit geduldigem, klugem und immer lächelndem Angesicht. Doch das kranke Reis erholte sich, der wunderbare Ausdruck der durch das Leiden hervorgebrachten frühen Weisheit verschwand wieder in seine unbekannte Heimat, und ein rosig unbefangenes Kind blühte, als ob nichts vorgefallen wäre, der Zeit entgegen, wo ich es zuerst sah.

      Endlich zeigte sich der Schulmeister, welcher, da seine Tochter nun des Morgens länger im Bette bleiben mußte und länger schlief als früher, sich des frühen Aufstehens auch nicht mehr freute und in seiner Zeiteinteilung ganz nach derjenigen seines kranken Kindes richtete. Nach einer guten Weile erschien auch Anna und nahm ihr besonders vorgeschriebenes Frühstück, indessen wir das gewöhnliche verzehrten. Es verbreitete sich dadurch eine gewisse Wehmut über den Tisch, welche nach und nach in eine ernste Beschaulichkeit überging, als wir drei sitzen blieben und uns unterhielten. Der Schulmeister nahm ein Buch, die Nachfolge Christi von Thomas a Kempis, und las einige Seiten daraus vor, indessen Anna ihre Stickerei vornahm. Dann hob ihr Vater über das Gelesene ein Gespräch an und suchte mich an demselben zu beteiligen und nach der herkömmlichen Weise meine Urteilskraft zu prüfen, zu mildern und zu gemeinsamer Erbauung auf einen belehrenden Vereinigungspunkt zu lenken. Aber ich hatte durch den letzten Sommer die Lust an solchen Erörterungen fast gänzlich verloren, mein Blick war auf sinnliche Erscheinung und Gestalt gerichtet, und selbst die rätselhaften Betrachtungen über die Erfahrungen, die ich mit Römer anstellte, gingen in einem durchaus weltlichen Sinne vor sich. Außerdem fühlte ich, daß ich nun die größte Rücksicht auf Anna nehmen mußte, und als ich bemerkte, daß sie sogar froh schien, mich hier eingefangen und einem angehenden Bekehrungswerke preisgegeben zu sehen, hütete ich mich wohl, einen Widerspruch zu äußern, gab denjenigen Stellen, welche eine innere Wahrheit enthielten oder tief, schön und kraftvoll ausgedrückt waren, meinen aufrichtigen Beifall oder überließ mich einer reizenden Langweile, die schönen Farben an Annas Seidenknäulchen beschauend.

      Sie hatte sich wohl ausgeruht und schien ziemlich munter zu sein, so daß kein großer Unterschied gegen ihr früheres Wesen während des Tages bemerklich war. Der angenehme Aufenthalt in ihrem Hause diente daher nur dazu, meinen Leichtsinn und meine Sorglosigkeit zu bestärken und eine Bewegungslust in mir anzufachen, die mich hinaustrieb. Außerdem mußte ich ja am Tage meine Verwandten im Dorfe besuchen, wenn ich den kasuistischen Ausweg, Judith zu hintergehen, anwenden wollte.

      Als ich daher in den dichten Nebel hinausging, war ich, noch mehr aufgeweckt durch den frischen Herbstgeruch, sehr guter Dinge und mußte lachen über meine seltsame List, zumal das verborgene Wandeln in der weiß verhüllten Natur meinen Gang einem Schleichwege noch vollständig ähnlich machte. Ich ging über den Berg und gelangte bald zum Dorfe; doch verfehlte ich hier des Nebels wegen den rechten Weg und sah mich bald in ein Netz von schmalen Garten- und Wiesenpfaden versetzt, welche bald zu einem entlegenen Hause, bald wieder gänzlich zum Dorfe hinausführten. Ich konnte nicht vier Schritte vor mir sehen, Leute hörte ich immer, ohne sie zu erblicken, aber zufälligerweise traf ich niemanden auf meinen Wegen. Da kam ich zu einem offenstehenden Pförtchen und entschloß mich, hindurchzugehen und alle Gehöfte gerade zu durchkreuzen, um endlich wieder auf die Hauptstraße zu kommen. Ich sah mich in einen prächtigen großen Baumgarten versetzt, dessen Bäume alle voll der schönsten reifen Früchte hingen. Man sah aber immer nur einen Baum ganz deutlich, die nächsten standen schon halb verschleiert im Kreise umher, und dahinter schloß sich wieder die weiße Wand des Nebels. Es war daher, als ob man in einen weiten Tempel getreten, dessen Säulen von Räucherwolken und Seidengeweben umhüllt und von dessen Decke grüne Kränze mit goldenen und rubinfarbigen Früchten herabhingen. Plötzlich sah ich Judith mir entgegenkommen, welche einen großen Korb mit Äpfeln gefüllt in beiden Händen vor sich her trug, daß von der kräftigen Last die Korbweiden leise knarrten. Das Einsammeln des Obstes war fast die einzige Arbeit, der sie sich mit Liebe und Eifer hingab. Sie hatte ihr Kleid des nassen Grases wegen etwas aufgeschürzt und zeigte die schönsten Füße; ihr Haar war von Feuchte schwer und das Gesicht von der Herbstluft mit reinem Purpur gerötet. So kam sie gerade auf mich zu, auf ihren Korb blickend, sah mich plötzlich, stellte erst erbleichend den Korb zur Erde und eilte dann mit den Zeichen der herzlichsten und aufrichtigsten Freude auf mich zu, fiel mir um den Hals und drückte mir ein Dutzend voll und rein ausgeprägte Küsse auf die Lippen. Ich hatte Mühe, dies nicht zu erwidern, und rang mich endlich von ihrer Brust los.

      »Sieh, sieh! du gescheites Bürschchen!« sagte sie froh lachend, »du bist heute gekommen und machst dir gleich den Nebel zunutze, mich noch vor Nacht heimzusuchen; das hätte ich dir nicht einmal zugetraut!« – »Nein«, erwiderte ich, zur Erde blickend, »ich bin gestern gekommen und wohne beim Schulmeister, weil Anna krank ist. Unter diesen Umständen kann ich jedenfalls nicht zu dir kommen!« Judith schwieg eine Weile, die Arme übereinandergeschlagen, und sah mich klug und durchdringend an, daß mein Blick in die Höhe gezogen und auf den ihrigen gerichtet wurde.

      »Das wäre allerdings noch gescheiter, als wie ich es meinte«, sagte sie endlich, »wenn es dir nur etwas helfen würde! Doch, weil unser armes Schätzchen krank ist, so will ich billig sein und unsere Übereinkunft abändern. Der Nebel wird sich wenigstens zwei Wochen lang täglich mehrere Stunden auf dieselbe Weise zeigen. Wenn du jeden Tag während desselben zu mir kommst, so will ich dich für die Nacht deiner Pflicht entbinden und dir zugleich versprechen, dich nie zu liebkosen und dich selbst zurechtzuweisen, wenn du es tun wolltest; nur mußt du mir jedesmal auf ein und dieselbe Frage ein einziges Wörtchen antworten, ohne zu

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