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Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke von Gottfried Keller
Год выпуска 0
isbn 9788027225873
Автор произведения Готфрид Келлер
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Da es mir einmal bestimmt scheint, immer ruckweise und durch kurze Blitze und Schlagwörter auf eine neue Spur zu kommen, so bewirkten diese Andeutungen Römers, besonders diejenigen über das Pikante, mehr, als wenn ich den Homer jahrelang so für mich gelesen hätte. Ich war begierig, selbst dergleichen aufzufinden, und lernte dadurch mit mehr Bewußtsein und Absicht lesen.
Inzwischen war es gut, daß das Interesse Römers, hinsichtlich des Kopierens seiner Sammlungen, sich mit dem meinigen vereinigte; denn als ich nun, gemäß seiner Aufforderung, mich wieder vor die Natur hinsetzte, erwies es sich, daß ich Gefahr lief, meine ganze Kopierfertigkeit und mein italienisches Wissen zu einer wunderlichen Fiktion werden zu sehen. Es kostete mich die größte Beharrlichkeit und Mühe, ein nur zum zehnten Teile so anständiges Blatt zuwege zu bringen, als meine Kopien waren; die ersten Versuche mißlangen fast gänzlich, und Römer sagte schadenfroh »Ja, mein Lieber, das geht nicht so rasch! Ich habe es wohl gedacht, daß es so kommen würde; nun heißt es auf eigenen Füßen stehen oder vielmehr mit eigenen Augen sehen! Eine gute Studie leidlich kopieren, will nicht soviel heißen! Glauben Sie denn, man läßt sich ohne weiteres für andere die Sonne auf den Buckel zünden?« usf. Nun begann der ganze Krieg des Tadels gegen das Bemühen, demselben zuvorzukommen und ihm boshafte Streiche zu spielen, von neuem; Römer ging mit hinaus und malte selbst, so daß er mich immer unter seinen Augen hatte. Es war hier nicht geraten, die Torheiten und Flausen zu wiederholen, die ich unter Herrn Habersaat gespielt hatte, da Römer durch Steine und Bäume zu sehen schien und jedem Striche anmerkte, ob derselbe gewissenhaft sei oder nicht. Er sah es jedem Aste an, ob derselbe zu dick oder zu dünn sei, und wenn ich meinte, derselbe könnte ja am Ende so gewachsen sein, so sagte er »Lassen Sie das gut sein! Die Natur ist vernünftig und zuverlässig; übrigens kennen wir solche Finessen wohl! Sie sind nicht der erste Hexenmeister, welcher der Natur und seinem Lehrer ein X für ein U machen will!«
Doch rückte ich allmählich vorwärts; aber leider muß ich gestehen, daß mehr ein äußerer Ehrgeiz mich dazu antrieb als eine innere Treue. Denn es war mir hauptsächlich darum zu tun, daß die Arbeiten, welche ich selbst nach der Natur machte, nicht zu sehr zurückstehen möchten gegen meine kopierte Sammlung, und recht bald ein geistiges Eigentum von einigem Wert zu haben. Ich gelangte auch im Laufe des Sommers in Besitz von einem Dutzend starker und solider Papierbogen, auf welchen sich ansehnliche Baumgruppen, Steingerölle und Buschwerke ziemlich keck und sachgemäß darstellten, die einen Vorrat von guten Motiven enthielten, die Spuren der Natur und einer künstlerischen Leitung zeigten und des nahen, wenn sie auch weit entfernt waren, etwas Meisterhaftes zu verraten, doch als eine erste ordentliche Grundlage zu der Mappe eines Künstlers betrachtet werden konnten, welche man nicht nur der Erinnerung, sondern auch der fortdauernden Nutzbarkeit wegen aufbewahren mag. In diesen Blättern war dann noch diese oder jene Lieblingsstelle, wo ich einen glücklichen Ton getroffen und der Natur einen guten Blick abgelauscht, ohne es zu wissen, irgendein gutes Grünlich-Grau oder ein deutliches Sonnenlicht auf einem schwärzlichen Steine, womit Römer so zufrieden war, daß er es der Brauchbarkeit halber für sich kopierte. Er konnte dies unbeschadet seiner Strenge tun; denn ich durfte nur einen Blick auf seine eigenen Studien werfen, welche er in diesem Sommer machte, so verging mir alle Überhebung, und wenn ich noch so viel Freude an meinen Schülerwerken empfand, so war diese Freude noch viel größer und schöner, wenn ich Römers glänzende und meisterhafte Arbeiten sah. Aber düster und einsilbig legte er sie zu seinen übrigen Sachen, als ob er sagen wollte was hilft das Zeug! während ich die meinigen mit stolzer Hoffnung aufbewahrte und die Zeit nahe sah, wo ich ebensolche Meisterwerke mein nennen würde.
Neben den ausgeführten Studien sammelte sich noch ein artiger Schatz von kleinen und fragmentarischen Bleistift- und Federskizzen, die alle wohl zu brauchen waren und mein erstes, auf eigene Arbeit und wahre Einsicht gegründetes Besitztum vervollständigten.
Weil ich die mir durch den Aufenthalt Römers zugemessene Zeit wohl benutzen mußte, so konnte ich nicht daran denken, das Dorf zu besuchen, obschon ich verschiedene Grüße und Zeichen von daher erhalten hatte. Um so fleißiger dachte ich an Anna, wenn ich arbeitete und die grünen Bäume leise um mich rauschten. Ich freute mich für sie meines Lernens und daß ich in diesem Jahre so reich an Erfahrung geworden gegen das frühere Jahr; ich hoffte einigen wirklichen Wert dadurch erhalten zu haben, der in ihren Augen für mich spräche und in ihrem Hause die Hoffnung begründe, die ich selbst für mich zu hegen mir erlaubte.
Wenn ich aber nach getaner Arbeit in meines Lehrers Wohnung ausruhte, seinen Erzählungen vom südlichen Leben zuhörte und dabei seine Sachen beschaute, worunter manches Studienbild einer schönen vollen Römerin oder Albanerin dunkeläugig glänzte, so trat unversehens Judiths Bild vor mich und wich nicht von mir, bis es, von selbst Annas Gestalt hervorrufend, von dieser verdrängt wurde. Wenn ich eine blendendweiße Säulenreihe ansah und mit lebendiger Phantasie das Weben der heißen Luft zu fühlen glaubte, in welcher sie stand, so schien Judith plötzlich hinter einer Säule hervorzutreten, langsam die verfallenden Tempelstufen herabzusteigen und, mir winkend, in ein blühendes Oleandergebüsch zu verschwinden, unter welchem eine klare Quelle hervorfloß. Folgten meine Gedanken aber dahin, so sahen sie Anna im grünen Kleide an der Quelle sitzen, das silberne Krönchen auf dem Kopfe und silberblinkende Tränchen vergießend.
Der Herbst war gekommen, und als ich eines Mittags zum Essen nach Hause ging und in unsere Stube trat, sah ich auf dem Ruhbettchen einen schwarzseidenen Mantel liegen. Freudig betroffen eilte ich auf denselben zu, hob das leichte angenehme Ding in die Höhe und besah es von allen Seiten, auf der Stelle Annas Mantel erkennend. Ich eilte damit in die Küche, wo ich die Mutter beschäftigt fand, ein feineres Essen als gewöhnlich zu bereiten. Sie bestätigte mir die Ankunft des Schulmeisters und seiner Tochter, setzte aber sogleich mit besorgtem Ernst hinzu, daß dieselben nicht zum Vergnügen gekommen wären, sondern um einen berühmten Arzt zu besuchen. Während die Mutter in die Stube ging und den Tisch deckte, deutete sie mir mit einigen Worten an, daß sich bei Anna seltsame und beängstigende Anzeichen eingestellt hätten, daß der Schulmeister sehr bekümmert sei