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liegt in diesem tiefen, tiefen Wasser; denn hier geht es so weit hinunter, als der Stein hoch ist!«

      Wir schauten, in tiefem Schatten sitzend, in die Höhe, wo der obere Teil des grauen Felsens im Sonnenscheine glänzte und die seltsame Vertiefung erhellt war. Wie wir so hinschauten, sahen wir einen blauen glänzenden Rauch aus der Heidenstube dringen und längs der Wand hinsteigen, und wie wir länger hinstarrten, sahen wir ein fremdartiges Weib, lang und hager, in der webenden Rauchwolke stehen, herabblicken aus hohlen Augen und wieder verschwinden. Sprachlos sahen wir hin, Anna schmiegte sich dicht an mich, und ich legte meinen Arm um sie; wir waren erschreckt und doch glücklich, und das Bild der Höhle schwamm verwirrt und verwischt vor unseren emporgerichteten Augen, und als es wieder klar wurde, standen ein Mann und ein Weib in der Höhe und schauten auf uns herab. Eine ganze Orgelpfeifenreihe von Knaben und Mädchen, halb oder ganz nackt, saß unter dem Loche und hing die Beine über die Wand herunter. Alle Augen starrten nach uns, sie lächelten schmerzlich und streckten die Hände nach uns aus, wie wenn sie um etwas flehten. Es war uns bange, wir standen eilig auf, Anna flüsterte, indem sie perlende Tränen vergoß »Oh, die armen, armen Heidenleute!« Denn sie glaubte fest, die Geister derselben zu sehen, besonders da man in der Gegend überzeugt war, daß kein menschlicher Weg zu jener Stelle führe. »Wir wollen ihnen etwas opfern«, sagte das Mädchen leise zu mir, »damit sie unser Mitleid gewahr werden!« Sie zog eine Münze aus ihrem Beutelchen, ich ahmte ihr nach, und wir legten unsere Spende auf einen Stein, der am Ufer lag. Noch einmal sahen wir hinauf, wo die seltsame Erscheinung uns fortwährend beobachtete und mit dankenden Gebärden nachschaute.

      Als wir im Dorfe anlangten, hieß es, man habe eine Bande Heimatloser in der Gegend gesehen und man würde dieselben nächster Tage aufsuchen, um sie über die Grenze zu bringen. Anna und ich konnten uns nun die Erscheinung erklären, es mußte doch ein geheimer Weg dorthin führen, welcher nur unter dem unglücklichen Volke, das solche Schlupfwinkel braucht, bekannt sein mochte. Wir gaben uns in einem einsamen Winkel feierlich das Wort, den Aufenthalt der Armen nicht zu verraten, und hatten nun ein artiges Geheimnis zusammen.

      So lebten wir, unbefangen und glücklich, manche Tage dahin, bald ging ich über den Berg, bald kam Anna zu uns, und unsere Freundschaft galt schon für eine ausgemachte Sache, an der niemand ein Arges fand, und ich war am Ende der einzige, welcher heimlich ihr den Namen Liebe gab, weil mir einmal nach alter Weise alles sich zum entschiedenen Romane gestaltete.

      Um diese Zeit erkrankte meine Großmutter, nach und nach, doch immer ernstlicher, und nach wenigen Wochen sah man, daß sie sterben würde. Sie hatte genug gelebt und war müde; solange sie noch bei guten Sinnen war, sah sie gern, wenn ich eine Stunde oder zwei an ihrem Bette verweilte, und ich fügte mich willig dieser Pflicht, obgleich der Anblick ihres Leidens und der Aufenthalt in der dumpfen Krankenstube mir ungewohnt und trübselig waren. Als sie aber in das eigentliche Sterben kam, welches mehrere Tage dauerte, wurde mir diese Pflicht zu einer ernsten und strengen Übung. Ich hatte noch nie jemanden sterben sehen und sah nun die bewußtlose oder wenigstens so scheinende Greisin mehrere Tage röchelnd im Todeskampfe liegen, denn ihr Lebensfunke mochte fast nicht erlöschen. Die Sitte verlangte, daß immer mindestens drei Personen in dem Gemache sich aufhielten, um abwechselnd zu beten und den fremden Besuchern, welche unablässig eintraten, die Ehren zu erweisen und Nachricht zu geben. Nun hatten aber die Leute, bei dem goldenen Wetter, gerade viel zu arbeiten, und ich, der ich nichts zu tun hatte und geläufig las, war ihnen daher willkommen und wurde den größten Teil des Tages am Todesbette festgehalten. Die Weiber hatten zudem insbesondere ein großes Bedürfnis, die Traurigkeit und den Schrecken des Todes recht auszubeuten, und da die Männer sich niemals lange in der Kammer aufhielten, waren sie froh, mich für alle büßen zu lassen, und erklärten, der Tod meiner Großmutter müsse sich mir recht einprägen, dies würde mir für immer nützlich sein. Auf einem Schemel sitzend, ein Buch auf den Knien, mußte ich mit vernehmlicher Stimme Gebete, Psalmen und Sterbelieder lesen, erwarb mir zwar durch meine Ausdauer die Gunst der Frauen, wofür ich aber den schönen Sonnenschein nur von ferne und den Tod beständig in der Nähe betrachten durfte.

      Ich konnte mich gar nicht mehr nach Anna umsehen, obschon sie mein süßester Trost in meiner asketischen Lage war; da erschien sie, schüchtern und manierlich, unversehens auf der Schwelle der Krankenstube, um die ihr sehr entfernt Verwandte zu besuchen. Das junge Mädchen war beliebt und geehrt unter den Bäuerinnen und daher jetzt willkommen geheißen, und als sie sich, nach einigem stillen Aufenthalte, anbot, mich im Gebete abzulösen, wurde ihr dies gern gestattet, und so blieb sie die noch übrige Sterbenszeit an meiner Seite und sah mit mir die ringende Flamme verlöschen. Wir sprachen selten miteinander, nur wenn wir uns die geistlichen Bücher übergaben, flüsterten wir einige Worte, oder wenn wir beide frei waren, ruhten wir behaglich nebeneinander aus und neckten uns im stillen, da die Jugend einmal ihr Recht geltend machte. Als der Tod eingetreten und die Frauen laut schluchzten, da zerfloß auch Anna in Tränen und konnte sich nicht zufriedengeben, da sie doch der Todesfall weniger berührte als mich, der ich als Enkel der Toten, obgleich ernst und nachdenklich, trockenen Auges blieb. Ich ward besorgt für das arme Kind, welches immer heftiger weinte, und fühlte mich sehr niedergeschlagen und unglücklich noch zu der Trauer über den Tod hinzu; denn ich konnte das zarte Mädchen nicht leiden sehen. Ich führte sie in den Garten, streichelte ihr die Wangen und bat sie inständigst, doch nicht so sehr zu weinen. Da erheiterte sich ihr Gesicht, wie die Sonne durch Regen, sie trocknete die Augen und sah mich urplötzlich lächelnd an.

      Wir genossen nun wieder freie Tage, und ich begleitete Anna zur Erholung sogleich nach Hause, um dort zu bleiben bis zum Leichenbegängnisse. Ich blieb die Zeit über ziemlich ernst, da der ganze Verlauf mich angegriffen und mir überdies die Großmutter sehr lieb und verehrungswürdig gewesen, ungeachtet ich sie seit kurzem kannte. Diese Stimmung war nun wiederum meiner Freundin unbehaglich, und sie suchte mich mit tausend Listen aufzuheitern und glich hierin den übrigen Frauen, welche alle wieder plaudernd und räsonierend vor ihren Häusern standen.

      Der Mann der toten Großmutter tat nun, während er sich bequem fühlte, als ob er sehr viel verloren und seine Frau im Leben wertgehalten hätte. Er ordnete eine pomphafte Leichenfeier an, woran über sechzig Personen teilnehmen sollten, und ließ es an nichts fehlen, alle alten Gebräuche in ihrem vollen Umfange zu beobachten.

      Am bezeichneten Tage begab ich mich mit dem Schulmeister und mit Anna auf den Weg; er trug einen feierlichen schwarzen Frack mit sehr breiten Schößen und eine gestickte weiße Halsbinde, Anna ebenfalls ihr schwarzes Kirchengewand und eine ihrer eigentümlichen Krausen, worin sie aussah wie eine Art Stiftsfräulein. Den Strohhut hingegen ließ sie zu Hause und trug ihre Haare besonders kunstreich geflochten, dazu durchdrang sie heute eine tiefe Frömmigkeit und Andacht, sie war still und ihre Bewegungen voll Sitte, und dieses alles ließ sie in meinen Augen in neuem, unendlichem Reize erscheinen. In meine traurige festliche Stimmung mischte sich ein süßer Stolz, mit diesem liebenswürdigen und seltenen Wesen so vertraut zu sein, und zu diesem Stolze gesellte sich eine innige Verehrung, daß ich meine Bewegungen ebenfalls maß und zurückhielt und mit eigentlicher Ehrerbietung neben ihr herging und ihr dienstbar war, wo es der unebene Weg erforderte.

      Wir machten vorerst im Hause meines Oheims halt, dessen Familie schon gerüstet war und sich, als die Totenglocke läutete, uns anschloß. Im Sterbehause wurde ich von meinen sämtlichen Begleitern getrennt, da meine Stellung als Enkel die Gegenwart unter den nächsten Leidtragenden mit sich brachte, und als der jüngste und unmittelbarste Nachkomme befand ich mich in meinem grünen Habit an der Spitze der ganzen Trauergesellschaft und war den umständlichen und langwierigen Zeremonien zuerst ausgesetzt. Die nähere Verwandtschaft war in der aufgeräumten großen Wohnstube versammelt und harrte auf das weibliche Geschlecht, welches erscheinen sollte, um hier seine Beileidsbezeugungen abzustatten. Nachdem wir eine geraume Weile stumm und aufrecht längs den Wänden gestanden, traten nach und nach viele bejahrte Bäuerinnen herein, in schwarzer Tracht, fingen bei mir an, eine um die andere, indem sie mir die Hand boten, ihren Spruch sagten und zum nächsten fortschritten auf gleiche Weise. Diese Matronen gingen größtenteils gebückt und zitternd und sprachen ihre Worte mit Rührung als alte Freundinnen und Bekannte der Seligen und als solche, welche die Nähe des Todes doppelt empfanden. Sie sahen mich alle fest und bedeutungsvoll an, ich mußte jeder einzelnen danken und sie ebenfalls ansehen, was ich ohnehin getan hätte, da mir jede dieser Gestalten ihres ausgeprägten

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