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so würde er den Jungen so gewiß durch schwere Handarbeit ins Leben führen, als zwei mal zwei vier sind! Zudem ist der Junge schon ein bißchen schwächlich und verwöhnt durch Euere Weiberwirtschaft; laßt ihn ein Maurer oder Steinmetz werden, oder besser, gebt ihn mir, so wird er die gehörige Demut und damit den rechten Stolz eines Mannes aus dem Volke gewinnen, und bis er imstande ist, einen guten Schuh fix und fertig zu arbeiten, soll er gelernt haben, was ein Bürger ist, wenn er anders seinem Vater nachfolgt, den wir sehr vermissen, wir andere Handwerksleute! Besinnt Euch, Frau Lee! von der Pike auf dienen, das macht den Mann! Waren die neuen Schuhe doch nicht zu eng, die ich letzthin schickte?«

      Die Frau Lee ging aber nicht sonderlich erbaut fort und murmelte vor sich her »Schlag du nur deine Zwecke ein, bei mir erreichst du deinen Zweck nicht, Herr Schuster, ungehobelter Mann! Bleib nur bei deinem Leisten und warte, bis mein Kind kommt, dir Gesellschaft zu leisten! Draht ist nicht Rat! Wenn du Gott furchten würdest, so brauchtest du nicht vor dem Gerber zu fliehen! Wer Pech angreift, besudelt sich!« Unter solchen Sarkasmen, welche sie nachher wiederholte, sooft sie auf diese Unterredung zu sprechen kam, zog sie die Klingel an einem hohen und schönen Hause, welches der Vater einst für einen vornehmen Herrn gebaut hatte. Es war ein feiner und ernster Mann, der in den Staatsgeschäften stand, nicht viele Worte machte, jedoch für uns einige Geneigtheit bezeigte und schon mehrmals mit entscheidendem Rat an die Hand gegangen war. Als er vernommen, worum es sich handelte, erwiderte er mit höflich ablehnenden Worten:

      »Es tut mir leid, gerade in dieser Angelegenheit nicht dienen zu können! Ich verstehe soviel wie nichts von der Kunst! Nur weiß ich, daß auch für das ausgezeichnetste Talent lange Studienjahre und bedeutende Mittel erforderlich sind. Wir haben wohl große Genies, welche sich durch besondere Widerwärtigkeiten endlich emporgeschwungen; allein um zu beurteilen, ob Ihr Sohn hiezu nur die geringsten Hoffnungen biete, dazu besitzen wir in unserer Stadt gar keine berechtigte Person! Was hier an Künstlern und dergleichen lebt, ist ziemlich entfernt von dem, was ich mir unter wirklicher Kunst vorstelle, und ich könnte nie raten, einem ähnlichen verfehlten Ziele entgegenzugehen.« Dann besann er sich eine Weile und fuhr fort »Betrachten Sie mit Ihrem Sohne die ganze Sache als eine kindische Träumerei; kann er sich entschließen, sich von mir in einer unserer Kanzleien unterbringen zu lassen, so will ich hiezu gern die Hand bieten und ihn im Auge behalten. Ich habe gehört, daß er nicht ohne Talent sei, besonders in schriftlichen Arbeiten. Würde er sich gut halten, so könnte er sich mit der Zeit ebensogut zu einem tüchtigen Verwaltungsmanne emporarbeiten als mancher andere wackere Mann, welcher ebenso von unten angefangen und als armer Schreiberjunge in unsere Kanzleien getreten ist. Diese Bemerkung mache ich übrigens nicht, um irgend große Hoffnungen zu erregen, sondern nur um Ihnen zu zeigen, daß der Knabe auch auf diesem Wege nicht unbedingt an ein dunkles und dürftiges Los gebunden ist.«

      Diese Rede, indem sie meiner Mutter eine ganz neue Aussicht eröffnete, warf sie gänzlich in Ungewißheit zurück, ob sie nicht ernstlich mich zur Änderung meines Sinnes bestimmen solle. Denn hier war, noch mehr als beim Fabrikanten, die Bürgschaft eines angesehenen und seiner Worte sichern Mannes zur Hand, welcher einen großen Teil unserer Verhältnisse ebenso klar durchschaute als mit beherrschte und wohl imstande war, diejenigen über dem Wasser zu halten, die sich seinem Rate anvertrauten.

      Sie schloß hier ihren beschwerlichen Gang und beschrieb mir in einem großen Briefe sämtlichen Erfolg desselben, jedoch die Vorschläge des Fabrikanten und des Staatsmannes besonders hervorhebend, und ermahnte mich, meinen bestimmten Entschluß noch hinauszuschieben und eher darauf zu denken, auf welche Weise ich am füglichsten im Lande bleiben, mich redlich nähren, ihr selbst ein Trost und eine Stütze des Alters und doch meinen natürlichen Anlagen gerecht werden könne; denn daß sie je dazu helfen würde, mich gewaltsam zu einem mir widerstrebenden Lebensberufe zu bestimmen, davon sei keine Rede, da sie hierüber die Grundsätze des Vaters genugsam kenne und es ihre einzige Aufgabe wäre, annähernd so zu verfahren, wie er getan haben würde.

      Dieser Brief war überschrieben »Mein lieber Sohn!«, und das Wort Sohn, das ich zum ersten Male hörte von ihr, rührte mich und schmeichelte mir aufs eindringlichste, daß ich für den übrigen Inhalt sehr empfänglich und dadurch an mir selbst irre und in Zweifel gesetzt wurde. Ich fühlte mich ganz allein und wehrlos mit meinen grünen Bäumen gegenüber dem ernsten kalten Weltleben und seinen Lenkern. Aber während ich schon begann, mich mit dem Gedanken, auf immer vom geliebten Walde zu scheiden, vertraut zu machen (ich wußte von keinem Dilettantismus und daß man auch als Weltmann seine Mußestunden dergleichen Neigungen widmen könne), gab ich mich nur um so inniger der Natur hin und schweifte den ganzen Tag in den Bergen, und die drohende Trennung ließ mich manches angehende Verständnis sicherer ergreifen, als es sonst geschehen wäre. Ich hatte schon sämtliche Studien des Junker Felix nachgezeichnet und dadurch einige Ausdrucksweise gewonnen, so daß meine Blätter wenigstens ordentlich weiß und schwarz wurden von Stift und Tusche.

      Oft, am Morgen oder am Abend, stand ich auf der Höhe über dem tiefen See, wo unten der Schulmeister mit seinem Töchterchen wohnte, oder ich hielt mich auch einen ganzen Tag an einer Stelle des Abhanges auf, unter einer Buche oder Eiche, und sah das Haus abwechselnd im Sonnenscheine oder im Schatten liegen; aber je länger ich zauderte, desto weniger konnte ich es über mich gewinnen hinabzugehen, da mir das Mädchen fortwährend im Sinne lag und ich deshalb glaubte, man würde mir auf der Stelle ansehen, daß ich seinetwegen käme. Meine Gedanken hatten von der feinen Erscheinung Annas plötzlich so vollständigen Besitz ergriffen, daß ich alle Unbefangenheit ihr gegenüber im gleichen Augenblicke verloren und in beschränkter Unerfahrenheit von ihrer Seite sogleich das gleiche voraussetzte. Indem ich jedoch mich nach dem Wiedersehen sehnte, war mir die Zwischenzeit und meine Unentschlossenheit gar nicht peinlich und unerträglich, vielmehr gefiel ich mir in diesem gedanken- und erwartungsvollen Zustande und sah einem zweiten Begegnen eher mit Unruhe entgegen. Wenn meine Basen von ihr sprachen, tat ich, als hörte ich es nicht, indessen ich doch nicht von der Stelle wich, solange das Gespräch dauerte, und wenn sie mich fragten, ob es denn nicht ein allerliebstes Kind sei, erwiderte ich ganz trocken »Ja, gewiß!«

      In diesen Tagen fand ich kaum Zeit, bei meiner Großmutter den täglichen kurzen Aufenthalt zu nehmen, und vernachlässigte die anderen Verwandten so ziemlich, wenn ich nicht gerade bestimmt eingeladen war zur Teilnahme an einem Ausnahmegericht oder sonstigem Schmause, wie solche durch den Wechsel der Feldfrüchte oder durch Schlachten und Backen hervorgerufen werden.

      Auf diesen Wegen war ich häufig am Hause der schönen Judith vorübergekommen und, da ich eben deswegen, weil sie ein schönes Weib war, auch einige Befangenheit fühlte und Anstand nahm einzutreten, von ihr gebieterisch hereingerufen und festgehalten worden. Nach der Weise der aufopfernden und nimmermüden alten Frauen und auch aus unentbehrlicher Gewohnheit befand sich ihre Mutter beinahe immer auf dem warmen Felde, während die kräftige Tochter das leichtere Teil erwählte und im kühlen Haus und Garten gemächlich und halb müßig waltete. Deswegen war diese bei gutem Wetter fast immer allein zu Hause und sah es gern, wenn jemand, den sie leiden mochte, bei ihr vorkehrte und mit ihr plauderte. Als sie meine Malerkünste entdeckt hatte, trug sie mir sogleich auf, ihr ein Blumensträußchen zu malen, welches sie mit Zufriedenheit in ihr Gesangbuch legte. Sie besaß ein kleines Stammbüchelchen von der Stadt her, das nur zwei oder drei Inschriften und eine Menge leerer Blätter mit Goldschnitt enthielt; von diesen gab sie mir bei jedem Besuche einige, daß ich eine Blume oder ein Kränzchen darauf male (Farben und Pinsel hatte ich schon bei ihr deponiert, und sie verwahrte dieselben sorgfältig), dann wurde ein Vers oder verliebter Spruch darunter geschrieben und ihr Kirchenbuch mit solchen Bildchen, die ich in ein paar Minuten anfertigte, angefüllt. Die Verse wurden einer großen Sammlung bedruckter Papierstreifchen entnommen, welche sie als Überbleibsel früher genossener Bonbons aufbewahrte. Durch diesen Verkehr war ich heimisch und vertraut bei ihr geworden, und indem ich immer an die junge Anna dachte, hielt ich mich gern bei der schönen Judith auf, weil ich in jener unbewußten Zeit ein Weib für das andere nahm und nicht im mindesten eine Untreue zu begehen glaubte, wenn ich im Anblicke der entfalteten vollen Frauengestalt behaglicher an die abwesende zarte Knospe dachte als anderswo, ja als in Gegenwart dieser selbst. Manchmal traf ich sie am Morgen, wie sie ihr üppiges Haar kämmte, welches geöffnet bis auf ihre Hüften fiel. Mit dieser wallenden Seidenflut fing ich neckend an zu spielen, und Judith pflegte bald, ihre Hände in den Schoß legend, den meinigen ihr schönes Haupt

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