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dabei der längst entschwundenen Frau fast sehnsüchtig gedenke, während ihre Gesichtszüge und ihr Name schon lange bis auf die letzte Spur in meinem Gedächtnis verwischt. Wir gingen gerade dem Waldbache entlang, über welchem der Mond ein geheimnisvolles Netz von Dunkel und Licht zittern ließ; Judith verschwand plötzlich von meiner Seite und huschte durch die Büsche, während ich verblüfft vorwärtsging. Dies dauerte wohl fünf Minuten, während welcher ich keinen Laut vernahm außer dem leisen Wehen der Bäume und dem Rieseln der Wellen. Es wurde mir zu Mute, wie wenn Judith sich aufgelöst hätte und still in die Natur verschwunden wäre, in welcher mich ihre Elemente geisterhaft neckend umrauschten. So gelangte ich unversehens in die Gegend der Heidenstube und sah nun die graue Felswand im hellen Vollmond, der über den Bäumen stand, in den Himmel ragen; das Wasser und die Steine zu meinen Füßen waren ebenfalls beschienen. Auf den Steinen lagen Kleider, zuoberst ein weißes Hemd, welches, als ich es aufhob, noch ganz warm war, wie eine soeben entseelte irdische Hülle. Ich vernahm aber keinen Laut, noch sah ich etwas von Judith, es wurde mir wirklich unheimlich zu Mute, da die Stille der Nacht von einer dämonischen Absicht ganz getränkt erschien. Ich wollte eben Judith beim Namen rufen, als ich seltsame, halb seufzende, halb singende Töne vernahm, aus denen zuletzt ein deutliches altes Lied wurde, das ich schon hundertmal gehört und jetzt doch einen zauberhaften Eindruck auf mich machte. Sein Inhalt war die Tiefe des Wassers, etwas von Liebe und sonst nichts weiter; aber zuletzt war es von einem fast sichtbaren verführerischen Lächeln durchdrungen und von einem silbernen Geräusch begleitet, wie wenn jemand im Wasser plätschert und sich dasselbe in sanften Wellen gegen die Lenden schlägt. Wie ich so hinhorchte, entdeckte ich endlich mir gegenüber eine undeutliche weiße Gestalt, welche sich im Schatten hinter dem Felsen bewegte, sich an überhängende Zweige hing und den Körper im Wasser treiben ließ oder plötzlich sich hoch aufrichtete und eine Weile gespenstisch unbeweglich hielt. Es führte ein untiefer Damm des Geschiebes zu jener Stelle, und zwar in einem ziemlich weiten Bogen, und als ich einen Augenblick mich vergessen hatte, sah ich unversehens die nackte Judith schon auf der Mitte dieses Weges angelangt und auf mich zukommen. Sie war bis unter die Brust im Wasser; sie näherte sich im Bogen, und ich drehete mich magnetisch nach ihren Bewegungen. Jetzt trat sie aus dem schief über das Flüßchen fallenden Schlagschatten und erschien plötzlich im Mondlichte; zugleich erreichte sie bald das Ufer und stieg immer höher aus dem Wasser, und dieses rauschte jetzt glänzend von ihren Hüften und Knien zurück. Jetzt setzte sie den triefenden weißen Fuß auf die trockenen Steine, sah mich an und ich sie; sie war nur noch drei Schritte von mir und stand einen Augenblick still; ich sah jedes Glied in dem hellen Lichte deutlich, aber wie fabelhaft vergrößert und verschönt, gleich einem überlebensgroßen alten Marmorbilde. Auf den Schultern, auf den Brüsten und auf den Hüften schimmerte das Wasser, aber noch mehr leuchteten ihre Augen, die sie schweigend auf mich gerichtet hielt. Jetzt hob sie die Arme und bewegte sich gegen mich; aber ich, von einem heißkalten Schauer und Respekt durchrieselt, ging mit jedem Schritt, den sie vorwärts tat, wie ein Krebs einen Schritt rückwärts, aber sie nicht aus den Augen verlierend. So trat ich unter die Bäume zurück, bis ich mich in den Brombeerstauden fing und wieder stillstand. Ich war nun verborgen und im Dunkeln, während sie im Lichte mir vorschwebte und schimmerte; ich drückte meinen Kopf an einen kühlen Stamm und besah unverwandt die Erscheinung. Jetzt ward es ihr selbst unheimlich; sie stand dicht bei ihrem Gewande und begann wie der Blitz sich anzuziehen. Ich sah aber, daß sie erst jetzt in Verlegenheit geriet, und trat unwillkürlich, meine eigene Verwirrung vergessend, hervor, half ihr zitternd den Rock über der Brust zuheften und reichte ihr das große weiße Halstuch. Hierauf umschlang ich ihren Hals und küßte sie auf den Mund, gewissermaßen um keinen müßigen Augenblick aufkommen zu lassen; sie fühlte dies wohl; denn sie war nun über und über rot bis in die noch feuchte Brust hinein; sie steckte hastig ihre feinen Strümpfe in die Tasche und schlüpfte mit bloßen Füßen in die Schuhe, worauf sie mich noch einmal umschloß und heftig küßte, dann quer durch die Bäume die Halde hinaneilte und verschwand, indessen ich das Wasser entlang nach Hause ging. Ich fühlte sonderbarerweise die Schuld dieses Abenteuers allein auf mir ruhen, obgleich ich mich leidend dabei verhalten, während ich schon empfand, wie unauslöschlich der nächtliche Spuk, die glänzende Gestalt für immer meinen Sinnen eingeprägt sei und wie ein weißes Feuer in meinem Gehirne und in meinem Blute umging.

      Zu diesen so ganz entgegengesetzten Aufregungen der Tage und der Nächte kamen diesen Sommer noch verschiedene Auftritte im ländlichen Familienleben, welche bei aller Einfachheit doch den gewaltigen Wechsel des Lebens und sein unaufhaltsames Vorübergehen ins Licht stellten. Der Haushalt des jungen Müllers ließ seine Heirat nicht länger aufschieben, und es wurde also eine dreitägige Hochzeit gefeiert, bei welcher die spärlichen Überreste städtischen Gebrauches, so die Braut aus ihrem Hause mitbrachte, gar jämmerlich dem ländlichen Pomp unterliegen mußten. Die Geigen schwiegen nicht während der drei Tage; ich ging jeden Abend hin und fand Judith festlich geschmückt unter dem Gedränge der Gäste; ein und das andere Mal tanzte ich bescheiden und wie ein Fremder mit ihr, und auch sie hielt sich zurück, obgleich wir während der geräuschvollen Nächte Gelegenheit genug hatten, uns unbemerkt nahe zu sein. Aber erst dadurch empfand ich recht, welch ein zwingender Reiz in einem solchen Doppelleben und welch ein Zauber in dem Geheimnis liegt; ich war innerlich wie berauscht, und die schöne Judith sah es wohl und bewegte sich um so ruhiger und mit allen Leuten lachend, plaudernd herum, wobei es mir doch wohlgefiel, daß sie im geheimen doch auch ernster und leidenschaftlich bewegt schien. Alles war mir wie ein Märchen; die Geigen und die Gläser klangen, die Leute sangen und tanzten, überall faßte man sich bei den Händen und lachte sich an, und wenn mich soeben ein lustiges Mädchen gestellt und angeredet und ich schweigend etwa das goldene Herzchen, das ihr vor der klopfenden Brust tanzte, in die Hand genommen und von allen Seiten beschaut, bis sie mir auf die Finger schlug, so ging ich um so nachdenklicher weiter. Dann kam die glückliche Braut, welche der Reihe nach mit aller Welt einer geheim vertraulichen Unterhaltung pflag, zog auch mich beiseite, fragte, warum ich nicht lustiger sei, und versicherte mir angelegentlich, daß ich ein guter Junge und ihr sehr lieb sei. Ich ward gerührt und betroffen und mußte mich von ihr wenden, da mir die Tränen nahe waren, ohne daß ich eigentlich wußte, warum, und sie noch weniger. Noch tiefer fühlte ich mich betroffen, als ich an einem der Tage meine Mutter, welche auf ein halbes Stündchen erschienen war, fortbegleitete und plötzlich aus dem Lärm und Gedränge der Hochzeit heraus mich auf die stillen grünen Sommerpfade versetzt sah. Meine Mutter war so ruhig, zufrieden und gesprächig im Gefühle der erfüllten Pflicht und eines immer gleichen anspruchlosen Lebens, daß mein leidenschaftlich bewegtes Treiben im grellsten Lichte dagegen abstach und ich, obgleich ich nun schon ein anderes Sittengesetz zu kennen glaubte als das überkommene, mir den Gedanken nicht verwehren konnte, daß ich sie mit dem hintergehe, wovon sie keine Ahnung hatte.

      Kaum war die Hochzeit vorüber, so erkrankte die Muhme, welche noch nicht funfzig Jahre alt war, und starb in Zeit von drei Wochen. Sie war eine starke und gesunde Frau, daher ihre Todeskrankheit um so gewaltsamer, und sie starb sehr ungern. Sie litt heftig und unruhig und ergab sich erst in den letzten zwei Tagen, und an dem Schrecken, der sich im Hause verbreitete, konnte man erst sehen, was sie allen gewesen. Aber wie nach dem Hinsinken eines guten Soldaten auf dem Felde der Ehre die Lücke schnell wieder ausgefüllt wird und der Kampf rüstig fortgeht, so erwies sich die Art des Lebens und des Todes dieser tapferen Frau auch auf das schönste dadurch, daß die Reihen ohne Lamentieren rasch sich schlossen, die Kinder teilten sich in Arbeit und Sorge und versparten den beschaulichen Schmerz bis auf die Tage, wo geruht und wo ihnen der Verlust ihrer Mutter erst ein schweres Wahrzeichen des Lebens werden wird. Nur der Oheim äußerte erst einige tiefere Klagen, faßte diese aber bald in das Wort »meine selige Frau« zusammen, das er nun bei jeder Gelegenheit anbrachte. An dem Leichenbegängnisse sah ich Judith unter den fremden Frauen. Sie trug ein städtisches schwarzes Kleid bis unter das Kinn zugeknöpft, sah demütig auf den Boden und ging doch hoch und stolz einher.

      Wenige Wochen später erschien der junge philosophische Schullehrer im Hause und bewarb sich unversehens um die jüngste Tochter. Die Jungen wußten zwar schon längst, daß die beiden sich leidenschaftlich verbunden; allein dem Vater kam es ganz unerwartet, und man sah nun an seinem Erstaunen und an seinem Unwillen, den er wenig verhehlte, welch ein unwillkommener Gast er bei allem Scherz für eine engere Verbindung war. Der Oheim wies ihn ab oder wenigstens auf die Zukunft, wegen des kürzlichen Todes seiner Frau und weil er auch deswegen jetzt keine Tochter

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