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mir weh, und es würde mich wahrhaft unglücklich machen, allein um unserer Dummheit willen nicht einmal ein oder zwei Jahre noch glücklich sein zu dürfen!«

      »Diese zwei Jahre«, sagte ich, »müssen und werden auch so vorübergehen, und gerade dann werden wir beide glücklicher sein, wenn wir jetzt scheiden; es ist nun gerade noch die höchste Zeit, es, ohne spätere Reue und das Bisherige gutzumachen, zu tun. Und wenn ich dir es deutsch heraussagen soll, so wisse, daß ich mir auch dein Andenken, was immer ein Andenken der Verirrung für mich sein wird, doch noch so rein und schön als möglich retten und erhalten möchte, und das kann nur noch durch ein rasches Scheiden in diesem Augenblicke geschehen. Du sagst und beklagst es, daß du nie teilgehabt an der edleren und höheren Hälfte der Liebe! Welche bessere Gelegenheit kannst du ergreifen, als wenn du aus Liebe zu mir mir freiwillig erleichterst, deiner mit Achtung und Liebe zu gedenken und zugleich der Verstorbenen treu zu sein? Wirst du dich dadurch nicht an jener tieferen Art der Liebe beteiligen?«

      »Oh, alles Luft und Schall!« rief Judith, »ich habe nichts gesagt, ich will nichts gesagt haben! Ich will nicht deine Achtung, ich will dich selbst haben, solange ich kann!«

      Sie suchte meine beiden Hände zu fassen, ergriff dieselben, und während ich sie ihr vergeblich zu entziehen mich bemühte, indes sie mir ganz flehentlich in die Augen sah, fuhr sie nicht leidenschaftlichem Tone fort:

      »O liebster Heinrich! Geh nach der Stadt, aber versprich mir, dich nicht selbst zu binden und zu zwingen durch solche schreckliche Schwüre und Gelübde! Laß dich –«

      Ich wollte sie unterbrechen, aber sie verhinderte mich am Reden und überflügelte mich:

      »Laß es gehen, wie es will, sag ich dir! Auch an mich darfst du dich nicht binden, du sollst frei sein wie der Wind! Gefällt es dir –«

      Aber ich ließ Judith nicht ausreden, sondern riß mich los und rief:

      »Nie werd ich dich wiedersehen, so gewiß ich ehrlich zu bleiben hoffe! Judith! leb wohl!«

      Ich eilte davon, sah mich aber noch einmal um, wie von einer starken Gewalt gezwungen, und sah sie in ihrer Rede unterbrochen dastehen, die Hände noch ausgestreckt von dem Losreißen der meinigen und überrascht, kummervoll und beleidigt zugleich mir nachschauend, ohne ein Wort hervorzubringen, bis mir der von der Sonne durchwirkte Nebel ihr Bild verschleierte.

      Eine Stunde später saß ich mit meiner Mutter auf einem Gefährt, und einer der Söhne meines Oheims führte uns nach der Stadt. Ich blieb den ganzen Winter allein und ohne allen Umgang; meine Mappen und mein Handwerkszeug mochte ich kaum ansehen, da es mich immer an den unglücklichen Römer erinnerte und ich mir kaum ein Recht zu haben schien, das, was er mich gelehrt, fortzubilden und anzuwenden. Manchmal machte ich den Versuch, eine neue und eigene Art zu erfinden, wobei sich aber sogleich herausstellte, daß ich selbst das Urteil und die Mittel, die ich dazu verwandte, nur Römern verdankte. Dagegen las ich fort und fort, vom Morgen bis zum Abend und tief in die Nacht hinein. Ich las immer deutsche Bücher und auf die seltsamste Weise. Jeden Abend nahm ich mir vor, den nächsten Morgen, und jeden Morgen, den nächsten Mittag die Bücher beiseite zu werfen und an meine Arbeit zu gehen; selbst von Stunde zu Stunde setzte ich den Termin; aber die Stunden stahlen sich fort, indem ich die Buchseiten umschlug, ich vergaß sie buchstäblich; die Tage, Wochen und Monate vergingen so sachte und heimtückisch, als ob sie, leise sich drängend, sich selbst entwendeten und zu meiner fortwährenden Beunruhigung lachend verschwänden. Sonst, wenn ich die Bücher alter und fremder Völker las, füllten mich dieselben stets mit frischer Lust zur Arbeit, und selbst die neueren französischen oder italienischen Sachen waren, selbst wenn ihr Gehalt nicht vom erlauchtesten Geiste, doch von solcher Gestaltungslust getränkt, daß ich sie oft fröhlich wegwarf und auf eigenes Tun sann. Durch die deutschen Bücher hingegen wurde ich tief und tiefer in einen schmerzlichen Genuß unrechtmäßiger Ruhe und Beschaulichkeit hineingezogen, aus welchem mich der immer wache Vorwurf doch nicht reißen konnte. Ja, ich empfand trotz des bösen Gewissens sogar mehr und mehr eine Sehnsucht, selbst über den Rhein zu setzen und erst recht mitten in diese Welt zu geraten.

      Jedoch brachte der Frühling eine kräftige Erlösung aus diesem unbehaglichen Zustande; ich hatte nun das achtzehnte Jahr überschritten, war militärpflichtig geworden und mußte mich am festgesetzten Tage in der Kaserne einfinden, um die kleinen Geheimnisse der Vaterlandsverteidigung zu lernen. Ich stieß auf ein summendes Gewimmel von vielen hundert jungen Leuten aus allen Ständen, welche jedoch bald von einer Handvoll grimmiger Kriegsleute zur Stille gebracht, abgeteilt und während vieler Stunden als ungefüger Rohstoff hin- und hergeschoben wurden, bis sie das Brauchbare zusammengestellt hatten. Als sodann die Übungen begannen und die Abteilungen zum ersten Mal unter den einzelnen seltsamen Vorgesetzten, welches vielumhergeratene Soldatennaturen waren, zusammenkamen, wurde mir, der ich nichts bedacht hatte, unter Gelächter mein langes Haar dicht am Kopfe weggeschnitten. Aber ich legte es mit dem größten Vergnügen auf den Altar des Vaterlandes und fühlte behaglich die frische Luft um meinen geschorenen Kopf wehen. Jetzt mußten wir aber auch die Hände darstrecken, ob sie gewaschen und die Nägel ordentlich beschnitten seien, und nun war die Reihe an manchem biedern Handarbeiter, sich geräuschvoll belehren zu lassen. Dann gab man uns ein kleines Büchelchen, das erste einer ganzen Reihe, in welchem Pflichten und Haltung des angehenden Soldaten in wunderlichen Sätzen als Fragen und Antworten deutlich gedruckt und numeriert waren. Jeder Regel war aber eine tüchtige kurze Begründung beigefügt, und wenn auch manchmal diese in den Satz der Regel, die Regel aber hintennach in die Begründung hineingeraten war, so lernten wir doch alle jedes Wort eifrig und andächtig auswendig und setzten eine Ehre darein, das Pensum ohne Stottern herzusagen. Endlich verging der Rest des ersten Tages über den Bemühungen, von neuem geradestehen und einige Schritte gehen zu lernen, was unter dem Wechsel von Mut und Niedergeschlagenheit sich vollendete.

      Es galt nun, sich einer eisernen Ordnung zu fügen und sich jeder Pünktlichkeit zu befleißen, und obgleich dies mich aus meiner vollkommenen Freiheit und Selbstherrlichkeit herausriß, so empfand ich doch einen wahren Durst, mich dieser Strenge hinzugeben, so komisch auch ihre nächsten kleinen Zwecke waren, und als ich einigemal nahe an der Strafe hinstreifte, und zwar nur aus Versehen, Überkam mich ein wahrhaftes Schamgefühl vor den Kameraden, welche sich ihrerseits ganz ähnlich verhielten.

      Als wir soweit waren, mit Ehren über die Straße zu marschieren, zogen wir jeden Tag auf den Exerzierplatz, welcher im Freien lag und von der Landstraße durchschnitten wurde. Eines Tages, als ich mitten in einem Gliede von etwa fünfzehn Mann nach dem Kommando des Instruktors, der unermüdlich rückwärts vor uns herging, schreiend und mit den Händen das Tempo schlagend, so schon stundenlang den weiten Platz nach allen Richtungen durchmessen und vielfach in unseren Schwenkungen die vielen anderen Abteilungen gekreuzt hatte, kamen wir plötzlich dicht an die Landstraße zu stehen und machten dort halt und Front gegen dieselbe. Der Exerziermeister, welcher hinter der Front stand, ließ uns eine Weile regungslos verharren, um einige nicht schmeichelhafte Bemerkungen und Ausstellungen an unseren Gliedmaßen anzubringen. Während er hinter unserm Rücken lärmte und fluchte, soweit es ihm Gesetz und Sitte nur immer erlaubten, und wir so mit dem Gesichte gegen die Straße gewendet ihm zuhörten, kam ein großer, mit sechs Pferden bespannter Wagen angefahren, wie die Auswanderer ihn herzurichten pflegen, welche sich nach den französischen Häfen begeben. Dieser Wagen war mit ansehnlichem Gute beladen und schien einer oder zwei stattlichen Familien zu dienen, die nach Amerika gingen. Zwei kräftige Männer gingen neben den Pferden, vier oder fünf Frauen saßen auf dem Wagen unter einem bequemen Zeltdache, nebst mehreren Kindern und selbst einem Greise. Aber diesen Leuten hatte sich Judith angeschlossen; denn ich entdeckte sie, als ich zufällig hinsah, hoch und schön unter den Frauen, mit Reisekleidern angetan. Ich erschrak heftig, und das Herz schlug mir gewaltig, während ich mich nicht regen noch rühren durfte. Judith, welche im Vorüberfahren, wie mir schien, mit finsterm Blicke auf die Soldatenreihe sah, erschaute mich mitten in derselben und streckte sogleich die Hände nach mir aus. Aber im gleichen Augenblicke kommandierte unser Tyrann »Kehrt euch!« und führte uns wie ein Besessener im Geschwindschritte ganz an das entgegengesetzte Ende des weiten Platzes. Ich lief immer mit, die Arme vorschriftsmäßig längs des Leibes angeschlossen, »die kleinen Finger an der Hosennaht, die Daumen auswärts gekehrt«, ohne mir was ansehen zu lassen, obgleich ich heftig bewegt war; denn in diesem

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