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und verabschiedete sich zugleich freundlich von mir, noch einige geheimnisvolle Andeutungen über den Zweck der Reise beifügend. Als ich meiner Mutter die Nachricht mitteilte, fragte sie sogleich, ob er denn nichts von dem geliehenen Gelde gesagt habe?

      Ich hatte bei Römer einen entschiedenen Fortschritt gemacht, mein ganzes Können abgerundet und meinen Blick erweitert, und es war gar nicht zu berechnen und schon nicht mehr zu denken, wie es ohne dies alles mit mir hätte gehen sollen. Deswegen hätten wir das Geld füglich als eine wohlangewandte Entschädigung ansehen müssen, und dies um so mehr, als Römer mir die letzte Zeit nach wie vor seinen Rat gegeben hatte. Allein wir glaubten nur einen Beweis von der Richtigkeit jener Gerüchte zu sehen und wußten auch dazumal noch nicht, wie kümmerlich er lebte; wir dachten ihn im Besitze guter Mittel, denn er hatte seine Armut sorgfältig verborgen. Meine Mutter bestand darauf, daß er das Geliehene zurückgeben müsse, und war zornig, daß jemand von dem zum Besten ihres Söhnleins bestimmten kleinen Geldvorrate sich ohne weiteres einen Teil aneignen wolle. Was ich gelernt, zog sie nicht in Betracht, weil sie es für die Schuldigkeit aller Welt hielt, mir mitzuteilen, was man irgend Gutes wußte.

      Ich dagegen, teils weil ich zuletzt auch gegen Römer eingenommen war und ihn für eine Art Schwindler hielt, teils weil ich meine Mutter zur Herausgabe der Summe beredet, und endlich aus Unverstand und Verblendung, hatte nichts einzuwenden und war vielmehr fast schadenfroh, Römer etwas Feindliches anzutun. Als daher die Mutter ein Billett an ihn schrieb und ich einsah, daß er, wenn er entschlossen war, das Geld zu behalten, die Mahnung einer in seinen Augen gewöhnlichen Frau nicht beachten werde, kassierte ich das Schreiben meiner Mutter, welche ohnedies verlegen war, an einen so ansehnlichen und fremdartigen Mann zu schreiben, und entwarf ein anderes, welches, ich muß es zu meiner Schande gestehen, höchst zweckmäßig eingerichtet war. In höflicher und geistreicher Sprache berechnete ich halb seine fixen Ideen, halb seinen Stolz und sein Ehrgefühl (dieses dachte ich durch jene zu zwingen), und indem das bescheidene Billett erst zu einer Bitterkeit wurde, wenn es unberücksichtigt blieb, war es, wenn Römer alles das verlachen sollte, schließlich so beschaffen, daß er doch nicht lachen, sondern sich durchschaut sehen konnte. Soviel brauchte es indessen gar nicht; denn als wir das Machwerk hinschickten, kehrte der Bote augenblicklich mit dem Gelde zurück. Ich war etwas beschämt; doch sprachen wir jetzt alles Gute von ihm, er sei doch nicht so übel usf., nur weil er uns das elende Häufchen Silber herausgegeben.

      Ich glaube, wenn Römer sich eingebildet hätte, ein Nilpferd oder ein Speiseschrank zu sein, so wäre ich nicht so unbarmherzig und undankbar gegen ihn gewesen; da er aber ein großer Prophet sein wollte, so fühlte sich meine eigene Eitelkeit dadurch verletzt und waffnete sich mit den äußerlichen scheinbaren Gründen.

      Nach einem Monate erhielt ich von Römer folgenden Brief aus Paris:

      »Mein werter junger Freund!

      Ich bin Ihnen eine Nachricht über mein Befinden schuldig, da ich gern annehme, mich Ihrer ferneren Teilnahme und Freundschaft erfreuen zu dürfen. Bin ich Ihnen doch meine endliche Befreiung und Herrschaft schuldig. Durch Ihre Vermittlung, indem Sie das Geld von mir zurückverlangten (welches ich nicht vergessen hatte, aber Ihnen in einem freiern Augenblicke zurückgeben wollte), bin ich endlich in den Palast meiner Väter eingezogen und meiner wahren Bestimmung anheimgegeben! Aber es kostete Mühseligkeit. Ich gedachte jene Summe zu meinem ersten Aufenthalte hier zu verwenden; da Sie aber selbige zurückverlangten, so blieb mir nach Abzug der Reisekosten noch 1 Franc übrig, mit welchem ich von der Post ging. Es regnete sehr stark, und verwandte ich daher den besagten Franc dazu, nach dem Mont piete zu fahren und dorten meinen Koffer zu versetzen. Bald darauf sah ich mich genötigt, meine Sammlungen einem Trödler für ein Trinkgeld zu verkaufen, und erst jetzt, als ich endlich von aller angenommenen Künstlermaske und allem Kunstapparate glücklich befreit und hungernd in den Straßen umherlief, ohne Obdach, ohne Kleider, doch jubelnd über meine Freiheit, da fanden mich treue Diener meines erlauchten Hauses und führten mich im Triumph heim! Aber noch beobachtet man mich zuweilen, und ich benutze eine günstige Gelegenheit, dies Zeichen zu senden. Sie sind mir wert geworden, und ich habe etwas Gutes mit Ihnen vor! Inzwischen nehmen Sie meinen Dank für die günstige Wendung, die Sie herbeigeführt! Möge alles Elend der Erde in Ihr Herz fahren, jugendlicher Held! Mögen Hunger, Verdacht und Mißtrauen Sie liebkosen und die schlimme Erfahrung Ihr Tisch- und Bettgenosse sein! Als aufmerksame Pagen sende ich Ihnen meine ewigen Verwünschungen, mit denen ich mich bis auf weiteres Ihnen treulichst empfehle!

      Ihr wohlgewogener Freund.

       Dies nur in Eile, ich bin zu sehr beschäftigt!«

       Erst vor einem Jahre erfuhr ich, daß Römer in einem französischen Irrenhause verschollen sei. Wie es dazu kam, wird in obigem Briefe ziemlich klar. Meine Mutter, welcher ich alles verhehlte, konnte keine Schuld treffen als diejenige aller Frauen, welche aus Sorge für ihre Angehörigen engherzig und rücksichtslos gegen alle Welt werden. Ich hingegen, der ich gerade zu dieser Zeit mich gut und strebsam glaubte, sah nun ein, welche Teufelei ich begangen hatte. Ich log, verleumdete, betrog oder stahl nicht, wie ich es als Kind getan, aber ich war undankbar, ungerecht und hartherzig unter dem Scheine des äußern Rechtes. Ich mochte mir lange sagen, daß jene Forderung ja nur eine einfache Bitte um das Geliehene gewesen sei, wie sie alle Welt versucht, und daß weder meine Mutter noch ich je gewaltsam darauf bestanden hätten, ich mochte mir lange sagen, daß Erfahrung den Meister mache und man auch diese Art Unrecht, als die gangbarste und am leichtesten zu begehende, am besten durch ein tüchtiges Erlebnis recht einsehen und vermeiden lerne, mochte ich mich auch überreden, daß Römers Wesen und Schicksal mein Verhalten hervorgerufen und auch ohne diesen Vorgang seine Erfüllung erreicht hätte; alles dies hinderte nicht, daß ich mir doch die bittersten Vorwürfe machen mußte und mich schämte, sooft Römers Gestalt vor meinen Sinn trat. Wenn ich auch die Welt verwünschte, welche dergleichen Handlungen als klug und recht anerkennt (denn die rechtlichsten Leute hatten ms zu der Wiedererlangung;, der Summe beglückwünscht), so fiel doch alle Schuld wieder auf mich allein zurück, wenn ich an die Anfertigung jenes Billetts dachte, welches ich so recht con amore und ohne die mindeste Mühe geschrieben und gleichsam aus dem Ärmel geschüttelt hatte. Ich war bald achtzehn Jahre alt und entdeckte jetzt erst, wie ruhig und unbefangen ich seit den Knabensünden und Krisen gelebt, sechs lange Jahre! Und nun plötzlich diese Teufelei! Wenn ich schließlich bedachte, wie ich jenes unverhoffte Erscheinen Römers als eine höhere Fügung angesehen, so wußte ich nicht, sollte ich lachen oder weinen über den Dank, den ich dafür gespendet. Den unheimlichen Brief wagte ich nicht zu verbrennen und fürchtete mich, ihn aufzubewahren; bald begrub ich ihn unter entlegenem Gerümpel, bald zog ich ihn hervor und legte ihn zu meinen liebsten Papieren, und noch jetzt, sooft ich ihn finde, verändere ich seinen Ort und bringe ihn anderswohin, so daß er auf steter Wanderschaft ist.

       Inhaltsverzeichnis

      Diese Demütigung traf mich um so stärker, als ich, in Annas Träumen und Ahnungen rein und gut zu erscheinen, den Winter über ein puritanisches Wesen angenommen hatte und nicht nur meine äußerliche Haltung, sondern auch meine Gedanken sorgfältig überwachte und mich bestrebte, wie ein Glas zu sein, das man jeden Augenblick durchschauen dürfe. Welche Ziererei und Selbstgefälligkeit dabei tätig war, wurde mir jetzt erst bei dieser gewaltsamen Störung deutlich, und meine Selbstanklage wurde noch durch das Gefühl der Narrheit und Eitelkeit verbittert.

      Anna hatte während des Winters streng das Zimmer hüten gemußt und wurde im Frühling bettlägerig. Der arme Schulmeister kam in die Stadt, um meine Mutter abzuholen; er weinte, als er in die Stube trat. Wir schlossen also unsere Wohnung zu und fuhren mit ihm hinaus, wo meine Mutter wie ein halbes Meerwunder empfangen und geehrt wurde. Sie enthielt sich jedoch, alle die Orte, die ihr teuer waren, aufzusuchen und ihre gealterten Bekannten zu sehen, sondern eilte, sich bei dem kranken Kinde einzurichten; erst nach und nach benutzte sie günstige Augenblicke, und es dauerte monatelang, bis sie alle Jugendfreunde gesehen, obgleich die meisten in der Nähe wohnten.

      Ich hielt mich im Hause des Oheims auf und ging alle Tage an den See hinüber. Anna litt morgens und abends und in der Nacht am meisten; den Tag über schlummerte

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