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Er würde kein einziges Spiel des FC Bindburg verpassen und seinen Verein kräftig anfeuern.

      Oma Rose machte Überstunden im Museum. Diese Woche war eine neue, große Ausstellung eröffnet worden. Japanische Kunst der Edo-Zeit. Es war eine der wertvollsten und wichtigsten Ausstellungen, die das Kunstpalais Bindburg jemals veranstaltet hatte. Oma Rose war für die Führungen verantwortlich.

      „Außerdem“, sagte Herr Tepes und bog auf die Hauptstraße, „was sollen unsere Töchter schon anstellen?“

      Maultiere und Spiderwoman

      Als sich im Theaterhaus der Vorhang zum ersten Akt öffnete und Herr und Frau Tepes erwartungsvoll zur Bühne blickten, klingelte es ein paar Kilometer weiter nördlich im Lindenweg Nummer 23 an der Wohnungstür.

      Daka sprang aus ihrem Schiffsschaukelsarg, der daraufhin wackelte, als wäre er in einen Atlantiksturm geraten. „Das ist sie!“

      Silvania schob sich schnell den Rest ihres Wiener Würstchens in den Mund und folgte Daka die Treppe hinunter. Seit Silvanias gescheitertem Versuch, Vegetarierin zu werden, war sie wieder zur Vollblutfleischfresserin geworden.

      Daka riss die Wohnungstür auf. „Hallo!“

      „Hoi boi!“ Helene lächelte und gab den Zwillingen jeweils eine Kopfnuss, die diese sogleich erwiderten. „Hoi boi“ waren Helenes erste Worte auf Vampwanisch. Es hieß so viel wie „alles paletti“. Allerdings wusste Helene noch nicht, dass es sich dabei um vampwanische Wörter handelte. Sie wusste noch nicht einmal, dass so eine Sprache existierte.

      Silvania und Daka hatten lange nachgedacht, geredet, wieder nachgedacht und abermals geredet. Sie hatten kreuz und quer gedacht, im Stehen, Liegen, Hängen und beim Fliegen. Beim Sitzen auch. Sie hatten überlegt, ob sie ihre Mama um Rat fragen sollten. Aber wozu? Sie würde Nein sagen. Garantiert. Sie hatten überlegt, ob sie ihren Papa fragen sollten. Aber wozu? Er würde Ja sagen. Garantiert. Dann wären sie genauso schlau gewesen wie zuvor. Außerdem würden sich die Eltern deswegen vielleicht wieder streiten. Das wäre nicht nett, wo sie sich doch gerade versöhnt hatten.

      Schließlich waren sie zu dem Schluss gekommen: Wenn Helene nicht wusste, dass sie Halbvampire waren, wenn sie ihr nicht genug vertrauten, ihr dieses Geheimnis zu verraten, dann konnten sie auch keine echten, allerbesten Freundinnen sein.

      Das wollten sie aber. Deshalb hatten sie beschlossen, Helene am Samstagabend zu sich einzuladen und es ihr zu sagen, während sich ihre Eltern „Die Ratten“ ansahen. Aus Rücksicht hatten sie gar nicht erst erwähnt, dass sie Helene eingeladen hatten. Ihre Eltern sollten den Theaterabend genießen können, ohne sich dabei Sorgen zu machen, dass ein fremder Mensch in ihrer Wohnung war und sich vielleicht aus Versehen in den Keller verlief und über einen Sarg stolperte.

      „Komm rein“, sagte Silvania und führte den Gast nach oben in ihr Zimmer.

      „Cooool!“, rief Helene, als sie Dakas Bett sah. Es war ein alter Sarg, den Daka zusammen mit Onkel Vlad kunterbunt bemalt und mit vier Ketten an ein Metallgestell gehängt hatte. „Ist das eine alte Schiffsschaukel?“

      Daka kratzte sich hinter dem Ohr. „So ähnlich.“

      „Darf ich mich mal reinsetzen?“

      „Klar.“

      Einen Moment betrachtete Helene mit gerunzelter Stirn Dakas schwarze Bettwäsche, auf die lauter kleine weiße Larven gedruckt waren, und ihr Kopfkissen, das wie eine riesige, behaarte Spinne aussah. Dann schaukelte sie und sah sich im Zimmer um. „Cooler Hutständer“, sagte sie und deutete auf den alten verdorrten Baum, an dessen Ästen Silvania ihre Mützen und Hüte aufbewahrte. Helenes Blick wanderte zur Baumspitze und weiter an die Zimmerdecke. „He, wieso habt ihr denn eine Metallkette quer durch euer Zimmer gespannt?“

      „Na, zum Abhängen“, sagte Daka.

      „Das ist eine Art Wäscheleine“, warf Silvania schnell ein.

      Helene staunte. „Voll abgefahren.“

      Silvania und Daka nickten.

      „Und wer ist das?“, fragte sie und deutete auf ein Poster an der Wand.

      „Das sind Krypton Krax, die beste transsilvanische Band aller Zeiten“, sagte Daka stolz. „Wenn du willst, kann ich dir was vorspielen.“

      Silvania schüttelte heftig den Kopf. „Willst du nicht!“

      Doch Helene hatte schon etwas Interessanteres entdeckt. „Was ist denn da drin?“, fragte sie, stieg aus dem Schiffsschaukelsarg und kniete sich vor Dakas Aquarium.

      „Dort wohnt Karlheinz. Und ein paar andere Blutegel“, erklärte Daka. „Aber sie sind ziemlich schüchtern bei Fremden.“

      Helene zögerte einen Moment. Doch dann presste sie ihre Nase ans Aquarium. „Beißen die?“

      „Nö. Nur, wenn sie hungrig sind.“

      Silvania räusperte sich und sah ihre Schwester mit großen Augen an. Daka riss ebenfalls die Augen auf und zuckte die Schultern. Keine der Schwestern wusste, wie und wo sie anfangen sollten. Sollten sie einfach in einem Nebensatz erwähnen, dass sie Halbvampire waren? Nach dem Motto: „Wir sind zweieiige Zwillinge, unsere Hobbys sind Musik und Lesen, wir essen am liebsten Zartbitterschokolade und sind Halbvampire. Und welche Schokolade isst du gern?“ Oder sollten sie Helene ganz behutsam und langsam mit dem Gedanken vertraut machen, dass es nicht nur Vampire gab, sondern auch Halbvampire? Und dass sie – Glückwunsch – zwei Halbvampire als Freundinnen hatte!

      „Was ist los?“, fragte Helene.

      Silvania biss sich auf die Unterlippe (wie gut, dass sie ihre Eckzähne erst vor Kurzem abgefeilt hatte) und versuchte, Helenes Blick auszuweichen. Daka setzte sich neben Silvania auf ihr Bett und sah Helene, die noch auf dem Fußboden kniete, ernst an.

      Helene wurde blass. Sie öffnete die Lippen ganz leicht. Dann trat ein Glanz in ihre Augen. „Ihr wollt mir euer Geheimnis verraten, stimmt’s?“, flüsterte sie.

      Daka und Silvania nickten. Aber keine der Schwestern sagte etwas.

      Helene setzte sich in den Schneidersitz und warf ihre blonden Haare über die Schultern. „Ich bin bereit. Mein Hörgerät ist eingeschaltet. Legt los!“

      Daka und Silvania warfen sich einen letzten fragenden Blick zu. War Helene wirklich bereit? Sie würden es gleich sehen. Wahrscheinlich rannte ihre neue, allerbeste Freundin schreiend aus dem Haus. Vielleicht stürzte sie sich auch aus dem Fenster. Das wäre noch schlechter.

      „Ich verrate es keinem. Allerernstes Ehrenwort“, versprach Helene leise.

      „Also“, begann Silvania mit belegter Stimme. „Wie du ja schon gemerkt hast, sind wir nicht ganz normal.“

      Helene nickte.

      „Wir sind anders als andere Menschen. Genau genommen sind wir anders als alle Menschen“, fügte Daka hinzu.

      „Das liegt an unseren Chromosomen“, sagte Silvania.

      „Du weißt schon, die Dinger mit dem Erbgut drin“, warf Daka ein. „Da haben wir nämlich welche von unserer Mutter und unserem Vater.“

      Helene runzelte die Stirn. „Ist das nicht normal?“

      „Schon. Aber das Problem sind die Chromosomen von unserem Papa“, erklärte Silvania.

      Helene zog hastig Luft ein und riss die Augen auf. „Ist er krank?“

      „Nein. Er ist nur … anders.“

      „Ah! Ich weiß. Die Chromosomen von eurer Mama und eurem Papa vertragen sich nicht so toll. Ihr leidet an einer seltenen Stoffwechselkrankheit. Deswegen seid ihr immer so blass und müde.“ Helene warf den Schwestern einen triumphierenden Blick zu.

      Daka und Silvania sahen sich mit gerunzelter Stirn an. „Nicht ganz“, sagte Silvania schließlich.

      „Also, eigentlich vertragen sich die Chromosomen schon ganz gut“, fuhr Daka fort. „Ungefähr so wie bei einem Maultier.“ Daka war sehr stolz, dass ihr dieser treffende Vergleich

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