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der Liebe und anderen grundlegenden Dingen. „Nur weil ich finde, dass er wahnsinnig gut aussieht, vermisse ich ihn doch nicht gleich.“

      „Wahrscheinlich hat er nach der Geschichte mit Rattatoi Angst, dass Papa ihn wirklich anzeigt, und hat sich erst mal aus dem Staub gemacht“, sagte Daka.

      Herr van Kombast hatte eine tote Ratte auf der Terrasse der Tepes gefunden. Mit eindeutigen Bissabdrücken. Herr Tepes (der seinen Mitternachtssnack auf der Terrasse vergessen hatte) konnte Dirk van Kombast davon überzeugen, dass es sich um das Haustier der Familie handelte. Offenbar hatte es ein tragischer Tod ereilt. Offenbar durch Herrn van Kombast. Er drohte dem Nachbarn mit einer Anzeige, woraufhin dieser die Flucht ergriff. Seitdem hatte sich Dirk van Kombast nicht mehr bei den Tepes sehen lassen.

      Doch Dirk van Kombast war weder auf extralanger Vertreterreise, noch hatte er sich aus Angst vor einer Anzeige aus dem Staub gemacht. Dirk van Kombast war in den letzten Tagen mit den Vorbereitungen einer Reise beschäftigt gewesen. Er hatte den besten Anzug aus der Reinigung geholt, Flugtickets und ein Hotel gebucht, war noch mal zur Zahnreinigung gegangen und hatte schließlich seine Reisehausschuhe und seinen Laptop eingepackt. Sein Laptop war sein Gedächtnis, seine geheime Zentrale voller Beweismittel.

      Vor zwei Tagen hatte Dirk van Kombast den Flieger nach New York genommen. Doch die Stadt, die niemals schlief, interessierte ihn nicht. Er war kein gewöhnlicher Tourist. Er war geladener Besucher der „VI. International Vamptology Conference“. Endlich würde er mit vernünftigen, gleich gesinnten Menschen reden können.

      Bevor Dirk van Kombast zum Vampirologenkongress aufgebrochen war, hatte er sich von seiner Mutter in der psychiatrischen Anstalt verabschiedet. Außer ihr, vermutete er, würde ihn niemand in Deutschland vermissen.

      Silvania dachte an Rattatoi und musste kichern. Doch dann überkam sie ein langes Gähnen. Daka stimmte sofort in das Gähnen ein. Die Schwestern blinzelten zum Fenster, vor dem die Sonne schien.

      „Wie schaffen es die Menschen nur, bei der Helligkeit wach zu bleiben? Da kneift man doch freiwillig die Augen zu“, meinte Daka.

      Silvania gähnte zur Bestätigung gleich noch einmal. Dann nahm sie die Hand vom Mund. „Diese schlaflosen Tage sind echt anstrengend.“

      „Ich werde mich nie daran gewöhnen, den Tag zur Nacht zu machen.“

      „Papa hat es gut mit seinem Job. Aber in der Schule werden sie extra für uns sicher keine Nachtschichten einführen“, sagte Silvania.

      „Na ja, immerhin konnten wir letzte Woche in Geschichte und Geo mal schön ausschlafen.“

      Das lag nicht daran, dass der Unterricht so langweilig war oder der Lehrer ein Schlafexperiment durchgeführt hatte. Herr Martin Graup, der Klassenlehrer der 7b und Lehrer für Geschichte und Geografie, war die ganze Woche krank geschrieben. Es hieß, ihm wäre eine Honigmelone direkt aus dem Himmel auf den Kopf gefallen. Statt Geschichte und Geo hatte die 7b stille Beschäftigung. Daka und Silvania Tepes nahmen es mit dem „still“ sehr ernst. Von ihrer Bank war nur ab und zu ein leises Schnarchen zu hören. Hätte Helene sie nicht regelmäßig geweckt, hätten sie bis zum Sonnenuntergang schnarchend auf der Schulbank gelegen.

      Helene Steinbrück, die Tochter von Dr. Peter Steinbrück, war Silvanias und Dakas neue, einzige und beste Freundin. Zumindest fast. Helene hatte den Schwestern ihr Geheimnis anvertraut: Sie trug ein Hörgerät, das sie hinter ihren langen blonden Haaren versteckte und von dem niemand in der Klasse etwas wusste. Daka und Silvania hatten versprochen, niemandem davon zu erzählen. Aber sie hatten auch versprochen, Helene ihr Geheimnis zu verraten. Helene hatte die Schwestern genau beobachtet und war sich sicher, dass sie nicht ganz normal waren. Dabei hatte Daka nur mal kopfüber am Stufenbarren ein Schläfchen gemacht und Silvania war bei einem akuten Heimaterdeentzug vom Schwebebalken gekracht. Ganz normale Begebenheiten. Für Halbvampire.

      Solange die Zwillinge Helene nicht ihr Geheimnis anvertrauen würden, waren sie keine echten Freundinnen. Das leuchtete auch Daka und Silvania ein. Denn echte beste Freundinnen vertrauten einander. Doch in der Schule war es viel zu gefährlich, solche Geheimnisse auszutauschen. Zum einen störten die Lehrer, die mitten im Unterricht ständig Fragen hatten, zum anderen der Schrank und der Kleiderständer. Das waren Lucas Glöckner, ein Möchtegernmonster, und Rafael Siegelmann, ein leibhaftiger Lehrerliebling.

      Am meisten aber störte Ludo Schwarzer. Er schlich wie ein Panther durch die Schulgänge, tauchte plötzlich in der Nähe der Zwillinge auf und starrte sie dann mit seinen geheimnisvollen, ockerfarbenen Augen an, dass die Halbvampire eine Gänsehaut bekamen. Wenn Silvania und Daka schon nicht ganz normal waren – Ludo Schwarzer war es sicher nicht.

      Die Ratten

      Elvira Tepes stand vor dem Spiegel im Schlafzimmer und hängte sich ihre Lieblingsohrringe an die Ohrläppchen. Sie ähnelten zwei großen Tränen und hatten die gleiche Farbe wie ihre nachtblauen Augen. Mihai hatte sie von einem Besuch bei Verwandten in Damaskus mitgebracht.

      Mihai Tepes trat lautlos neben seine Frau. „Du siehst zum Anbeißen aus!“

      Elvira zuckte zusammen. Sie hatte ihren Mann weder kommen hören noch gesehen. Auch jetzt war sie allein im Spiegelbild. Sie drehte sich mit einem Ruck um. „MIHAI!“

      Mihai Tepes grinste, wobei sich sein Lakritzschnauzer noch mehr kringelte und man die langen Eckzähne aufblitzen sah. Er liebte es, seine Frau zu erschrecken. Wenn er sie schon nicht beißen durfte. „Und, bin ich dir schick genug?“, fragte er, zupfte an seiner knallroten Fliege, die der einzige Farbklecks auf seinem schwarzen Hemd, der schwarzen Weste und dem schwarzen Frack darüber war. Bunt war nur für Frauen, fand Herr Tepes.

      Elvira stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihrem Mann einen Kuss. Seit sie sich nach dem bissigen Eifersuchtsanfall von Herrn Tepes wieder versöhnt hatten, waren sie wie zwei Turteltauben. Silvania fand das zum Seufzen schön. Daka zum Stöhnen anstrengend. Herr Tepes hatte seiner Frau Theaterkarten ihrer Wahl geschenkt. Elvira Tepes hatte sich die Samstagabendaufführung ausgesucht: „Die Ratten“ von Gerhart Hauptmann. Mihai Tepes fand, der Titel klang vielversprechend.

      Als sich die Eltern an der Wohnungstür von ihren Töchtern verabschiedeten, hielt Daka einen Daumen hoch und rief: „Boi!“

      „Ihr seht wunderschön aus“, fand auch Silvania.

      Elvira Tepes strahlte, und Mihai Tepes warf seine halblange pechschwarze Mähne nach hinten, als würde er gleich selbst eine Bühne betreten. „Also, ihr wisst Bescheid …“, begann Frau Tepes.

      „Klar doch, Mama“, fiel ihr Daka ins Wort. „Wir fliegen nicht durch die Innenstadt, beißen niemanden und betrinken uns nicht mit Blut.“

      Elvira und Mihai Tepes nickten.

      „Und wenn, dann rufen wir vorher an“, sagte Silvania. Als sie den entsetzten Blick ihrer Mutter sah, fügte sie schnell hinzu: „War ein Scherz.“

      Mihai führte seine Frau zu seiner ersten großen Liebe: seinem flaschengrünen Dacia. Er öffnete die Beifahrertür und ließ Elvira einsteigen. Dann knallte er die Tür so schwungvoll zu, dass es das ganze Wohnviertel hören konnte. Nur so funktionierte die Tür noch. Der Dacia war nur ein paar Jahre jünger als Herr Tepes selbst. Frau Tepes drehte das Fenster herunter, das wie immer etwas klemmte, während Mihai auf der Fahrerseite einstieg.

      „Viel Spaß mit den Ratten!“, rief Silvania.

      „Geht danach doch noch schön was essen oder trinken“, schlug Daka vor. „Macht euch keine Sorgen um uns.“

      Elvira Tepes nickte, doch in ihren Augen schimmerte Zweifel. War es wirklich eine so gute Idee, die Zwillinge allein zu Hause zu lassen? Sie waren gerade mal zwölf, fast noch Kinder. Sie wohnten gerade mal ein paar Tage in Deutschland. Und sie waren Halbvampire, mitten unter Menschen. „Vielleicht hätten wir doch Opa Gustav oder Oma Rose noch mal fragen sollen“, meinte Elvira, als der Dacia den Lindenweg entlangtuckerte.

      „Ob sie auf zwei halb erwachsene Halbvampire aufpassen wollen?“ Herr Tepes schüttelte den Kopf. „Du weißt doch, dass deine Eltern heute Abend ihre eigenen Pläne haben.“

      Opa

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