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Bube, das sechsjährige Mädchen schluchzten bitterlich darüber; aber es war Krieg, und der Krieg trennt wohl noch viel grausamer Herz von Herzen. Man hielt sich versichert, daß die beiden Kinder ihre ersten Jugenderinnerungen bald genug vergessen haben würden.

      Wir wollen sehen, ob dem so war. –

      Die Jahre sind vergangen, – tot ist Johann Geerdes Norris, tot ist Michael van Bergen, nachdem sein Reichtum vergangen ist wie Schnee an der Sonne.

      In ihrem Stübchen hinter der Mauer am Kai zu Antwerpen saß Myga in ihren schwarzen Trauerkleidern, – ein wunderholdes Jungfräulein, noch gar bleich von den langen Nachtwachen am Bette ihres sterbenden Vaters. Sie spann, – ihre Augen waren voll Tränen und ihr Herz voll unausgeklagter Schmerzen und Sorgen. Seit dem Tode ihres Vaters war das arme Kind ganz einsam in der großen Stadt, in einer so wilden Zeit, wo die Schwachen fast rechtlos jeder Unterdrückung, jedem Übermute preisgegeben waren.

      Ganz verlassen war Myga van Bergen?

      Armes Kind! – Daß sie nicht ganz verlassen war, gehörte auch mit zu den Sorgen Mygas.

      Wohl kümmerte sich noch jemand um das Kind Michaels van Bergen, wohl wußte die Waise, daß ein treues Herz ihr geblieben war, daß – Jan Norris von Amsterdam den letzten Blutstropfen für sie hingeben werde; aber Jan Norris war ein Verfemter, dem der Galgen drohte, wenn eine spanische Hand ihn griff in den Gassen von Antwerpen. Und Jan Norris, der Wassergeuse, erschien oft in mancherlei Vermummung in den Gassen von Antwerpen.

      Jan Norris hatte seine Jugenderinnerungen nicht so bald vergessen, wie Jan Geerdes Norris, sein Vater, meinte.

      Noch immer waren Jan und Myga Bräutigam und Braut. Keine Macht auf Erden sollte sie trennen, hatten sie sich gegenseitig geschworen; was jedoch daraus werden sollte, wußte aber, solange der alte Michael noch lebte, keines von beiden zu sagen.

      Nun war Michael van Bergen tot und begraben seit vierzehn Tagen; aber Jan war verschwunden seit Monden. Lebte er noch? Hatten ihn die Wogen verschlungen? Hatten ihn die Spanier beim Entern gefangen und gehangen? Wer konnte das sagen?

      Was sollte die arme verlassene Myga anfangen in der wüsten Welt, wenn Jan tot war?

      Die Nacht rückte allmählich vor; aber Myga fürchtete sich, sich niederzulegen. Schlafen konnte sie doch nicht vor Gram und Beklemmung, was sollte sie im Bette? Es wurde allmählich recht kalt im Stübchen, aber die Waise schien die Kälte nicht zu spüren, sie legte nicht neue Kohlen in den winzigen Kamin. Sie stellte die Spindel weg und bedeckte das Gesicht mit den Händen, das Haupt zur Brust neigend. So saß sie noch eine geraume Zeit, bis sie sich endlich fröstelnd doch erhob, um ihre Lagerstatt zu suchen.

      Noch einmal beugte sie sich zu den Riegeln ihrer Tür nieder, um nachzuschauen, ob dieselben auch ordentlich vorgeschoben seien, als sie auf einmal horchte – atemlos horchte.

      »Myga?!« flüsterte es draußen.

      Die Waise erzitterte am ganzen Körper.

      »O mein Gott!«

      »Myga?!« flüsterte es noch einmal durch das Schlüsselloch.

      Mit einem Schrei schob das junge Mädchen die Riegel weg, drehte den Schlüssel im Schlosse. Auf flog die Tür, und ein Jüngling in der Offizierstracht eines Söldnerregiments mit der spanischen Feldbinde über der Schulter hielt im nächsten Augenblick das schöne Kind in den Armen.

      »Myga, o Myga!«

      »O Jan, Jan, lieber, lieber Jan!«

      Heiße Küsse ersetzten für die nächsten Minuten das Wort den beiden. Dann aber sank Jan Norris, wie es schien, vollständig erschöpft, auf den nächsten Stuhl, und Myga bemerkte nun erst die Unordnung der Kleider ihres Geliebten, bemerkte, daß er den Hut verloren hatte, daß seine Wangen von einer leichten Schramme blutete.

      »Um Gottes willen, was ist wieder geschehen, Jan? Ich zittere o, du hast dich wieder einmal tollkühn in Gefahr gestürzt – o Jan, Jan, böser Jan!«

      »Wahrhaftig, um ein Haar, so hätten sie mich diesmal erwischt, Myga! Aber fürchte dich nicht, süßes Lieb, nur beinahe hätten sie mich gepackt – Teufel, wie ein Hund hätte ich freilich gebaumelt, wenn’s nicht so gut abgelaufen wäre!«

      »O Jan, und du willst mich lieben? Du willst mich erretten aus dieser Stadt? O barmherziger Gott! Zugrunde wirst du gehen und ich auch, und mein Vater ist auch tot, o du heiliger, barmherziger Gott, was soll aus mir werden? Wer soll mich schützen, wer soll mir helfen?«

      »Du hast recht! Leider Gottes hast du recht, armes Lieb! Ach, und dein Vater ist nun auch gestorben, und ich bin nicht dagewesen, dich zu trösten in deinem Kummer. Mußte vor Dünkirchen kreuzen derweilen, die Freibeuter in den Grund zu bohren; – o, es ist hart, Myga, und doch – doch konnt’ ich nicht anders und heut abend auch nicht. Das edle Vaterland hochzuhalten, soll jeder sein Leben dran setzen; – ach Myga, Myga, lieb mich noch ein wenig, trotzdem daß ich dir ein schlechter Schutz und Schirm bin. Der arme Vater Michael«

      »Laß den toten Vater, Jan! Ihm ist wohl, er hat Ruhe und braucht niemanden mehr zu fürchten, – ach, man muß die Gestorbenen wohl beneiden in dieser blutigen, schrecklichen Zeit!«

      »O Myga, sprich nicht so. Ein Elend ist’s freilich wohl, daß der Vater starb; aber – nun bist du ja ganz mein! Nun kannst du ja mit mir gehen nach Amsterdam, nun fesselt dich nichts mehr in diesem armen Antwerpen. Myga, tröst dein Herz, wir sehen doch noch fröhliche Tage, mein süße, süße Braut. Noch eine kurze Zeit, und ich hole dich – gib Achtung, vielleicht mit einem stattlichen Hochzeitsgeleit, daß keine Königin sich dessen zu schämen hätte. Vielleicht läuten sie die Glocken, rühren sie die Trommeln, vielleicht feiern sie mit Geschützesdonner die selige Stunde, in welcher ich dich davonführe aus Antwerpen. Gib acht, ob’s nicht wahr wird, was ich dir in aller Heimlichkeit vertraue.«

      »Ach, welche Phantasien, du wilder, lieber Jan Norris! Sag mir, wie sollt’ das geschehen, daß du mich so feierlich heimholen würdest? Nein, sag’s mir nicht, denn es ist doch eitel Torheit; bericht’ mir lieber von der Gefahr, der du soeben kaum entrannst. Es kommt mir nun auf ein nächtlich Traumbild nicht mehr an, dafür sorgst du schon, tollköpfiger Jan.«

      »Nicht so tollköpfig, als du meinst, Lieb!« lächelte der Jüngling. »Der Kapitän der schwarzen Galeere würde sich sonst wohl hüten, des Jan Norris Kopf und Beine, Herz und Arme also zu gebrauchen, wie er es tut. Einer großen Sache wegen bin ich hier in der Stadt – wir wollen gern eine Tat tun, daß die Antwerper Kinder noch nach hundert Jahren davon singen mögen. Deshalb Kundschaft zu holen, steck’ ich hier in diesem Plunder, in deutschen Pluderhosen, statt in seeländischen Schifferhosen. Nun höre, Myga. Ich habe am Kai meine Geschäfte abgemacht und in Erfahrung gebracht, daß vier Galeeren des Spinola heute am frühen Morgen in See gegangen sind zur Jagd auf die schwarze Galeere; dabei habe ich leider Gottes ausgekundschaftet, daß der Vater Michael gestorben ist, habe mir das letzte genuesische Schiff, das hier vor Anker liegt, den Andrea Doria – seiner Braut wegen genau angesehen, und der Abend ist derweilen herangekommen. Hatte den Tag schon oft genug heimlich nach deinem Fensterlein heraufgeschaut, lieb Kind, aber nicht die Minute gefunden, hinzuschleichen zu dir, da mancherlei Volk mir an den Fersen hing. Denk’ ich also, die Dunkelheit zu erwarten -ich hab’ ja den Hausschlüssel – und schlendere gemächlich durch die Gassen, bis mir vor einer hellen Kneipentür in den Kopf kommt, die Nacht sitzend abzuwarten und beiaus noch ein wenig auf des Volks und der Fremden Gehaben Achtung zu geben – wegen meines Geschäfts, verstehst du! – Gut, ich trete ein in die Taverne, fordere eine Flasche Wein und setze mich hinter den Tisch, die Ellenbogen aufstemmend, als wäre die ganze Welt mein und ich gar nicht in Not und Sorgen um die arme Myga, deren Vater starb, ohne daß ich zu ihrem Troste dabei war. Um mich her ist ein Gewirr wie beim Turmbau zu Babel. Deutsche, Burgunder, Spanier, Italiener, Niederländer schwatzten und fluchen und schreien, jede Kreatur in ihrer Sprache, und saufen alle auf dieselbe Weise. Jeder Tisch und Winkel ist besetzt, und nur neben mir sind noch zwei Plätze leer. Da kommen zwei patzige Burschen – ich kenne sie recht gut, der eine ist der Kapitän vom Andrea Doria, der andere ist sein Leutnant. Steigen über Tisch und Bänke und sitzen bei mir nieder. Ich mache ihnen auch

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