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Verächter aller Prätensionen menschlichen Stolzes und menschlicher Vollkommenheiten geworden ist. Er war wenig krank, und wenn er sich je unwohl fühlte, so litt er an versetzter Satire, wie andere Leute an versetzten Blähungen leiden. Dieser Natur konnte keine bessere Stellung in der Gesellschaft als die, in welcher sie sich befand, zuteil werden. Dieser Herr Fiebiger war ganz an seinem Platze im Bureau Nummer dreizehn. Er behauptete, zwei Gewänder zur Bedeckung seines Ichs zu haben, einen Frack und einen Schlafrock. Im Frack sammelte der Polizeischreiber den Stoff, welchen er im Schlafrock in langen Monologen sich selber oder in kurzen Bemerkungen andern, nach seiner Art verarbeitet, zum besten gab, sich selber höchst vergnügt, andern zu Ärger, Lehre und Nutzen.

      Wörtlich genommen, trug der Schreiber keinen Schlafrock, sondern eine kurze wollene Jacke, in welcher er sich in diesem Augenblicke, dicht am warmen Ofen, mit seinem Schützlinge zu einem höchst frugalen Abendessen niedersetzte.

      Mechanisch aß und trank Robert Wolf, ohne zu wissen was. Er sah alles durch einen gestaltenvollen Nebel und starrte seinen Wirt an wie den Beherrscher dieses Nebels, dieser Gestalten, wie ein Rätsel, welches zu lösen er sich viel zu schwach fühlte. Der Knabe war sehr weich geworden, und man sah es an seinen Augen, daß sie sich, wie die eines Kindes, bei dem geringsten Anlaß mit Tränen füllen würden.

      Während des Mahles beobachtete der Wirt den Gast scharf und genau und unterwarf ihn schweigend einer nochmaligen Prüfung, die ganz zu seiner Zufriedenheit auszufallen schien; denn er schob seinen Teller zurück und stopfte seine erste Abendpfeife mit dem Ausdruck eines Mannes, der ein großes Werk zum erwünschten Abschluß gebracht hat und vollkommen mit sich einverstanden ist.

      Mit blauen Ringeln und Wolken füllte sich von neuem das Gemach; der Regen schlug in Stößen gegen die Fenster, dumpf rollten die Wagen in den Gassen. Der alte Gastfreund lehnte sich zurück in dem zerlumpten Sofa, sah noch einmal seinem Gast in die Augen, blies eine Rauchwolke gegen ihn und begann ganz ex abrupto:

      »Ich heiße Friedrich Wilhelm Fiebiger, bin im Jahre 1788 zu Poppenhagen im Wirtshaus zum Drachen geboren und bin in die Welt gelaufen, nachdem mein Vater sein Wirtshaus in seiner eigenen Gaststube vertrunken, den Drachen in anderer Leute Hand, sich selber aber in die Grube gebracht hatte. Per varios casus bin ich endlich hier Polizeischreiber geworden und zugleich ein alter Gesell, der seine Stiefel selber putzt, selber seinen Kaffee kocht, gerade wie Robinson Crusoe auf der Insel Juan Fernandez. Kennen Sie die Geschichte, Robert?«

      Der Knabe nickte.

      »Gut, so wissen Sie auch, wie der in doppelter Hinsicht verschlagene Reisende einen grünen Vogel, wenn ich nicht irre, einen Papagei, fing und zu seinem Freunde und Genossen machte. Ich versuchte dasselbe, um meine Einsamkeit zu erheitern, brachte es aber nur zu einem Starmatz, von dem sein Verkäufer behauptete, es sei der gebildetste Vogel, der jemals den Unterricht des Menschen genossen habe. Mißtrauisch innerhalb der Polizeistube, bin ich der leichtgläubigste Mann außerhalb derselben. Ich kaufte den Vogel, und mein Kummer war nicht gering, als ich aus dem Schnabel des schwarzen Satans nichts als die injuriösesten Schimpfnamen, Epitheta, wie sie noch niemals einem Polizeier geboten waren, zu hören bekam. Die Katze fraß die Bestie und rächte mich, – nun frage ich dich, Robert Wolf vom Eulenbruch, willst du den Versuch machen, auf dem Fuße vollkommener Gleichberechtigung mit mir Stiefel zu putzen und Kaffee zu kochen? Willst du meine Grillen und Launen ertragen und mir deine Seele geben, wie du sie der schönen Eva Dornbluth, unserer Landsmännin, gabst? Ich bin kein Onkel Zauberer, der expreß aus Afrika nach China kommt, um sich von dem dummen Schneider jungen Aladin die Wunderlampe aus der Zauberhöhle holen zu lassen und den Armen in blinder Wütenhaftigkeit darin einzusperren. Ängstige dich nicht, Robert Wolf. Ich bin arm und kann dir keinen Glanz versprechen. Ich bin arm und du wirst mit mir arm sein; hart wirst du arbeiten müssen, denn der Mensch ist zur harten Arbeit geschaffen. Viel Feiertage wird’s nicht abwerfen, denn die Feiertage sind den Menschen deiner Art nichts nütz; Licht und Luft wirst du in dem Dasein, welches ich dir biete, nicht so unmittelbar aus der ersten Hand haben wie in deiner – in unserer waldigen Heimat. Bedenke dich – wirst du dein Leben in meine Hand legen, so will ich versuchen, mit guter Hilfe diesem Leben einen Inhalt zu geben, wie er sich für ein vernünftiges Wesen schickt!«

      Zitternd rief der Jüngling:

      »Sie wollen sich so meiner annehmen? Ich soll hier bei Ihnen leben? Ich soll hier in dieser Stadt wohnen?«

      »Wenn du willst, so wird dem nichts entgegenstehen.«

      »Ich kann mit ihr nicht in einer Stadt leben!« schrie Robert Wolf, mit der alten Energie aufspringend. »Ich könnte ihr in den Straßen begegnen, und ich würde sie dann töten. O lassen Sie mich meines Weges gehen, jetzt, jetzt gleich!«

      »Ruhe, mein Junge; immer ruhig Blut«, sagte der Schreiber gemütlich. »Wir haben nun das erste Brot und Salz der Gastfreundschaft miteinander gegessen, jetzt wollen wir dir, so gut es angeht, ein Nachtlager bereiten. Ich leihe dir für diesmal einen Strohsack und einen alten Mantel. Morgen im Tageslicht wird alles ganz anders aussehen. Morgen will ich meine Fragen dir wiederholen; jetzt hast du ein wenig das Fieber und mußt ausschlafen. Komm zu Bett!«

      Robert Wolf folgte dem Alten schwankend; in der zweiten Kammer wurde der Strohsack auf den Boden geworfen, und ein erträgliches Lager hergestellt. Der Knabe aus dem Walde hatte zu oft auf nackter Erde geschlafen, um nicht ein solches Bett eines Königs würdig zu finden. Der Schreiber reichte ihm die Hand und sprach:

      »Schlafe wohl, mein Kind; träume nicht allzu unruhig; du schläfst in der Wohnung eines Freundes. Denke nicht an das hübsche Mädchen, sondern tu mir die Liebe an und schnarch. Der Klang der Fußtritte des Glücks ist von dem Gepolter, womit das Unglück einherschreitet, oft schwer genug zu unterscheiden. Es ist immer aber hübsch von beiden, wenn sie nicht in unhörbaren Gummiüberschuhen herangeschlichen kommen. Fac, ut valeas.«

      Der Alte ging mit der Lampe, und der Knabe warf sich seufzend auf das harte Lager. In der Stube schritt der Schreiber auf und ab und horchte kopfschüttelnd auf das bitterliche Weinen, in welchem sich das arme zusammengepreßte Herz des Knaben, jetzt wo es dunkel und still umher war, unaufhaltsam Luft machte.

      »Armes Kind«, murmelte der Alte. »Weine nur, spül rein die junge Seele! Wer weiß, wozu du bestimmt bist? Mit harter Hand faßt das Schicksal vor allem gern seine Günstlinge; ruhig, auf makadamisiertem Pfad – alle Viertelmeile ein Meilenzeiger – läßt es nur die wandeln, welchen das Los der goldenen Mittelmäßigkeit aus der geheimnisvollen Urne fiel. Nicht in Goldwolken hüllt das Schicksal seine Erkorenen: in den dunkeln Mantel des Schmerzes, der Gebrechen, der Krankheit und jeglichen Elends hüllt es sie und reißt sie durch das Leben. Und neidisch ist das Schicksal; wie manchen hohen Geist hat es für sich behalten in dem dunkeln Mantel, wie selten fällt die Hülle von der Schulter eines Auserwählten, wie selten wird ein Individuum für die übrige Menschheit denkmalreif und ein würdiger Gegenstand für Toaste, Reime und Festessen.«

      Es war gut, daß dem Alten über diesen Gedanken die Pfeife ausging; während er sie von neuem in Brand setzte, lächelte er über sich selbst, rieb sich die Stirn und brummte:

      »Sieh, Fiebiger, hab ich dich wieder? Alter Knabe, wirst

      du die Dinge außerhalb der Schreibstube nie so sehen, wie sie alle übrigen verständigen Leute erblicken? Du setzest mich in Erstaunen, Fritze Fiebiger! Hebräer, Griechen und Lateiner sind einig, daß es vor allem übel ist, mit der Nase ein Loch in das Firmament stoßen zu wollen; man vergißt darüber die Löcher im realen Erdboden, liegt drin und wird ausgelacht. Hier haben wir den großen Redner und Oberbürgermeister Marcus Tullius Cicero, welcher keine Verse machen kann, aber sehr gern die des Ennius zitiert:

      Keiner schaut, was vor dem Fuß liegt,

       Himmelsräum’ ausspähen sie.

      Und hier hebt der semitische Weise die Hände empor und hält sich mit denselben Worten über dieselben sternguckenden Naturen auf. Wir wollen beiden kein Ärgernis weiter geben, Fiebiger, wie sehr wir auch dich beneiden mögen, Heinrich Ulex. Kurz und bündig, Fiebiger, was willst du nun mit diesem Jungen, welchen du von der Straße aufgelesen hast, anfangen? ‘s ist doch in Wahrheit ein Brief mit fremdem Siegel und fremder Aufschrift.«

      In

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