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      Grollend zog sich Fräulein Aurora Pogge in ihre jungfräulichen Gemächer zu ihrer Katze, ihrem Tagebuch und ihrer Magd zurück, während der Partikulier Mäuseler eine frische Pfeife stopfte und sich glücklich und sicher in dem Bewußtsein fühlte, daß andere Leute für ihn dachten und handelten; als deutscher Mann und freier Bürger fühlte er sich in dem Bewußtsein, daß ihn zum Denken und Handeln niemand zwinge.

      »Himmlische Augen, wunderbare Augen – schwarzes Meer – bodenlose Tiefe – ewiger Untergang!« murmelte Julius, während der Schreiber in seinem Stockwerk nach dem Schlüsselloch tastete. Wir wollen uns aber nicht mit der Gedankenreihe beschäftigen, welche der Deklamator durch diese Ausrufe und Bilder zum Abschluß brachte, nur das wollen wir sagen, daß sie sich längst nicht mehr auf Helene Wienand bezogen.

      Der Polizeischreiber fand das Schlüsselloch, Robert trat in die Behausung seines Führers, seine neue Heimat. Schminkert folgte, rezitierend:

      »O Venus Cypria, den kleinen Fuß

       Soll sie mir setzen auf den stolzen Nacken,

       Und höher trag’ das Haupt ich als ein König.«

      In Prosa setzte er hinzu:

      »Können Sie die Lampe nicht finden, Alterchen, oder liegt’s an den Schwefelhölzern? Ordnung, Ordnung, Mann der Ordnung! Wie oft soll ich Ihnen das sagen? Ordnung ist die Hauptsache im menschlichen Leben, das sehen Sie deutlich an mir. Aha, – endlich! Licht wird’s, und aus dem Chaos steigt die Welt.«

      »Hier sind die versprochenen zehn Taler«, sagte der Schreiber. »Nun packen Sie sich auf der Stelle, Julius, und kommen Sie nicht eher heim, bis das Geld den Weg Ihrer übrigen Besitztümer gewandelt ist. Hier – nehmen Sie! – nun, warum nehmen Sie nicht?«

      Der Deklamator wies mit einer majestätischen Handbewegung die dargebotenen Banknoten weit von sich, warf die Augen »graß in einen Winkel«, wie der Major von Walter in Kabale und Liebe, blickte dann »fürchterlich zum Himmel«, wie derselbe unzurechnungsfähige Major, und sagte mit den hohlsten Brusttönen, die er aufbieten konnte:

      »Pieseke, wie kommen Sie mir vor?!«

      »Was fällt Ihnen ein? Nehmen Sie, und fort mit Ihnen!«

      »Weder das eine noch das andere, Greis. Sie sind ein großartiger Charakter, Fiebiger; aber Julius Schminkert wird Ihnen an Erhabenheit nicht nachstehen. Ihr schnödes Geld erlaube ich mir mit legitimer Verachtung zurückzuweisen; aber ein steifes Glas Grog wollen wir uns und diesem Jüngling brauen, Alter; und ich will Euch das neueste Couplet vom Thaliatheater singen; trinken wollen wir auf die Tugend, Schönheit und Gesundheit des Engels, welcher diesen Sohn der Wildnis mit seinem Flügelschlage auf das Pflaster warf. Trinken wollen wir und – Hölle und Teufel, was soll –«

      Der Polizeischreiber hatte mit einer Kraft, welche man ihm nicht zugetraut hätte, den Komödianten an den Schultern genommen und ihn mit unwiderstehlicher Gewalt zur Tür hinausgedreht. Eilig schob er hinter dem mundfertigen Künstler den Riegel vor und sagte energisch:

      »So!«

      Draußen ein ärgerliches Gebrumm, untermischt mit pathetischen Tiraden aus den Werken einheimischer und fremder Dramatiker! Nun ging dieses Fluchen und Deklamieren in ein höhnisches Pfeifen über, dieses in eine lustige Opernmelodie, und diese in ein Lied, in welchem der Dichter und Julius Schminkert die alles in allem doch so ernste Welt aufforderten, dem Trübsinn und der Trauer ein Schnippchen zu schlagen, die silbernen Becher anzuklingen und zu leeren auf das Wohl einer gewissen romanischen und romantischen Dame, Tochter eines hohen römischen Würdenträgers, welche sich, wie es schien, in politischen Angelegenheiten zu Venedig aufhielt, da es in dem Liede an geheimnisvollen Anspielungen, Lagunen, Mondschein und Gondeln nicht fehlte.

      Dieser Gesang entfernte sich die Treppe hinunter, drang zu den schläfrigen Ohren des Partikuliers Mäuseler und seiner Wirtschafterin, ärgerte Fräulein Pogge und fand einen sympathischen Nach-und Widerhall nur in dem zarten Busen Angelikas, welche belesene junge Dame sich ganz dafür geeignet fühlte, ebenfalls die Tochter eines Kardinals zu sein und auf den Lagunen im Mondenschein in einer Gondel zu schweben. Ihr tragisches Ende fand die Arie erst an der nächsten Straßenecke, wo der talentvolle Sänger Don Julio Schminkertino auf dem Glatteis ausglitschte und sich mit schmerzlichem Nachdruck auf einen unnennbaren, aber durchaus nicht transzendentalen Körperteil setzte.

      Wenn wir noch einmal über die Schulter nach ihm hinblicken, so bemerken wir, daß er sich – nicht die Stirn reibt. Wir überlassen ihn jetzt seinen Gefühlen, die wir leider in des Wortes höchst materiellster Bedeutung nehmen müssen, und sprechen von dem Polizeischreiber Fiebiger in seiner Wohnung und in seinem Schlafrocke.

      Kalt gewordener Tabaksrauch ist noch eine der geringern Qualen, denen das Weib des neunzehnten Jahrhunderts ausgesetzt ist, wie zwischen den Zeilen mehr als einer schriftstellernden Makarie zu lesen ist. Die Natur des alten Polizeischreibers hatte viel vom Duft des kalt gewordenen Tabaksrauchs und sein Zimmer nicht weniger. Eine über und über mit Pfeifen von allen Formen und Größen behängte Wand bestätigte, daß der Alte ein eifriger Feueranbeter und Verehrer des stinkgiftigen Krautes sei. An der entgegengesetzten Wand fiel ein Bücherbrett ins Auge; die römischen Autoren in der Ursprache, die Griechen in Übersetzungen, deutsche, englische und französische Dichter und Philosophen in unvollständigen Exemplaren waren hier aufgestellt.

      Auf den ersten Blick sah man dieser Büchersammlung an, daß sie allmählich beim Antiquar und in Versteigerungen zusammengekauft war und daß viele Jahre darüber hingegangen waren, ehe sich die mehr oder weniger zerlesenen Bände an dieser Stelle zusammengefunden hatten.

      Das zweifenstrige Gemach war bedeutend länger als breit, und eine Glastür führte in eine fast noch längere und schmälere Kammer, aus der man die schöne Aussicht auf die Höfe und Hintergebäude der Musikantengasse und auf den Giebel des Sternsehers genoß. In der Stube befanden sich einige Stühle, welchen man ebenfalls den Trödelmarkt ansah, ein zerlumptes Sofa, ein runder Tisch, ein Schreibtisch und ein Spiegelembryo, der nur beim hellsten Wetter zu gebrauchen war und welcher dann doch noch dem schönsten Mädchengesicht die verschrobenste Fratze zugeschnitten hätte, wenn eins hineingelächelt haben würde. In der Kammer stand ein schlechtes hartes Bett, ein Stuhl, ein Nachttisch und ein Kleiderstock. Eine Tür führte in eine leere zweite Kammer.

      Wir notieren das Mobiliar der ganzen Wohnung nur deshalb gleich einem Auktionskommissarius, weil wir die Originalität des Bewohners nicht dadurch hervorheben wollen, daß wir ihn in eine originelle Umgebung versetzen. Kleider machen nicht immer Leute, den Menschen erkennt man nicht immer an seinem Umgange, nicht immer ist ein Genie nachlässig in seinem Äußern, und es kann Sonderlinge geben, die nicht mehr einen Zopf dem zwanzigsten Jahrhundert entgegentragen und die sich durch nichts Auffälliges von den übrigen Menschen abheben.

      Man sagt und klagt, die Sonderlinge – diese ernsthaft-spaßhaften Menschen, über die man sich so gern ergötzte – verschwänden allmählich ganz und gar, und hält auch das für ein Zeichen, daß die Welt und Zeit immer flacher werden. Ein großer Teil der Leute, welcher von dem Sterngucker Ulex weiß, möchte ihn gern unter Glas und in Spiritus setzen samt dem alten Giebel vom Nikolaikloster, um beides so lange als möglich zu erhalten. Sollte sich die Originalität in jetziger Zeit vielleicht nicht mehr auf die innern Teile einzelner Bevorzugter werfen?

      Für das Innerliche hat die Menschheit niemals ein sehr scharfes Auge gehabt, und wir wollen ihr keinen Vorwurf daraus machen; denn die Winter sind kalt, die Kartoffeln mißraten sehr häufig, und man hat seine liebe Not mit den Regierungen, den Weibern und Kindern. Achtung oder du erfrierst! Achtung oder du verhungerst! Achtung oder man stellt dich unter polizeiliche Aufsicht! Achtung oder die Frau zieht den Pantoffel vom Fuß! Achtung oder deine Tochter kriegt keinen Mann! – Zum Teufel mit der Innerlichkeit, die arme Menschheit hat wenig Zeit, sich mit ihrem eigensten Wesen zu beschäftigen.

      Der Polizeischreiber Fiebiger aus Poppenhagen hatte das Leben von den verschiedensten Seiten kennen gelernt. Er hatte in seiner Jugend fast so viel Inkarnationen durchgemacht wie ein indischer Gott; nun aber betrachtete er fast schon dreißig Jahre lang das Dasein von seinem hohen Dreibein im Departement der öffentlichen Sicherheit aus, und seine Philosophie

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