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besser für Sie, junges Blut. Ich aber würde mir durch längeres Verweilen einen tüchtigen Rheumatismus in den Schreibearm zuziehen, und das ist ein bedenklich Ding in dieser tintensüchtigen Zeit.«

      Das Ende dieses Hin-und Hersprechens war, daß Robert Wolf die kalte Nacht nicht obdachlos und verlassen in den Straßen zubrachte, sondern daß er zwischen dem Komödianten und dem Schreiber der Behausung derselben zuwanderte. So abgespannt und zerschlagen an Geist und Körper war er geworden, daß er sich zuletzt willenlos und gleichgültig dem überließ, was ihn schob und führte, und daß er die Verantwortung für sein armes Leben, seine todmüde Seele ganz und gar den Leuten anheimgab, welche sich damit befassen wollten.

      »Sie sind doch ein sonderbarer alter Kauz, Fiebiger«, meinte Julius Schminkert. »Was wollen Sie nun mit diesem schlaftrunkenen Lümmel, der jetzt im Gehen vollständig schläft, beginnen? Wollen Sie einen Handel mit fremden Lumpen anfangen? Ein Taschendieb, der in Ihrer Tasche nach dem Taschentuch suchte, würde mehr als eine Grille und Unbegreiflichkeit damit hervorziehen.«

      »Einheimische Lumpen haben wir freilich übergenug«, meinte der Alte lächelnd. »Daß Sie aber ein großer Mann, ein Weiser, ein Denker und eine Zierde der Gesellschaft sind, hat noch niemand geleugnet.«

      Das Lächeln des Schreibers verstand der Denker Julius Schminkert nicht im mindesten, obgleich es viel besser war als das Licht der Gaslaterne, welche eben das faltenreiche Gesicht des Polizeischreibers beleuchtete. So hielt er sich denn an das Faktum der gewonnenen zehn Taler und war glücklich im Bewußtsein des Besitzes; denn zehn Taler in der Hand eines Toren können mehr Vergnügen gewähren als eine Million in dem Geldschranke eines Weisen.

      In der Musikantengasse zwölf wohnten, wie gesagt, der Schreiber Fiebiger und Julius Schminkert in ein und demselben Hause, und viel Volk wohnte mit ihnen darin.

      Es fing wieder an zu regnen; der Nordwind machte sich von neuem auf, als wolle er seine Rasiermesser an der Welt schärfen; Robert Wolf aber ward nach dem wildesten Tage seines Lebens glücklich – unter Dach gebracht.

      Viertes Kapitel

      Treffliche Beschreibung des Hauses in der Musikantengasse und des Polizeischreibers Fiebiger im Schlafrocke

       Inhaltsverzeichnis

      Das Haus Nummer zwölf, welches der Schreiber in der Musikantengasse bewohnte, ließ sich sehr gut mit gewissen Menschen vergleichen, die nüchtern, kalt und abgeschliffen in ein abgeschliffenes Leben hinausblicken und deren Inneres originell, warm und voll kurioser Ecken und Winkel ist. Diesen Charakteren hat die Gesellschaft eine Maske aufgelegt, und eben eine solche Maske trug das Haus Nummer zwölf.

      Es war eigentlich ein altes Gebäude voll wunderlicher Baumeisterlaunen längst verloren gegangener Architekturwissenschaft. Aber über seine Vorderseite hatte die Zeit, die ebenso eine Zunge hat, wie sie Zähne besitzt, weggeleckt und alles schön modern grade gestrichen bis an das Dach hinan. Ähnlich war es allen ändern Gebäuden der Musikantengasse ergangen; aber darum blieb die Gasse nichtsdestoweniger alt, und die Häuser blieben auch alt, und aus den Fenstern der Hinterseiten sah man in die tollste Welt von schwarzen Höfen, Giebeln, Brandmauern und Schornsteinen – ein rauch-und dunstüberhängtes Durcheinander, in welchem der höchste Punkt in der Nähe der Giebel eines halb abgebrochenen Klostergebäudes war, dessen noch erhaltene Räume bis auf den genannten Giebel zu Warenlagern und Werkstätten eingerichtet waren.

      In diesem Giebel hatte seine Wohnung und sein Observatorium Heinrich Ulex, ein halb autodidaktischer Sterngucker, den wir bald näher kennen lernen werden.

      Wir steigen jetzt in Nummer zwölf der Musikantengasse naturgemäß von unten nach oben. Im Erdgeschoß wurde der Fortschritt des neunzehnten Jahrhunderts durch das Atelier des tailleur de Paris Mr. Alphonse Stibbe repräsentiert und elegantes Mitschassieren mit der Zeit und der französischen Novellistik durch die schöne Tochter des Künstlers, Fräulein Angelika Stibbe. Das erste Stockwerk bewohnte eine ungemein vornehme, wohlbeleibte Angorakatze nebst einer magern, jungfräulichen ältlichen Dame, Tochter eines kurz nach den Befreiungskriegen an Apoplexie gestorbenen Proviantkommissärs, Fräulein Aurora Pogge, eine Art weiblichen Varnhagen von Enses der Musikantengasse. Im zweiten Stock vegetierte der Hauseigentümer, Herr Mäuseier, ein kinderloser, beschaulicher Witwer, welcher den größten Teil des Tages mit halbem Leibe aus dem Fenster hing, der aber in sich selber wenig zu beschauen hatte und der mit den glücklichen Völkern das Los teilte, daß wenig über ihn zu sagen ist. Im dritten Stockwerk hauste der Polizeischreiber Herr Fiebiger, und neben ihm war der Jüngling mit der beflügelten Seele, Julius Schminkert, selten – zu Hause.

      Zu diesem Hause Nummer zwölf gehörte außerdem eine Hofwohnung, aus welcher zwei fleißige Hämmer vom frühen Morgen bis spät in die Nacht klangen. Auch Sägen und andere Tischlerwerkzeuge ließen sich von dorther vernehmen, und dazwischen ertönte eine helle, frische Mädchenstimme und das Zwitschern eines Kanarienvogels. Die Schreinerfamilie Teilering, bestehend aus Vater, Mutter, Sohn und Tochter, war ein herzerfreuendes Zeichen, daß auch die dunkelste Wohnung, mit der Aussicht auf den engsten, schmutzigsten Hof, den echten, rechten Lebensmut nicht zu ersticken vermag; und Ludwig und Luise Tellering gehörten unzweifelhaft zu den liebenswürdigsten Erscheinungen im Hause Nummer zwölf der Musikantengasse.

      Unerwachsene Kinder gab es in diesem Hause leider nicht, dafür aber desto mehr davon in den nachbarlichen Wohnungen; es war sehr gut, daß sie nicht in der Luft tanzen konnten wie ein Mückenschwarm, sie hätten sonst den Weg durch die Musikantengasse zu einem sehr gefährlichen Unternehmen gemacht. Ratten und Mäuse waren im Überfluß vorhanden, und ein Eulennest wurde vor kurzem erst, nachdem es eine geraume Zeit hindurch allnächtlich einen großen Teil der Inquilinen in Bangen, Schrecken und Gespenstergrausen gestürzt hatte, in einem alten vermauerten Schornstein durch Ludwig Tellering und den Polizeischreiber Fiebiger entdeckt und zum großen Mißmut des letztern schadenfrohen Herrn ohne Gnade expropriiert. Wir erwähnen noch eine wechselnde Bevölkerung von Ausläuferinnen, Schneidergesellen und unglücklichen Lehrjungen im Erdgeschoß, eine grämliche Magd, die sich Hulda nennen ließ, im ersten Stock, eine überaus milde, durchsichtige Haushälterin, Frau Krieg, die dem Rentier Mäuseier das Leben erträglich machte, und zum Beschluß den Geist im weiß und schwarzen Mönchsgewande, welcher nächtliche Streifzüge von dem alten Kloster des heiligen Nikolaus her in das Haus Nummer zwölf unternehmen sollte und von Fräulein Aurora Pogge mit dem vergrabenen Klosterschatze, von Fräulein Angelika Stibbe aber mit einer blutigroten Liebesgeschichte in Nummer zwölf in Verbindung gebracht wurde: damit schließen wir unsere Liste der Hausbewohner, behalten uns aber natürlich vor, eine Million interessanter Einzelheiten über sie an den betreffenden Stellen einzufügen.

      Dunkel, feucht und eng war die Hausflur, über welche Robert Wolf von dem Polizeischreiber und Julius Schminkert geführt wurde; dunkel war der Blick, welchen der Tailleur aus seinem gasbeleuchteten Atelier auf den Sommerbühnenmimen warf, tief und dunkel war das Auge Angelikas, welches aus einer ändern Pforte dem leichtsinnigen Julius entgegenblitzte. Die steile Treppe hinauf mußte Robert Wolf mehr geschleift und getragen als geführt werden, und das dadurch entstehende Gepolter beschwor auf den Treppenabsatz, wenn auch nicht den gespenstischen Mönch, so doch eine nicht viel weniger schreckliche Erscheinung, Fräulein Aurora Pogge mit ihrer Küchenlampe. Ahnte sie, daß ein neuer Charakter für ihr Memoirenbuch am Horizont des Hauses Nummer zwölf aufging? Menschenfeindlichen Blickes betrachtete sie den mit dem Schreiber an ihr vorüberschwankenden Robert und beklagte sich nachher bitterlich bei dem Hauseigentümer darüber, daß man solch wild, wüst und vagabundenhaft aussehende, verdächtige Individuen bei ›nachtschlafender‹ Zeit in Häuser einführe, wo alleinstehende und -schlafende Damen und schutzlose Jungfrauen mit allem, was sie um und an sich hätten, den Gelüsten jedes verwegenen Verbrechers ausgesetzt seien, wie die Gerichtszeitung ›tagtäglich‹ durch haarsträubende Berichte und Beispiele gräßlich der Welt vor die Augen stelle. Der beschauliche Hausherr jedoch, als er vernahm, daß der Polizeischreiber bei der Sache beteiligt sei, wurde in der Ruhe des sichern Bürgers nicht aufgestört durch diese Klagen. Sein Herr Fiebiger gehörte ja der Polizei an und somit der allein infallibeln

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