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      »Geteiltes Leid«, lächelte Christof.

      »Ist halbes Leid«, ergänzte Kati. Ihre Stimme hatte sich wieder gefestigt, nur ihre Augen waren immer noch naß.

      *

      »Wie geht es deiner Nachbarin?« erkundigte sich Herta Hersfeld und löffelte die schmackhafte Brühe, die im argentinischen Steakhaus immer vor dem Hauptgericht serviert wurde.

      »Nicht besonders«, erwiderte Christof, »sie ist immer noch niedergeschlagen wegen Miguel, aber sie läßt es wirklich kaum mehr merken.«

      »Woher willst du es dann wissen?«

      »Ich kenne sie eben, sehr gut sogar. Es war ja auch wirklich eine Schweinerei.«

      »Christof!«

      »Ihr das Kind wegzunehmen. Nenn es, wie du willst, aber meine Meinung ist, daß da jemand Murks gemacht hat!«

      »Möglicherweise«, murmelte Herta Hersfeld.

      Christof ließ den Suppenlöffel sinken und richtete einen unsicheren Blick auf seine Mutter.

      »Siehst du das etwa genauso?« fragte er zweifelnd.

      »Ja, aber ich kann nichts beweisen. Deshalb ist es müßig, darüber zu sprechen.«

      »Finde ich nicht«, ereiferte sich Christof, »ganz im Gegenteil! Wenn dir etwas nicht geheuer ist an der ganzen Sache, dann mußt du doch nachhaken! Recherchieren! Offen darüber sprechen!«

      Herta musterte ihren Sohn voller Verwunderung. »Nanu? Seit wann interessierst du dich für Sozialfälle?«

      »Es geht doch nicht um einen x-beliebigen Sozialfall! Es geht um Miguel – ein Kind, das ich kenne, das ich auf dem Arm gehalten habe – das ist etwas ganz anderes!«

      »Aha«, sagte Herta Hersfeld und versank in tiefes Nachdenken. Die Suppentassen wurden abgeräumt, die Steaks und die Salatplatten aufgetischt.

      Christof sah seine Mutter abwartend an.

      »Du erinnerst dich an Marlon Guzman?« fragte sie plötzlich.

      »Den Tennisprofi? Klar, der war bei mir in der Klasse.«

      »Du könntest die Bekanntschaft mit ihm auffrischen und dir Zutritt zu seinem Elternhaus verschaffen.«

      Christof zog eine Grimasse.

      »Ungern, Mutter, äußerst ungern! Marlon ist ein eingebildeter Esel, und sein Alter – Verzeihung, sein Vater – ist auch nicht viel besser.«

      »Er sitzt immerhin im Aufsichtsrat einiger großer Firmen«, bemerkte Herta nüchtern, »auch hat er in zweiter Ehe die Tochter eines Ministers geheiratet.«

      »Und was soll ich bei diesen Leuten?«

      »Unauffällig nachprüfen, wie es Miguel geht.«

      Christof fiel vor Schreck die Gabel aus der Hand.

      »Miguel? Soll das heißen, daß Miguel bei den Guzmans untergekommen ist?«

      »Ja, und auf den ersten Blick mußte das als Glücksfall erscheinen. Dona Dolores hätte sich kaum dagegen aussprechen können, das wirst du wohl verstehen.«

      »Mensch, Mutter«, murmelte Christof erschüttert.

      »Dein Essen wird kalt, Junge«, mahnte Herta nach einer Weile.

      »Das ist ein Hammer!«

      »Wie man’s nimmt. Ich habe mich mit Härterem befassen müssen in den letzten zwanzig Jahren, das darfst du mir glauben.«

      Christof streifte seine Mutter mit einem Blick voll scheuer Achtung. »Du erzählst nie etwas davon.«

      »Doch, manchmal, aber nur dann, wenn ich mir etwas davon verspreche. So wie jetzt.«

      Christof pickte zerstreut auf seinem Salatteller herum.

      »Wenn es nach dir gegangen wäre, Mutter – hätte Kati den Kleinen behalten dürfen?« fragte er schließlich.

      Herta zögerte.

      »Du kennst meine Vorbehalte gegenüber alleinerziehenden Müttern, mein Sohn. Ich war selbst eine. Wir beide wissen, daß dir ein Vater zwar schmerzlich gefehlt hat, daß du aber jeden vergrault hast, der sich um dich kümmern wollte.«

      »Weil ich ja nur die Ausrede war! Diejenigen, auf die du anspielst, wollten sich hauptsächlich um dich kümmern, weniger um mich!«

      »Damit sprichst du gleich das zweite Problem an, das sich der alleinerziehenden Mutter stellt. Jede Partnerwahl ist an sich schon ein Risiko. Aber wenn man dabei nicht nur an sich, sondern auch noch an das Kind denken muß, fällt die Entscheidung doppelt schwer.«

      Christof krauste die Stirn.

      »Mal ganz ehrlich«, fragte er beklommen, »hast du vielleicht meinetwegen nicht mehr geheiratet?«

      »Auch«, erwiderte Herta ruhig, »unter anderem deinetwegen. Aber wenn mir der Richtige begegnet wäre, hätte ich niemanden gefragt, auch dich nicht. Wir können also davon ausgehen, daß mir außer deinem Vater keiner fürs Leben bestimmt war.«

      Minutenlang saßen sie schweigend.

      »Was im einzelnen soll ich denn bei den Guzmans herausfinden?« fragte Christof nach einer langen Pause.

      »Das sage ich dir, wenn wir mit dem Essen fertig sind.«

      Am späten Abend dieses Tages, als Christof seine Haustür aufschloß, hörte er Chico nebenan leise schnüffeln.

      »Er ist bei mir untergekrochen«, rief Kati halblaut aus ihrem Patio, »kannst ihn abholen, wenn du willst.«

      »Darf ich einen Cuba Libre mitbringen?«

      »Nur wenn kein Rum drin ist!«

      »Aber dann ist es kein Cubra Libre!«

      »Na gut, wenn es nur eine schwache Mischung ist. Ich habe noch Hefte zu korrigieren.«

      Kurz danach betrat Christof, zwei Gläser in beiden Händen balancierend das Nachbarhaus, wo ihm sein Hund schweifwedelnd und nach Shampoo duftend entgegen kam.

      »Wer ist denn dieses gepflegte Tier? Doch nicht mein guter alter Chico?«

      »Laß ihn in Ruhe«, rief Kati aus dem Hintergrund, »er ist sich selbst schon ganz fremd. Also tu so, als wenn nichts wäre! Ich habe die Gelegenheit genutzt und ihn endlich mal gebadet.«

      »Meine Mutter wird sich freuen, das zu hören! Ich soll dich von ihr grüßen!«

      »Danke. Wir haben uns nicht mehr gesehen seit dem Kinderkarneval im Waisenhaus. Hat sie etwas von Miguel gesagt?«

      »Ja, aber nicht viel«, log Christof, setzte die Gläser ab und kraulte seinen Hund, um nur ja nicht wortbrüchig zu werden. Denn in die Hand hatte er seiner Mutter versprechen müssen, Stillschweigen zu bewahren gegenüber jedermann. Zu heikel war die Angelegenheit, als daß man sie ausplaudern durfte. Wer die Bedeutung der Familie Guzman in Montelindo kannte, brauchte darüber nicht belehrt zu werden. Unter der Hand war zu erfahren, daß die zweite Guzman nach wie vor an seelischen Störungen litt, denen auch die Anwesenheit eines Waisenkindes in ihrem Hause nicht abzuhelfen vermochte.

      Im Gegenteil.

      Der Kleine hatte sie erneut in tiefe Depressionen gestürzt, da er dem verstorbenen Söhnchen in keiner Weise ähnelte.

      Nichts jedoch durfte darüber nach außen dringen. Einem Hausmädchen, das ein wenig geplaudert hatte, war sofort gekündigt worden.

      »Ach Christof«, hörte er Kati seufzen, »wir werden nichts mehr von Miguel hören, absolut nichts mehr. Dona Dolores schweigt wie ein Grab, und deine Mutter muß sich genauso verhalten. Das sind nun mal die Spielregeln. Aber es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an Miguel denke. Ob du mich nun für verrückt hältst oder nicht – ich werde ein gewisses Gefühl nicht los – ein schlechtes Gefühl – ein Gefühl der Sorge!«

      Christof

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