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aus, weil es der Mond bescheint; aber ich denke, drinnen brennt kein Licht.«

      »Nein, da ist keins,« sagte Holmes, »aber ich sehe den Schein eines Lichtes in dem kleinen Fenster neben der Thür.«

      »Dort ist die Stube der Haushälterin, der alten Frau Bernstone. Sie kann uns über alles Auskunft geben. Bitte, warten Sie einen Augenblick hier; ich will sie auf unser Kommen vorbereiten, sie möchte sonst erschrecken. Aber still! – Was war das!« –

      Er hielt die Laterne in die Höhe und die Hand zitterte ihm so, daß die Lichtkreise rund um uns tanzten und flimmerten. Wir horchten gespannt und mit klopfendem Herzen. Von dem großen, dunkeln Hause her tönte ein jammervoller Klagelaut – das Schluchzen und Wimmern eines geängstigten Frauenzimmers.

      »Das ist Frau Bernstone,« sagte Scholto. »Sie ist die einzige Frau im Hause. Warten Sie, ich bin gleich zurück.«

      Er eilte nach der Thür und klopfte auf eine besondere Art. Wir sahen, wie eine große Frau ihm öffnete und bei seinem Anblick überrascht zurücktaumelte.

      »O, Herr Thaddäus, mein guter Herr, wie froh bin ich, daß Sie da sind!«

      Wir hörten ihre wiederholten Freudenbezeigungen, bis die Thür geschlossen wurde und ihre Stimme in unverständlichen Lauten hinstarb.

      Unser Führer hatte die Laterne bei uns zurückgelassen. Holmes schwang sie jetzt langsam im Kreise; er leuchtete damit nach dem Hause hin und nach den großen Haufen von Schutt und aufgeworfenem Erdreich, die überall umherlagen. Währenddem standen Fräulein Morstan und ich beisammen, und ich hielt ihre Hand in der meinigen. – Es ist ein wundersames, rätselhaftes Ding um die Liebe. Wir zwei Menschen hatten einander an diesem Tage zum erstenmal gesehen; nie zuvor war zwischen uns ein Wort oder ein Blick der Zuneigung gewechselt worden, und dennoch suchten sich unsere Hände unwillkürlich in dieser Stunde der Unruhe. Später habe ich mich oft darüber gewundert; aber damals schien es mir ganz selbstverständlich, daß ich mich ihr zuwenden mußte, und auch sie hat mir oft gesagt, daß ein unbewußtes Gefühl sie trieb, bei mir Trost und Schutz zu suchen. So standen wir denn wie zwei Kinder, Hand in Hand; in unseren Herzen war es hell, trotz aller Dunkelheit, die uns umgab.

      »Was für ein sonderbarer Ort!« rief sie, umherblickend.

      »Es sieht aus, als wären die Maulwürfe von ganz England hier geschäftig gewesen,« sagte ich. »Mir fällt dabei ein Hügel in der Nähe von Ballarat ein, wo die Goldgräber gearbeitet hatten.«

      »Das ist sehr natürlich,« meinte Holmes; »denn auch dies sind die Spuren von Schatzgräbern. Sie erinnern sich, daß die Brüder seit sechs Jahren nach dem Kasten suchten. Kein Wunder, daß der Erdboden umgewühlt ist.«

      In diesem Augenblick flog die Thür des Hauses auf, und Thaddäus kam mit vorgestreckten Armen herausgestürzt, bleiche Furcht im Antlitz.

      »Bartholomäus ist etwas zugestoßen,« rief er. »ich habe einen Schreck bekommen! Meine Nerven können das nicht ertragen.« – Die Zähne klapperten ihm auch wirklich vor Angst, und sein Gesicht guckte mit dem flehenden, hilflosen Ausdruck eines Kindes aus dem großen Pelzkragen hervor.

      »Lassen Sie uns ins Haus gehen,« rief Holmes in seiner kurzen, entschlossenen Art.

      »Ach ja, kommen Sie!,« bat Scholto. »Ich bin wirklich außer stände, die nötigen Anordnungen zu treffen.«

      Wir folgten ihm alle in die Stube der Haushälterin, wo wir die alte Frau fanden, die mit verwirrtem Blick händeringend auf und ab ging. Bei Fräulein Morstans Anblick beruhigte sie sich einigermaßen.

      »Gott segne Sie, daß Sie hier sind,« rief sie unter krampfhaftem Schluchzen. »Es thut mir wohl, Ihr liebes Gesicht zu sehen. Ach, wie fürchterlich habe ich heute auszustehen gehabt!«

      Das Fräulein streichelte ihr die hagere, arbeitsrauhe Hand und murmelte ein paar Worte teilnehmenden, weiblichen Zuspruchs. Das brachte wieder Farbe in die blutlosen Wangen des geängstigten Weibes.

      »Mein Herr hat sich eingeschlossen und will mir nicht antworten,« berichtete sie. »Den ganzen Tag habe ich gewartet, daß er mich rufen würde. Er ist oft gern allein und ich wollte ihn nicht belästigen, aber vor einer Stunde kam es über mich, daß etwas nicht richtig sein möchte, da ging ich hinauf und guckte durchs Schlüsselloch.

      »Es hilft nichts, Herr Thaddäus, Sie müssen hinauf und sich selbst überzeugen. Seit zehn langen Jahren habe ich den Herrn Bartholomäus Scholto in Freud und Leid gesehen; aber niemals mit solchem Gesicht.«

      Sherlock Holmes nahm die Lampe und ging voran; der bebende Thaddäus folgte ihm. Er war so fassungslos, daß ich ihn stützen mußte und ihm helfen, die Treppe hinaufzukommen; denn die Kniee versagten ihm.

      Zweimal zog Holmes auf der Treppe seine Lupe heraus, um die Kokosmatte genau zu betrachten, welche die Stufen bedeckte. Ich sah nur den Staub, der darauf lagerte; er aber mochte wohl noch andere Spuren gewahren, denn er ging langsam von Stufe zu Stufe, hielt die Lampe niedrig und schoß scharfe Blicke nach links und rechts. Fräulein Morstan war bei der jammernden Haushälterin zurückgeblieben.

      Der dritte Treppenabsatz endigte in einem langen Korridor, dessen Wand rechts ein großes Bild in indischer Stickerei schmückte, während sich links drei Thüren befanden. Holmes schritt bedächtig weiter und wir folgten ihm auf den Fersen, unsere langen, schwarzen Schatten hinter uns durch den Gang werfend. Als wir die dritte Thür erreicht hatten, klopfte Holmes, erhielt jedoch keine Antwort. Nun versuchte er die Thür zu öffnen; sie war aber von innen verschlossen und ein großer starker Riegel vorgeschoben, wie wir beim Laternenlicht sehen konnten. Holmes bückte sich zum Schlüsselloch nieder, welches nicht ganz verdeckt war, fuhr jedoch augenblicklich wieder in die Höhe und atmete schwer.

      »Da steckt der Teufel drin, Watson,« rief er so aufgeregt, wie ich ihn nie zuvor gesehen. »Was denken Sie davon?« –

      Ich sah nun auch durch das Schlüsselloch und prallte entsetzt zurück. Das Mondlicht erhellte den Raum mit unsicherm Schimmer und – scheinbar in der Luft schwebend, weil weiter unten alles dunkel war, hing da, den Blick mir zugewandt, ein Gesicht – genau das Gesicht unseres Gefährten Thaddäus. Derselbe hohe, kahle Kopf mit dem Kranz von rotem Haar, dasselbe blutlose Antlitz, nur daß die Züge unbeweglich waren, wie erstarrt, in einer unnatürlichen Grimasse, einem gräßlichen Lächeln, das sich in dem unheimlich stillen Zimmer abschreckender ausnahm und mehr auf die Nerven fiel, als die entsetzlichste Fratze oder Verzerrung. So ähnlich war das Gesicht dem unseres kleinen Freundes, daß ich mich unwillkürlich nach ihm umsah, um mich zu überzeugen, daß er wirklich hinter uns stand. Dabei fiel mir ein, daß er erwähnt hatte, er und sein Bruder seien Zwillinge.

      »Das ist grauenhaft,« sagte ich zu Holmes. »Was fangen wir an?«

      »Wir sprengen die Thür,« rief er, und stemmte sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen, um das Schloß aufzubrechen. Es knarrte und ächzte, aber gab nicht nach. Jetzt warfen wir uns beide zusammen gegen die Thür und diesmal sprang das Schloß mit einem plötzlichen Krach auf und wir befanden uns in Bartholomäus Scholtos Zimmer. Es schien zu einem chemischen Laboratorium eingerichtet. Eine doppelte Reihe von Flaschen mit Glasstöpseln war längs der Wand, der Thür gegenüber aufgestellt und auf dem Tisch standen Kolben, Reagensgläser und Retorten unordentlich durcheinander. In den Ecken bemerkte ich große strohumflochtene Flaschen, welche Säuren enthalten mochten. Eine derselben schien zerbrochen worden zu sein, denn ein Strom dunkelfarbiger Flüssigkeit hatte sich daraus ergossen, und die Luft war geschwängert mit einem scharfen, theerartigen Geruch. Eine Trittleiter stand an der Seite des Zimmers, mitten in einem Haufen von Latten und Kalkstücken und über derselben sah ich eine Oeffnung in der Decke, groß genug, um einen Mann hindurchzulassen. Am Fuß der Leiter war ein langes, starkes Seil nachlässig hingeworfen. Neben dem Tisch aber, in einem hölzernen Lehnstuhl, saß, in sich zusammengefallen, der Herr des Hauses, den Kopf auf die rechte Schulter gesenkt und mit dem geisterhaften, unerklärlichen Lächeln im Gesicht. Er war steif und kalt und offenbar schon seit vielen Stunden tot. Er sah aus, als ob nicht allein seine Gesichtszüge, sondern alle seine Gliedmaßen auf die sonderbarste Weise verzerrt und verrenkt wären. Auf dem Tische,

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