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behende und sprudelnd lebhafte Frau. An ihr hingen die drei Kinder – Rose, Hede und das verwöhnte Nesthäkchen Karl – mit zärtlicher Liebe und Bewunderung. Während unsere Mutter und Frau Platau für uns alles mit der größten Selbstverständlichkeit taten, ohne Gegenleistungen zu verlangen, wurde hier mehr die Mutter von den Töchtern verwöhnt. Sie nannten sie »Katerchen« und nahmen ihr möglichst viel von den häuslichen Arbeiten ab; sie waren dazu viel besser angehalten als wir, beide tüchtig und gewandt.

      Da die Agenturen des Vaters für den Unterhalt der Familie nicht ausreichten, fingen beide Mädchen auch schon sehr früh an mitzuverdienen, Rose durch Mathematikstunden, Hede durch Musikunterricht. Sie waren stets überlastet und oft von Krankheiten heimgesucht, Hede besonders litt schon als junges Mädchen an quälenden Anfällen von Herzasthma. Rose war von schlanker, ebenmäßiger Gestalt und wußte sich mit erlesenem Geschmack zu kleiden. Ihr schönster Schmuck aber waren zwei lange und schwere glänzend-schwarze Zöpfe, die sie einfach um den Kopf geschlungen trug. Ihr Gesicht war nicht schön zu nennen, vor allem wurde es durch den etwas starren Blick der braunen Augen entstellt. Trotzdem hatte sie eine große Anziehungskraft. Sie hatte nicht Lillis lebhafte und warmherzige Art, die jedem Menschen mit ungezwungener Herzlichkeit entgegenkam. Fremden gegenüber war sie zurückhaltend und fast abstoßend; in unserer Familie konnte sich darum außer Erna und mir niemand für sie erwärmen, und selbst Erna zog sich nach anfänglicher herzlicher Annäherung später innerlich von ihr zurück, wenn auch der freundschaftliche Verkehr immer erhalten blieb. Menschen, an denen ihr etwas lag, gewann Rose durch ihre außerordentliche Gabe, auf andere einzugehen. Sie verstand vorzüglich zuzuhören, so daß man sich ihr gern anvertraute. In wissenschaftlichen Gesprächen faßte sie die Gedanken anderer schnell und leicht auf und konnte mit großer Redegewandtheit darauf eingehen.

      Die meisten merkten es nicht, daß das, was sie sprach, selten ihr geistiges Eigentum war; ihre selbständige Begabung wurde allgemein überschätzt und sie selbst täuschte sich wohl darüber; ich glaube aber sicher, daß sie es im Grunde fühlte und bei allem zur Schau getragenen Selbstbewußtsein innerlich unsicher war. Und damit erklärte ich mir auch den Zug, der ihr Erna und Hans schließlich entfremdete: eine gewisse Unwahrhaftigkeit. Sie vertrat keine feste innere Überzeugung, sondern paßte sich in Gesprächen den andern an und konnte in verschiedener Umgebung ganz widersprechende Ansichten äußern. Auch auf ihre tatsächlichen Angaben konnte man sich nicht verlassen. Meine Mutter fühlte sich besonders dadurch abgestoßen, daß sie sehr viel von ihren Leistungen und Erfolgen sprach. Sie tat das in einer ruhigen und sachlichen Art, als berührte sie nur nebenbei diese Tatsachen. Aber die Absicht zu imponieren war doch unverkennbar. Unleugbar und ganz ungewöhnlich war ihr Lehrtalent und ihr starker Einfluß auf ihre Schülerinnen. Als Hans Biberstein und Rose sich kennenlernten, fühlten sich beide stark zueinander hingezogen. Erna, die von Natur aus keineswegs zur Eifersucht neigte, hat in diesem Fall doch nicht immer ruhig bleiben können. Andererseits war es gerade die gemeinsame Neigung, die die beiden Mädchen anfangs nahe miteinander verband. Aber Roses Unzuverlässigkeit war für Erna und Hans eine solche Enttäuschung, daß sie darüber nicht hinwegkamen. Lilli und ich sahen diese Schwäche auch und litten darunter, zogen uns aber nicht zurück.

      Als ich zur Universität kam, wurde auch ich von dem Zauber ergriffen, den Rose auszuüben verstand. Sie war anfangs in unserer Freundschaft der führende Teil, aber nicht sehr lange. Durch die Bestimmtheit, mit der ich mir meine Ansichten bildete und sie gegen jedermann vertrat, später wohl auch durch die Fähigkeit zu selbständiger wissenschaftlicher Arbeit, gewann ich einen starken Einfluß auf sie. Als die andern sie aufgaben, hatten wir einmal eine gründliche Aussprache miteinander. Ich sagte ihr auf ihre Klagen hin gerade heraus, ich fände die Vorwürfe, die man ihr mache, durchaus berechtigt. Ich verschwieg auch nicht, wie ich mir ihre Schwächen erklärte. Ich sähe aber in den Fehlern eines Menschen keinen Grund, ihm die Freundschaft zu entziehen. Sie nahm alles, was ich sagte, dankbar und ohne Empfindlichkeit an und hielt sich von da an noch viel fester an mich. Ich glaube, daß ihr Verhältnis zu mir nun ein ganz anderes war als die Beziehungen zu andern Menschen. Daß ich sie nicht in bengalischer Beleuchtung sah, sondern bei nüchternem Tageslicht, das war ihr wohl schmerzlich, aber es gab ihr andererseits eine Ruhe und Geborgenheit, die ihr sonst fehlte. Sie hat dies niemals ausgesprochen, ich weiß auch nicht, ob sie sich je darüber klar geworden ist. Sie fühlte sich nur von Zeit zu Zeit gedrängt mir zu schreiben, wie groß ihre Liebe zu mir sei; manchmal fügte sie noch hinzu, es sei eine »unglückliche Liebe«. Das war wohl insofern richtig, als ein solches Verhältnis ja unmöglich wechselseitig sein konnte. Aber eine treue Freundschaft und herzliche Zuneigung habe auch ich ihr immer bewahrt.

      Wenn wir mit Guttmanns zusammenwaren, wurde viel musiziert. Hede wurde als Pianistin und Musiklehrerin ausgebildet; sie hatte auch eine gute Stimme und war eine geborene Schauspielerin. Wenn sie uns Lieder zur Laute sang, wurden wir nicht müde zuzuhören. Obgleich diese Gaben sie oft in den Mittelpunkt stellten, fühlte sie sich in unserem Kreise doch immer etwas zurückgesetzt. Sie war äußerlich sehr viel weniger anziehend als ihre Schwester. Außerdem kam sie sich unter den »Akademikern« – ähnlich wie unsere älteren Schwestern – als nicht ganz ebenbürtig vor. Wir steckten doch immer voll von unsern Studienangelegenheiten und konnten das »Fachsimpeln« nicht lassen. Eine besondere Freundschaft verband Hede mit Hans Platau, der als junger Kaufmann unseren Gesprächen meist nur sehr bescheiden zuhörte. Meine Mutter sagte damals schon voraus, daß sie ihn nicht mehr loslassen würde. Sie war damit durchaus nicht einverstanden. Hans gefiel ihr sehr gut, weil er so still und ernst war; und es tat ihr leid, daß der hübsche junge Mensch eine so wenig schöne und obendrein kranke Frau bekommen sollte.

      Außer den Familienmitgliedern gab es noch eine ganze Reihe anderer Menschen, die im geselligen Verkehr unsern Kreis erweiterten. Da wir verschiedene Studienfächer und Semesterzahl hatten, hatte jede auch noch ihre eigenen Bekannten und brachte sie nach und nach mit den andern in Verbindung. Zu Lilli fanden sich zwei Medizinstudenten von außerhalb als getreue Trabanten, Skupin und Jakobi. Sie waren bei uns gern gesehen, besonders Hans Biberstein freundete sich mit ihnen an. Dagegen wurde ein dritter Freund Lillis, der später hinzukam, von uns allen entschieden abgelehnt. Paul Berg kam aus der Provinz Posen. Er war streng jüdisch erzogen und wußte viel mehr vom Judentum als wir alle. Bei Guttmanns, Bibersteins und Plataus war der Zuschnitt des Hauses noch sehr viel liberaler als bei uns; sie lebten alle nicht mehr rituell. Wir konnten uns nicht darüber beklagen, daß Paul Berg uns mit seinen Anschauungen lästiggefallen wäre, er trat kaum damit hervor. Er hatte auch keineswegs den unangenehmen Tonfall der ungebildeten Ostjuden, der den deutschen »Assimilationsjuden« noch viel mehr auf die Nerven fällt als den »Ariern«. Er sprach vielmehr ein sehr reines und gepflegtes Deutsch. Wir hatten ihm eigentlich nichts vorzuwerfen, als daß er übertrieben höflich und liebenswürdig war und eine weichliche, süßliche Art hatte, die zu unserem ungezwungenen, etwas kecken Studententon gar nicht paßte. Mich reizte seine Gegenwart immer dazu, ihn durch besonders burschikose Redensarten zu erschrecken, und Hans Biberstein verfolgte ihn beständig mit seinem beißenden Spott. Augenscheinlich hatte er Lilli gegenüber die ernstesten Absichten und ließ sich durch nichts abschrecken. Uns aber empörte der Gedanke, ihn an ihrer Seite zu sehen, weil er geistig nicht entfernt an sie heranreichte. Aus ihr selbst wurden wir nicht ganz klug. Sie verteidigte ihn nur schwach gegen unsere Angriffe, hielt aber an der Freundschaft fest, so daß wir uns wohl oder übel an ihn gewöhnen mußten. Als wir vier Freundinnen und unsere Schwester Rosa einmal in den Weihnachtsferien zum Wintersport ins Riesengebirge fuhren, schloß er sich als einziger männlicher Begleiter uns an und war uns allen eine diensteifrige Kammerzofe. Wenn wir naß vom Schnee in eine Baude kamen, half er uns allen die Sweater aus- und anziehen; er nähte die abgerissenen Knöpfe an, und wenn eine beim Bergangehen müde wurde, zog er den Rodelschlitten. Wir ließen uns das alles lachend gefallen. Wenn wir dann abends in dem gemütlichen »Landhaus Martha« in Oberschreiberhau um einen großen runden Tisch saßen und in ernsten Weltanschauungsgesprächen heiße Köpfe bekamen, war er sichtlich mit ganzem Herzen dabei. Wir fühlten, wie dankbar er war, in einen so hochgestimmten Kreis aufgenommen zu sein, und das stimmte uns milder. Von da ab pflegte ich ihn zu verteidigen, wenn in seiner Abwesenheit in der gewöhnlichen Weise über ihn gespottet wurde.

      Bei allen gern gesehen war ein junger Mathematiker, den Rose bei uns einführte. Er hieß Willy Strietzel – das enfant terrible Karl Guttmann sagte, mit Rose zusammen

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