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Gesammelte Werke: Philosophische Werke, Religiöse Essays & Autobiografische Schriften. Edith Stein
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Philosophische Werke, Religiöse Essays & Autobiografische Schriften
Год выпуска 0
isbn 9788075830890
Автор произведения Edith Stein
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Meine Schwester hatte damals unsere Schwägerin Martha mit ihrem Erstgeborenen, dem kleinen Wolfgang, bei sich. Martha war als fröhliche Gesellschafterin gut zu brauchen, aber einer solchen Lage gegenüber ziemlich hilflos. Die beiden hatten unsere Mutter schonen wollen und Onkel Emil aus Berlin zu Hilfe gerufen, um Max zur Rückkehr zu bewegen; aber es war ihm nicht gelungen, und er war ohne Ergebnis wieder abgereist. Ich wurde dankbar und freudig begrüßt. Wir verständigten meinen Schwager telephonisch von meiner Ankunft, und ich verabredete mit ihm eine Zusammenkunft in der Stadt. Er war gegen mich höflich und freundlich, aber die Erregung, in der er sich befand, ließ sich nicht verbergen, und ich mußte mir alles anhören, was sich in Jahren an Bitterkeit in ihm angesammelt hatte: nicht nur Klagen über meine Schwester, sondern auch Vorwürfe gegen meine Mutter, weil sie ihm nach der Verlobung geschrieben hätte, er werde an Else eine gehorsame Frau haben. Unsere gute Mutter! In der Freude ihres Herzens hatte sie wohl damals als Tatsache vor sich gesehen, was sie wünschte und hoffte, und etwas versprochen, was nicht in ihrer Macht stand. Max verlangte entschieden, daß ich Else mit nach Breslau nähme. Wir sollten sie von einem Frauen- oder Nervenarzt behandeln lassen und dafür sorgen, daß sie gesundheitlich wieder in die Höhe käme. Wenn sie dann verspräche, sich ganz anders zu verhalten als bisher, dürfe sie zurückkommen.
Ich sah wohl, daß hieran jetzt nicht zu rütteln sei und daß ich alles aufbieten müßte, Else zum Mitfahren zu bewegen. Auch das war keine leichte Sache. Sie wollte durchaus ihre Rechte und Pflichten als Hausfrau, Gattin und Mutter nicht preisgeben. Vor allem aber war ihr die räumliche Trennung von ihrem Mann unerträglich, und trotz des tiefgehenden Zerwürfnisses und der täglichen Reibungen war sie fest überzeugt, daß auch er sie nicht entbehren könne. Sie war in einer Erregung, die tatsächlich schon fast über die Grenze des Normalen hinausging, und das äußerte sich darin, daß sie beständig redete. Selbst nachts gab es keine Ruhe. Ich mußte bei ihr sein, und sie enthüllte vor mir ihr Eheleben bis in alle Einzelheiten; manchmal unterbrach sie sich, weil ihr plötzlich einfiel, daß sie mit einem jungen, unerfahrenen Mädchen sprach; dann bat sie mich um Verzeihung, weil sie von Dingen redete, die für mich gewiß sehr peinlich zu hören wären. Nach vielen Bemühungen erklärte sie sich bereit mitzufahren, wenn Max vorher in die Wohnung zurückkäme und wenn Martha dabliebe und für den Haushalt und die beiden größeren Kinder sorgte; Anni, die noch nicht zur Schule ging, wollten wir mitnehmen. Sie wollte nicht, daß ihr Mann eine seiner Schwestern zu ihrer Vertretung kommen ließe; sie stand mit ihren Schwägerinnen nicht besonders gut und befürchtete einen ungünstigen Einfluß auf Mann und Kinder.
Martha war mit allem einverstanden, wir mußten ihr nur von ihrem Mann Nachurlaub erwirken. Bei der Gutherzigkeit meines Bruders Arno war das nicht schwer zu erreichen. (Allerdings wollte er schließlich Frau und Kind doch nicht so lange entbehren, wie Elses Verbannung dauerte. Nach einigen Wochen fuhr er nach Hamburg und holte beide ab, und es übernahm doch eine der Schwestern Gordon das Regiment im Hause. Bei dieser Gelegenheit kam es zwischen den beiden Schwägern zu einer heftigen Auseinandersetzung, weil Max seine Vorwürfe gegen unsere Mutter wiederholte und der Hitzkopf Arno darüber in die größte Aufregung geriet. Für ihn war nach einem solchen Ausbruch die Sache immer völlig erledigt, und es blieb keine Spur von Groll in ihm zurück. Mein Schwager aber trug jede Kränkung jahrelang nach und konnte sie niemals vergessen.)
Ich mußte Max die Bedingungen vortragen, und er ging darauf ein. Um die Stunde, wo wir ihn zu Hause erwarteten, hielt ich die Kinder im Kinderzimmer und fesselte sie, indem ich ihnen Geschichten erzählte. Else öffnete ihrem Mann die Tür, wie sie es gewöhnlich tat. All die Jahre pflegte sie ihm vom Balkon aus nachzuwinken, wenn er in die Praxis ging, ihm von dort wieder entgegenzusehen, wenn er kam, und dann schnell die Tür zu öffnen. Es gab eine lange Begrüßung unter vier Augen. Ich vermute, daß sie aus stürmischen Zärtlichkeiten bestand und daß wenig Worte gewechselt wurden. Schließlich kam der Vater auch die Kinder begrüßen. Am nächsten Morgen reisten wir ab. Mein Schwager begleitete uns zum Bahnhof. Er reichte mir noch vor der Abfahrt zum Fenster hinein die Hand und dankte für meine Hilfe. Meine Schwester war auch anfangs voller Dankbarkeit. Später pflegte sie zu sagen, trotz aller Anerkennung der guten Absicht könne sie mir nicht danken; ich hätte ihr damals schlecht geraten, sie hätte auf keinen Fall aus dem Hause gehen dürfen.
Unterwegs wußte uns die immer lebhafte und lustige Anni zu beschäftigen und ließ keinen Trübsinn aufkommen. Die Zeit in Breslau war für alle schwer. Meine Mutter wollte den Wünschen ihres Schwiegersohnes nach Möglichkeit entgegenkommen. Else mußte einen Arzt konsultieren und zur Erholung fortgehen. Sie war einige Wochen im Riesengebirge und dann in Lublinitz; dort hatte sie ja ihre Kinderzeit verlebt, mit den Tanten verband sie herzliche Freundschaft. Schließlich erhielt sie die Erlaubnis, nach Hause zurückzukehren. Es ist kein zweiter solcher Konflikt vorgekommen, obgleich Else sicherlich nicht wesentlich verändert war. Etwas ängstlich war sie geworden und nahm sich in den Gesprächen zusammen. Und mit zunehmendem Alter wurden beide etwas ruhiger. Dazu kam, daß die heranwachsenden Töchter eine Stütze für die Mutter wurden und ihr ganzes Vertrauen besaßen. Außerdem zwang das Schwinden seiner Praxis meinen Schwager zur äußersten Genügsamkeit. Er mußte nun seiner Frau dankbar sein, daß sie mit fast nichts zu wirtschaften verstand und in früheren Zeiten etwas zurückgelegt hatte. Diese drückende wirtschaftliche Not und die immer schwankende Gesundheit meiner Schwester blieben eine dauernde Sorge für unsere Mutter, aber die schlimmste Krisis war in Hamburg überstanden.
4.
Einige Jahre vorher hatte sich die kurze Ehetragödie meiner Schwester Frieda abgespielt, und nicht lange nach Frieda hatte sich Arno verheiratet. Meine Mutter hatte zu seiner Eheschließung ausdrücklich ihre Zustimmung gegeben. Sie mochte Martha gern leiden, solange sie nur als Freundin ins Haus kam. Ihr fröhliches Wesen und ihre treue Anhänglichkeit an unsere ganze Familie machte sie uns allen lieb. Erst im nahen Zusammenleben ergaben sich aus der großen Verschiedenheit der Naturen viele Schwierigkeiten. Das geräumige Wohnhaus, das wir kurz nach Friedas Hochzeit bezogen hatten, war für zwei Familien gebaut; es war vertikal geteilt und hatte zwei Treppenhäuser. Arno und Martha wurden in dieses Haus mit aufgenommen. Eine Zeitlang bewohnten wir gemeinsam die größere Seite und hatten die kleinere vermietet. Später erhielt das junge Ehepaar die kleinere Seite für sich und meine Mutter mit ihren vier Töchtern und der kleinen Enkelin Erika die größere. Die Hoffnung, daß meine Schwägerin eine tüchtige Hilfe im Geschäft sein würde, erfüllte sich nicht. Die Art, Geschäfte zu betreiben, die sie in Amerika gelernt hatte, war von den Traditionen unseres Hauses so verschieden, daß meine Mutter sie bald am liebsten wieder ganz ferngehalten hätte. Ihre Hilfe beschränkte sich auch schließlich darauf, daß sie Gänge besorgte, für die gerade niemand Zeit hatte. Sie übernahm das immer gern, da das »shopping« eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen blieb. Ein dauernder Stein des Anstoßes war es für meine Mutter, die wenig geordnete Wirtschaftsführung täglich im eigenen Hause mitanzusehen. Natürlich vermehrten sich die Schwierigkeiten mit dem Anwachsen der Familie. Martha wünschte sich viele Kinder; groß, kräftig, gesund und schön sollten sie sein. Sie selbst war groß und stark und sah aus wie das blühende Leben.
Ihre Hoffnungen erfüllten sich nicht bald. Um so glücklicher war sie, als das erste Kind zu erwarten war. Sie versicherte uns beständig, es würden »twins« (Zwillinge) sein. Während der Entbindung waren wir alle im Nebenzimmer, und sie unterhielt sich durch die halb geöffnete Tür mit uns; als ihr schließlich der kleine Wolfgang gereicht wurde, fragte sie, wo das zweite Kind bliebe. Meine Mutter und ebenso der erfahrene Frauenarzt erklärten, daß ihnen so etwas noch nicht vorgekommen sei. Wolfgang war ein Kind, wie sie es sich gewünscht hatte, und ebenso Nummer 3 und 4, Helmut und Lotte: alle groß und kräftig, blond und blauäugig, rund und rotbäckig. Bei Eva aber, die an zweiter Stelle kam, stellte sich schon im ersten Jahr