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      Beate Eckhardts Haus war nicht groß, aber über alle Maßen gemütlich. Schon wenn man die helle, freundliche Diele betrat, spürte man den tiefen Frieden des Hauses und die Art seiner Bewohner.

      So erging es auch Nikolaus: Wie von einer tiefen Last befreit, atmete er auf und sah mit frohen Augen um sich.

      »So versunken, Nikolaus?« riß ihn Beates dunkle Stimme aus seinen Gedanken. Sie stand auf der obersten Stufe der gewundenen Treppe.

      Nikolaus lief ihr entgegen, sprang die letzten Stufen mit einem Satz empor.

      Heimlich forschend ruhte ihr Blick auf seinen festen, männlichen Zügen. Seine Augen schienen ihren Glanz verloren zu haben, und zwei scharfe Linien zogen sich herab bis zu den Mundwinkeln.

      »Du siehst nicht gut aus«, stellte sie besorgt fest.

      »Es war auch schlimm, was ich in der letzten Zeit erlebt habe.« Er sah sich suchend um, als müßte jeden Augenblick das zierliche Kind seines Bruders erscheinen. »Was macht Lorchen? Schläft sie noch?«

      Beate nickte, nahm seinen Arm und führte ihn in ihr Wohnzimmer.

      »Komm, Nikolaus, trink noch eine Tasse Kaffee mit mir, bis Lorchen aufgewacht ist. Du hast mir sicherlich allerhand zu erzählen.«

      »Stimmt, Tante Beate!« Mit einem verlorenen Lächeln ging er hinter ihr her auf den Balkon, wo ein netter Kaffeetisch hergerichtet war.

      Die Tante schob ihm einen Sessel zu und setzte sich ihm gegenüber.

      »Ich habe Petra Eckhardt gefunden«, stieß er unvermittelt hervor. »Sie liegt im Krankenhaus. Kannst du dir vorstellen, Tante Beate, daß eine Frau, die so schwer vom Unglück getroffen wurde, daß sie nun mit dem Tode ringt, schlecht sein soll – nicht würdig genug, Josts Erbe anzutreten?«

      »Nikolaus!« rief Beate entsetzt aus. »Du sprichst von Lorchens Mutter?«

      »Ja, von ihr.« Und nun berichtete er alles, was er wußte.

      Lange blieb es still zwischen ihnen, als Nikolaus geendet hatte.

      »Es geht um Petra Eckhardts Erbe, Nikolaus«, Beate raffte sich endlich aus innerer Erstarrung auf. »Du darfst nichts unversucht lassen. Man hat dich nicht zu ihr gelassen? Dann steht es schlimm um sie. Armes, armes Kind –« Sie warf einen Blick nach der Tür, hinter der sie Lorchen wußte. »Es ist ein herziges Geschöpf und scheint sehr mit Liebe verwöhnt worden zu sein. Die Mutter dieses Kindes ist gut, unbedingt gut und – würdig.«

      Ergriffen faßte Nikolaus über den Tisch nach der feinen, schlanken Hand Beates.

      »Ich danke dir, Tante Beate! Du weißt nicht, wie wohl mir deine Worte tun. Auch dein tatkräftiges, schnelles Eingreifen bewundere ich –«

      »Laß das, Nikolaus«, wehrte sie rauh ab. »Dafür gibt es nichts zu danken! Warum hast du nicht gleich an mich gedacht? Du bist ein Mann und in Kinderangelegenheiten viel zu

      unbeholfen. Was willst du mit dem Würmchen nun anfangen? Deine Mutter hat mir gestern ziemlich unverblümt empfohlen, ihr Haus nicht mehr zu betreten.«

      »Tante Beate!« Nikolaus fuhr erzürnt auf, aber Beate Eckhardt winkte ab.

      »Laß gut sein, Nikolaus; einmal mußte dieser Bruch ja kommen! Das soll uns aber nicht abhalten, unser herzliches Verhältnis zueinander weiterzupflegen.«

      Sie verstummte, da Nikolaus sich jäh erhoben hatte und an die Brüstung des Balkons getreten war. Die Hände auf das Geländer gestützt, sah er sinnend in die Weite.

      Langsam drehte er sich wieder um.

      »Wenn du das Kind solange bei dir behalten wolltest, Tante Beate, bis die Beerdigung vorüber ist, würdest du mich einer großen Sorge entheben. Trotzdem gebe ich heute noch eine Anzeige nach einer zuverlässigen Pflegerin auf.«

      »Damit machst du mir eine große Freude, Nikolaus«, entgegnete sie, und ihr etwas herbes Gesicht überflog in diesem Augenblick ein mütterliches Lächeln.

      *

      Es war gut, daß Nikolaus das Kind seines Bruders bei Tante Beate gut aufgehoben wußte.

      So gewann er seine Ruhe und Sicherheit wieder, um alles für die Beisetzung vorzubereiten. Sie erschienen alle, die Freunde und Bekannten der Eckhardts, um dem ältesten Sohn des Hauses die Ehre zu erweisen.

      Dann war auch das vorüber. Jost Eckhardt war zur letzten Ruhe gebracht worden.

      Als die meisten Trauergäste verschwunden waren, trat ein Mann hinter einem hohen Grabstein hervor. Er wagte noch nicht, näherzutreten; er wollte die einsame Frau nicht in ihrer Andacht stören, die noch am Grabe stand und ganz in ihren Schmerz versunken zu sein schien. Es war Beate Eckhardt.

      Jetzt wandte sie sich zum Gehen, das Gesicht von Tränen überschwemmt, und beinahe wäre sie über ein Hindernis gefallen, wenn Detlef Sprenger nicht rechtzeitig hinzugesprungen wäre.

      Sekundenlang stützte sie sich schwer auf seinen Arm. Sie hatte den Schleier zurückgeschlagen und schaute nun verlegen zu dem Mann empor. Etwas in dessen Augen drängte ihr die Frage auf die Lippen. »Wer sind Sie?«

      Detlef Sprengers Blick irrte ratlos zur Seite. Er ahnte, daß diese Frau zu den nächsten Verwandten Josts gehörte. Er wollte zu einer Ausrede greifen, aber es fiel ihm nichts ein. So preßte er fast gegen seinen Willen hervor: »Ich war ein Freund Josts.«

      »Sie waren Josts Freund?« wiederholte Beate mit bleichen Lippen, und zugleich durchzuckte sie ein Gefühl der Freude.

      »Dann müssen Sie mir von Jost erzählen. Bitte begleiten Sie mich in mein Heim!« bat sie, erneut mit aufsteigenden Tränen kämpfend. Noch immer hielt sie seinen Arm umschlungen und sah bittend zu ihm auf. »Nicht wahr, Sie werden einer alten Frau diese Freude machen?«

      Detlef Sprenger war es zumute, als presse eine eiskalte Faust ihm die Kehle zusammen, alles sträubte sich in ihm, der Frau zu folgen, die sicherlich alles wissen wollte, was Jost und Petra betraf. Aber es lag so viel gläubiges Vertrauen in den tränengefüllten Augen der Frau, daß er es ihr nicht abschlagen konnte.

      Beglückt ging Beate neben Detlef Sprenger dem Ausgang des Friedhofes zu. Nun würde sie alles, alles erfahren, was es über Petra Eckhardt zu erfahren gab.

      Sie ahnte nicht, daß sie einem Mann begegnet war, dessen einziges Trachten und Sinnen danach stand, Petra für sich zu gewinnen…

      *

      Sehr reich müssen die Eckhardts sein, ging es Detlef Sprenger durch den Kopf, als er Beate Eckhardts Wagen verlassen hatte und einen prüfenden Blick über das schöne Anwesen warf. Dann drehte er sich höflich um und half der alten Dame aus dem Wagen.

      »Bitte – treten Sie ein!« sagte sie.

      Detlef legte in der Garderobe ab und folgte dann der dunkelgekleideten Frauengestalt in das neben der Diele gelegene Zimmer. Ganz licht und hell war es darin, obschon sich jetzt der Himmel bezogen hatte und ein feiner Regen fiel.

      Als er sich setzte, hörte er es in seiner Seitentasche knistern: Regina Reuters Abschiedsbrief! Also war sie wirklich vor ihm geflohen.

      Er richtete sich etwas auf. Wie ein Abschluß seiner Gedanken war das. Nun war der Weg frei – ganz frei, und er sollte ihn zu Petra Eckhardt führen.

      »Darf ich ganz offen zu Ihnen sein?« hörte er die dunkle, schwingende Stimme Beate Eckhardts. Sprenger neigte den Kopf.

      »Sehen Sie«, begann Beate und sah an seinen unstet umhergleitenden Augen vorbei, »mein Bruder hat ein seltsames Testament hinterlassen, das heißt, seltsam war es nur für die, die enttäuscht waren. Das Testament sieht vor, daß die Angehörigen meines Neffen Jost nur dann erbberechtigt sind, wenn sie des Erbes auch würdig sind. Und die nächste, die in Betracht kommt, wäre seine Frau Petra.«

      Detlef Sprenger merkte auf. So also lagen die Dinge? Wenn er also gegen Petra aussagte, ginge sie des Erbes verlustig und wäre abhängig – von ihm?

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