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Raum.

      Frau Bettina, die sich bis dahin meisterhaft beherrscht hatte, brach in die Knie, preßte das zuckende Gesicht in die Decke. Ihre Schultern bebten wie im Krampf.

      Sie wußte nicht, wie lange sie so gelegen hatte, als sie sich emporgezogen fühlte und Fritz Hersfeld neben sich raunen hörte:

      »Angela wird leben!«

      Ungläubig sah sie den Arzt an, und als sie in seinen Augen Tränen gewahrte, brach sie in seinen Armen fast zusammen vor übermächtiger Freude.

      Er stützte sie und bestimmte:

      »Du mußt dich jetzt unbedingt hinlegen. Oder willst du, daß Angela dich krank findet, wenn sie zum erstenmal ohne Fieber ist und aus ihrem Genesungsschlummer erwacht?«

      Wortlos ließ sie sich von der Schwester in ihr Schlafzimmer führen. Sie zitterte so heftig, daß sie sich nicht einmal ausziehen konnte. Schwester Martha war ihr behilflich, und fast augenblicklich sank sie in einen todähnlichen Schlaf.

      Dr. Hersfeld fuhr nach einer Stunde völlig beruhigt in die Klinik, wo er dringend erwartet wurde.

      Die beiden Hausmädchen gaben ihren Lauscherposten an der Tür zum Krankenzimmer auf, seit sie wußten, daß das liebe Fräulein Angela gesund werden wurde.

      Udo Reimer aber, der skrupellose Vater, der nach seiner letzten Niederlage Angela nicht wieder abgeholt hatte, wußte nichts von dem grenzenlosen Herzeleid und der Todesgefahr, in die er sein Kind gebracht hatte.

      Er hatte es vorgezogen, vorübergehend aus München zu verschwinden und deshalb eine Einladung Kraners nur zu gern angenommen.

      Kraner ging ganz planmäßig vor. Er hatte gelernt und nach dem Zusammenstoß mit Reimer den Entschluß gefaßt, sich erst dessen Freundschaft wieder zu erlangen, ehe er um die Hand Angelas, deren liebliche Schönheit ihn bezaubert hatte, bat.

      Er war sehr hoffnungsvoll, und weil es ihm nur darum ging, Angela zu besitzen, saß ihm auch das Geld locker in der Tasche.

      Sie würden sich später gegenseitig nichts vorzuwerfen haben, rechnete Kraner, denn sie genossen das Leben in vollen Zügen.

      Reimer wurde dadurch nur noch mehr in seinem Vorhaben bestärkt: Nur durch Angela kam er für seine letzten Jahre noch einmal zu einem sorglosen, glanzvollen Leben.

      *

      Davon hatte Frau Bettina nicht die geringste Ahnung. Sie hatte auch nicht geforscht, was Angelas Krankheit verschuldet hatte, und als ihr Kind sie zum erstenmal wieder mit fieberfreien Augen anschaute, da genoß sie nur das unsagbare Glück, Angela wiederzuhaben.

      Nicht mit einem Wort rührte sie an das Geschehen, das Angelas seelischen Zusammenbruch herbeigeführt hatte. Und Angela schien sich vorläufig an nichts zu erinnern.

      Eines Nachmittags wurde Frau Bettina ein Besucher gemeldet – Dr. Kant.

      Ordentlich erleichtert fühlte sie sich, als sie Angelas Lehrer zum Platznehmen einlud. Nur von ihm konnte ihr die Aufklärung kommen, dachte sie, ohne zu wissen, daß es ihn zu dieser Aussprache hergetrieben hatte.

      »Sie dürfen Angela sehen«, forderte sie ihn auf.

      »Vorläufig gilt mein Besuch Ihnen, dann werde ich von Herzen gern Angela aufsuchen.«

      Überrascht beugte sich Bettina vor.

      »Mir?« Freudiges Rot stieg in ihre Wangen. »Darüber bin ich doppelt erfreut, Herr Doktor, somit ersparen Sie mir vielleicht unnötige Fragen. Wissen Sie, daß Angela nicht wieder in die Schule kommen will? Mit einer Heftigkeit, die mir an meinem Kind ganz fremd ist, wehrt sie sich dagegen, und«, sie lächelte etwas hilflos, »seit ich Angela mit dem Tod ringen sah, kenne ich nur noch mehr das Glück Angelas. Jedes Zureden regt das Mädel nur unnötig auf.«

      »Deshalb bin ich auch nicht gekommen«, knüpfte Dr. Kant an ihre letzten Worte an. »Angela ist ein in sich so gereifter Charakter, daß ein einmal gesagtes Wort bei ihr soviel gilt wie zehn bei anderen Mädchen ihres Altes. Ich möchte Ihnen zu dieser Tochter gratulieren.«

      Langsam war alle Farbe aus Bettinas Wangen gewichen.

      »Bitte, spannen Sie mich nicht länger auf die Folter!« bat sie tonlos. »Gerade über Angelas hartnäckige Weigerung zermartere ich mir nun schon so lange den Kopf, ohne einen Grund finden zu können. Ich glaube, ich habe mich immer weiter von der Wahrheit entfernt, anstatt mich ihr zu nähern.«

      Ein paar Minuten ließ Dr. Kant der so anziehenden Frau Zeit zur Sammlung, dann begann er seine Erzählung. Nichts verschwieg er, nichts von Angelas zerfahrenem, verwirrtem Wesen, nichts von dem häßlichen Benehmen ihrer Kameradinnen und nichts von dem schrecklichen Verdacht, der auf ihr gelastet hatte.

      Hier konnte Bettina nicht länger an sich halten.

      »Um – welchen – Verdacht handelt es sich denn eigentlich?«

      »Ihre Tochter war in recht zweifelhafter Gesellschaft gesehen worden«, antwortete er. »Ich selbst mußte Zeuge werden, wie Angela aus einem Weinlokal herausgestürzt kam.«

      Bettinas Hände fuhren ziellos in die Luft und sanken dann wieder kraftlos in den Schoß.

      »Meine Angela? Unmöglich!«

      »Doch, Frau Martens«, bekräftige Dr. Kant, und daß er einen in ihr vielleicht aufsteigenden Argwohn widerlegen konnte, erfüllte ihn mit Genugtuung. Er fühlte, was in diesem Mutterherzen, das ihr Kind rückhaltlos besaß, vor sich ging, und wie sie mit ihrer Liebe jeden rauhen Windzug von ihrem Kind ferngehalten hatte. Um so tiefer mußte der Gedanke sie treffen, die Tochter möglicherweise an irgendeinen Unwürdigen verloren zu haben.

      »Wer – wer hat mit meinem Kind ein so frevelhaftes Spiel getrieben, daß es mir wie tot vor die Füße sank?«

      »Ihr – Ihr früherer Gatte«, mußte er gestehen.

      Von Bettinas Augen fiel es wie Schuppen. Wir ruhig sie in den letzten Jahren geworden war und wie sehr sie sich in den letzten Jahren in Sicherheit vor Reimer gewiegt hatte! Ausgelöscht war er aus ihrem Denken, völlig ausgelöscht.

      Und Angela hatte dafür doppelt gelitten! Reimer hatte sie geschont und dafür ihr Kind so schrecklich gequält, daß es daran beinahe zerbrochen wäre.

      »Bitte lassen Sie mich ein paar Minuten allein!« bat sie nach einer Weile herzlich. »Das Mädchen führt Sie zu Angela. Ich – ich kann meinem Kind unmöglich in diesem Zustand gegenübertreten. Lassen Sie mich Ihnen vorerst aber danken für Ihre Offenheit! Jetzt, wo ich klarsehe, bin ich viel ruhiger als vordem. Ich werde mein Kind künftig zu schützen wissen.«

      Bettinas Mund war plötzlich herb geschlossen. In den sonst so gütigen Augen glühte ein düsteres Feuer.

      Nichts als kämpfende Mutter war sie.

      Beruhigt stieg Dr. Kant hinauf in Angelas Stübchen und trat nach einem kurzen Anklopfen ein.

      Von dem einst so hübschen Mädchen war nur noch ein Schatten übriggeblieben, wie er erschrocken feststellte. Als sich aber bei seinem Anblick ihr Gesicht mit strahlender Freude übergoß, da war es wieder das alte, liebliche Mädchengesicht von einst.

      Beide Hände streckte sie ihm entgegen, die er warm umschloß, und dann nahm er den Platz ein, den sie ihm neben ihrem Lager anwies.

      Eine Weile war es still zwischen ihnen. Vielleicht zog die letzte Unterrichtsstunde noch einmal an ihrem geistigen Auge vorüber, vielleicht war es auch leichte Verlegenheit, als er daran dachte, daß er Angelas Geheimnis so schlecht gewahrt hatte.

      In vorsichtigen Worten setzte er ihr die Gründe für das Preisgeben ihres Geheimnisses auseinander, und waren Angelas Augen zuerst schreckhaft geweitet, so verlor sich nach und nach ihr lähmendes Entsetzen.

      Mit geschlossenen Augen lag sie in den Kissen, so kraftlos und matt, daß er kaum zu atmen wagte.

      »Und – und wie hat Mutti es aufgenommen«, fragte sie nach einer Pause, die Dr. Kant endlos dünkte und die er nur zu willig

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