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Frau Bettinas Mund zuckte es bitter. Sie setzte sich.

      »Wenn es dir leid tut, warum hast du es dann getan?« fragte sie, voll Schmerz empfindend, daß Angela ihr auszuweichen versuchte.

      Angela ließ sich vor der Mutter niedersinken und legte ihr heißes Gesicht auf ihre kühlen Hände.

      »Glaube nichts Schlechtes von mir, Mutti«, stieß sie, in bitterliches Weinen ausbrechend, hervor. »Hab mich weiterhin lieb, Mutti! Ich – ich…«

      Sie brach jäh ab, und Bettina vollendete den Satz nach ihrem Gefühl: Ich werde dich nie wieder belügen.

      Wohin war es mit Angela gekommen, daß sie so bitterlich weinen konnte? Wo war das schöne, offene Verhältnis geblieben? Warum meinte sie, ihre Liebe verloren zu haben? Und warum sprach sie sich dennoch nicht aus?

      Das hilflose Weinen schnitt ihr tief ins Herz, so daß sie nicht weiter in Angela drang.

      »Natürlich werde ich dich immer liebbehalten, Angela. Welche Mutter würde wohl ihr Kind aus ihrem Herzen verstoßen, selbst wenn es etwas Schlechtes begangen hätte!«

      Nein! Nein! wollte Angela in unsagbarer Pein aufschluchzen, – aber – war eine Lüge etwa nichts Schlechtes?

      Sie wußte nun, daß sie der Mutter Liebe niemals verlieren konnte, aber deshalb wurde die Last nicht kleiner, die sie trug.

      Sprechen durfte sie nicht, dessen war sie sich bewußt. Sie sah voll Grauen in die Zukunft. Wie lange würde sie das in aller Heimlichkeit mit sich herumschleppen können?

      Sie war den ganzen Tag aufmerksam und liebevoll um die Mutter bemüht, aber ein Alleinsein mit ihr mied sie. Das war es wiederum, was Bettina leiden ließ.

      Angela hatte das Vertrauen zu ihr verloren.

      Sie spürte, wie Angela ihr entglitt und daß sie zusehen mußte, wie das geschah, ließ ihr Herz in Sorge und Kummer erzittern.

      Selbst als Angela sich frühzeitig in ihr Zimmer zurückgezogen hatte, fand Frau Bettina keine Ruhe, und als später Dr. Hersfeld sein Haus betrat, was er in letzter Zeit immer seltener getan hatte, da ihn viel Arbeit in seiner Klinik festhielt, so daß er auch die Nächte meist dort verbrachte, stieg sie entschlossen ins Erdgeschoß hinab und klopfte.

      Erfreut drehte er sich ihr zu.

      »Grüß Gott, Bettina!« Er drückte ihr warm und herzlich die Hand und maß sie mit einem erstaunten Blick. Ihr ernstes Gesicht fiel ihm sofort auf.

      »Nur um abzurechnen, bist du sicherlich nicht gekommen«, sagte er und schob ihr einen Sessel hin.

      Müde ließ sie sich darin nieder und nickte.

      »Mein Wirtschaftsbuch liegt auf meinem Schreibtisch zur Prüfung bereit«, meinte sie mit einem schwachen Lächeln, da er aber sofort abwinkte, fuhr sie sogleich fort: »Es handelt sich um Angela, die mir Sorge macht.«

      »Angela?«

      Und nun berichtete sie, welche Gedanken sie sich gemacht hatte.

      Als sie geendet hatte, lachte er herzlich zu ihr auf.

      »Ich glaube, du siehst zu schwarz, Bettina«, tröstete er sie. »Was soll ein so junges Ding schon für große Geheimnisse vor der Mutter haben? Vielleicht eine kleine Liebesgeschichte?«

      »Aber das müßte Angela mir doch erst recht sagen!« klagte Bettina in jäher Mutlosigkeit.

      »Die Zeit wird auch noch kommen, Bettina«, nahm er ihr alle Zweifel. »Angela steht in der Entwicklung, nicht nur körperlich, auch seelisch. Auch an Krankheit kann ich nicht glauben. Wenn es dich aber beruhigt, will ich mir das Mädel gelegentlich einmal vornehmen. Vier Augen sehen natürlich mehr als zwei.«

      »Ja, bitte«, meinte sie dankbar und fühlte sich um einiges erleichtert.

      Sie saßen noch eine Weile plaudernd zusammen und diesmal war der Gegenstand ihrer Unterhaltung der kleine Klaus, der zu einem süßen, putzigen Kerlchen heranwuchs.

      »Einen Blick will ich wenigstens auf meinen Jungen werfen«, meinte Dr. Hersfeld, ehe sie sich trennten.

      Nach dieser Unterredung, die ihr tatsächlich etwas von der Last genommen hatte, fand Bettina auch ihren Schlaf wieder.

      *

      Schweren Herzens trat Angela den Weg in die Schule an. Etwas tröstete sie: der Gedanke, daß Susanne heute wieder da war.

      Angela hatte das Gefühl, als schwebe etwas Schreckliches über ihrem Haupt, was sich jeden Augenblick entladen könne.

      Sie war früher an Ort und Stelle als Susanne und da sie annahm, daß diese bereits im Schulzimmer war, ging sie zögernd hinter den anderen her, die sie scheu grüßten.

      Wie eine Ausgestoßene kam sich Angela vor, und das erweckte ihren Stolz und ihren Trotz von neuem.

      Keiner beachtete sie. Und Angela mußte wiederum feststellen, daß sich alles um Inge Ahnert zusammengerottet hatte.

      Es war kein gutes Lächeln, das um Angelas Mund spielte, als sie es gewahrte. Sie sehnte mit ganzer Kraft Susanne herbei, nur damit sie sich nicht mehr so vereinsamt zu fühlen brauchte.

      Fast zuletzt kam Susanne Poller. Sie wurde mit einem so großen Hallo empfangen, daß Angela glaubte, man wollte nur sie damit kränken.

      Susanne konnte sich der vielen Hände kaum erwehren, die sich ihr entgegenstreckten, und war ein wenig gerührt darüber.

      Am meisten strahlte ihr liebes Gesicht aber auf, als Angela ihr beide Hände entgegenhielt und sie mit merkwürdig feuchten Augen in die Bank zog.

      »Ich bin ja so froh, daß du wieder da bist!« bekannte sie der Freundin leise, und diese lachte froh auf.

      »Wenn du wüßtest, wie du das eben gesagt hast!« entgegnete sie und packte ihre Sachen aus. Dabei fiel ihr Blick auf die andern, die wie Soldaten um Inge Ahnert herumstanden und eigentümlich forschend zu ihr und Angela herüberblickten.

      Mit einem Ruck schwang sie sich auf die Bank.

      »Was ist denn los bei euch?«

      Sie fühlte die vielen Augenpaare teils erschrocken, teils lächelnd, teils empört auf sich ruhen – aber eine Antwort wurde ihr nicht erteilt.

      In Susanne stieg grenzenlose Wut auf. Sie griff zu dem elastischen Lineal und hieb wütend damit auf die Bank.

      »Wenn jetzt nicht sofort eine von euch den Mut zum Reden findet, melde ich den Vorgang Dr. Kant – verstanden? Inge, du schwingst doch sonst die große Lippe. Dir brennt es doch sicherlich schon auf der Zunge.«

      »Natürlich«, fuhr diese gekränkt auf, da sie leises Kichern gehört hatte. »Du sollst es auch wissen, weil du dich so großartig als die Unwissende aufspielen kannst. Wir sind empört über Angela Martens. Dauernd wird sie uns als leuchtendes Beispiel hingestellt, so daß wir aus dem moralischen Katzenjammer nicht herauskommen, und dabei entpuppt sie sich als ein minderwertiges Geschöpf, das wir nicht mehr in unserer Mitte dulden wollen. Sie läßt sich von einem bekannten Lebemann von der Schule abholen und geht mit ihm spazieren und ins Kaffeehaus. Gestern ließ sie sich sogar im geschlossenen Wagen abholen und in ein Weinlokal führen…«

      Weiter kam sie nicht, denn empört hatte Susanne ihren Radiergummi durch die Luft direkt nach Inges Kopf sausen lassen. Aber diese duckte sich schnell und lachte dann gereizt auf.

      »Selbstverständlich hältst du uns für Lügner«, sprudelte sie mit hochrotem Gesicht heraus, »was wir auch gar nicht anders von dir erwartet haben.«

      »Kein Wort glaube ich euch«, empörte sich Susanne. Dabei legte sie den Arm um Angelas Schultern, die verräterisch zuckten.

      Sekundenlang hatte sie das Gefühl, daß Angela energisch hätte aufspringen und die Sprecherin der Lüge zeihen müssen. Aber sofort ließ sie den Gedanken fallen. Angela war viel zu stolz, sich gegen solche Angriffe zu wehren.

      Trotzdem

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