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barsch.

      „Ja, und? Hafer ist auch Pferdefutter und wir Menschen essen es.“ Tissa hatte den Becher abgestellt, unter ihrem dunklen Teint hatte ihre Gesichtshaut eine käsige Farbe angenommen.

      „Ist dir nicht gut?“, fragte ich scheinheilig.

      „Mir? Wieso? Nein, mit mir ist alles in Ordnung“ sagte sie. „Welches Futter gebt ihr eigentlich Fango?“

      „Das Plus, glaube ich.“

      Für einen Augenblick sah ich Tissa taumeln und dachte, sie würde stürzen. Doch dann fing sie sich wieder. Wie sie es geschafft hatte, den Skorpionbecher so zu balancieren, dass sie keinen Tropfen verschüttete, war mir schleierhaft.

      „Zeig mir mal den Sack, ja?“, sagte sie. Ich tat ihr den Gefallen und ging einen Schritt zu Seite.

      „Es ist das normale.“ Sie schien erleichtert, warum wusste nur sie oder der Teufel. Elan hatte angeblich auch nur das „normale“ Futter bekommen und nun lag er steif und kalt unter der Plane und wartete auf den Abdecker. Jetzt war ich mir fast sicher, dass das Zeug giftig war. Ach was, giftig! Hochgiftig sogar!

      Ich schüttelte mich, weil ich gerade ein unheimliches Rumoren in meinen Eingeweiden spürte. Natürlich hatte ich die Körner vorsichtshalber nicht zerkaut und schon gar nicht runtergeschluckt, aber was, wenn zum Beispiel ein Stück Mutterkorn darunter gewesen wäre, von denen schon winzige Partikel reichten, um einen Menschen zu töten, oder ein paar getrocknete Hyazinthenblätter? Harmlos waren die ebenfalls nicht. Sie enthielten Oxalsäure und Saponine, die, wie ich bei Wikipedia gelesen hatte, Schleimhautreizungen verursachten, und das bedeutete, Mensch und Tier wurde es schlecht, ziemlich schlecht sogar. Vera, hör auf, Horrorszenarien zu entwerfen, rief ich mich zur Ordnung. Das Kommando wirkte, ich atmete durch und meine Gedanken kamen wieder auf die Reihe, einer hinter dem anderen. Tissa hatte sich selbst entlarvt, das reichte. Jetzt musste ich nur noch wissen, wo dieses Wunderfutter produziert wurde und wer dahintersteckte und wenn ich erst einmal die Laboranalyse von Doktor Abnemer in der Hand hätte, würde ich … sie ins Gefängnis bringen, vollendete ich meinen Gedanken. Aber so weit waren wir noch nicht! Ich musste Schritt für Schritt vorgehen und fragte Tissa ganz direkt: „Wo wird eigentlich dein Futter produziert?“

      „Schau einfach auf den Sack“, sagte Tissa schnippisch und ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. „Da steht alles drauf. Brauchst du eine Brille?“

      Die brauchte ich wirklich, denn so sehr ich mich bemühte, ich konnte einfach kein Kleingedrucktes erkennen. Sie trickst, dachte ich, vor Tissa musste ich mich in Acht nehmen.

      Morgens gegen zehn Uhr kamen nie Kunden ins Reisebüro und ich konnte mich in Ruhe mit dem kryptischen Inhalt meines Horoskopes beschäftigen. Schon allein die Ausdrücke waren mir fremd. Saturnrevolution?

      Ich zerfurchte meine Stirn, aber nicht einmal ein Klick auf Wikipedia half mir weiter. Saturn braucht sieben Jahre auf seiner Umlaufbahn. Nach vier mal sieben Jahren steht er wieder da, wo er bei deiner Geburt gestanden hat. Das nennt man die Wiederkehr oder eben die Saturnrevolution, erfuhr ich dort.

      Während ich las, hörte ich unser altes Faxgerät rattern. Mit feuchten Fingern zog ich das Blatt heraus, das Schreiben war an mich gerichtet, das sah ich sofort. Iris hatte es mir weitergeleitet, es kam von Claire, die sich bei mir wegen ihrer Vergesslichkeit entschuldigte. In ihrer ersten Sendung an mich habe die Erklärung gefehlt, die ich unbedingt brauchte, um mein Horoskop richtig zu verstehen. Ein Blick genügte, um mich kribbelig vor Neugier zu machen.

      „Saturnrevolution. Sei achtsam und vorsichtig. Deine körperlichen Grenzen werden überschritten. Dein Freund trennt sich von dir, oder du musst eine alte Last abwerfen, um den idealen Partner zu finden.“

      Ganz unten auf der Seite stand in einer steilen, altmodischen Handschrift: „Chère Madame Vera! Es sind nur Möglichkeiten, Beispiele, die so nicht eintreffen müssen. Zur Erklärung: Ein Horoskop stellt die Urkräfte dar, die seit Ihrer Geburt auf Sie einwirken. Wenn Sie diese Kräfte kennen, können Sie Klarheit in Ihrem Leben erlangen. Ich wünsche Ihnen Glück und Kraft auf Ihrer Reise, cordialement, Claire, und ich bitte Sie noch einmal, mir mein Versehen zu verzeihen.“

      Enttäuscht ließ ich das Schreiben sinken und zog meinen Drehstuhl heran. War ich jetzt schlauer? Was sollte ich mir unter diesen Urkräften vorstellen? Die gutgemeinten Erläuterungen trugen eher zu meiner noch größeren Verwirrung bei, keiner der Ratschläge traf auf mich zu. Körperliche Grenzen? – Davon konnte bei mir wirklich keine Rede sein! Ich ritt ja nur noch zwei bis dreimal die Woche und die Stallarbeit warf mich auch nicht um. Und warum sollte sich mein Freund von mir trennen? War da etwa Gerson gemeint?

      Ich hielt einen Augenblick inne und betrachtete die Kinoreklame auf der anderen Seite der Brückenstraße. In der Spätvorstellung zeigten sie wieder Stranger than Paradies und Down by Law von Jim Jarmusch, tolle Filme, die ich mir vor ein paar Jahren mit Gerson zusammen angeschaut hatte. Wie lange war das schon her! Seit wir Fango übernommen hatten, waren wir kein einziges Mal mehr zusammen im Kino gewesen, hatten nichts mehr Schönes gekocht und kaum Zeit für vertraute Gespräche gehabt, geschweige denn, dass wir mit unseren Freunden zum Schwofen in die Nachtschicht gegangen wären.

      Aber hatte das alles wirklich nur mit Fango zu tun? Nein, ich musste es mir eingestehen: Kinofilme, Essen kochen, zusammen auf dem Sofa liegen und Musik hören, all das hatte aufgehört, als meine Geschichte mit Luis angefangen hatte. Und als der vermeintliche Pferdemann und Elitereiter wieder aus meinem Leben verschwunden war, hatte er Fango unversorgt auf dem Leierhof zurückgelassen. Tom hatte Fango schon im Internet zum Verkauf anbieten wollen, als Gerson aktiv geworden war: „Ich zahle die Hälfte der Boxenmiete, wenn du für den Beritt sorgst, Vera“.

      Er war unglaublich großzügig gewesen und möglicherweise war mir meine Liebelei mit Luis deshalb so peinlich. Manchmal argwöhnte ich, dass Gerson und ich Betriebsamkeit vortäuschten, um unsere gegenseitige Entfremdung voreinander zu verbergen. Auf einmal sah ich das Horoskop in einem anderen Licht; Tränen traten in meine Augen und unter der Traurigkeit blitzte eine jähe Angst auf. Die Angst, Gerson für immer zu verlieren.

      „Führst du das Reisebüro inzwischen allein?“, fragte mich Gerson am dritten Tag nach Massimos Abreise.

      „Ich habe es ihm doch versprochen! Ich glaube, Massimo ist nach Norwegen gejettet. Er hätte sich ja mal melden können! Wenn er morgen nicht anruft und sagt, wo er steckt …“, ich konnte auf einmal nicht weitersprechen.

      „… dann musst du endlich was unternehmen!“, ergänzte Gerson.

      „Das sagst du so einfach. Keine Ahnung, wen ich nach ihm fragen könnte. Du kennst doch Massimo, er lebt allein. Und in den Stall kommt er auch nicht mehr. Sein Pferd hat er vor einem Jahr verkauft, als das Geschäft schlecht ging und er die Pferdehaarallergie bekam.“

      Nach diesem Gespräch machte ich mich mit düsteren Vorahnungen auf den Weg zur Arbeit. An der Straßenecke knurrte mich ein struppiger Kläffer ohne Halsband an und folgte mir knurrend bis zur nächsten Kreuzung. Ich versuchte, ihn nicht zu beachten, nach ein paar Minuten hatte meine Taktik Erfolg und der Köter blieb zurück. Doch mein dumpfes Gefühl verdichtete sich zu der Ahnung, dass gleich etwas Schreckliches geschehen würde, und diese Ahnung verstärkte sich, je näher ich unserem Reisebüro kam. Vielleicht war Massimo zurück und würde mir eröffnen, dass er den Laden verkauft hätte, und dass ich nicht mehr auf eine neue Anstellung hoffen könnte? Möglicherweise litt er an einer unheilbaren Krankheit und wollte noch alles regeln, bevor er in die ewigen Jagdgründe einginge?

      Und dann stand ich vor unserem Laden und sah es. Die ganze linke Seite des Büroschaufensters

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