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halb offenstand und seiner ausgebeulten schwarzen Jeans sah er wie das Klischee eines Fernsehkommissars aus und seine Halbglatze deutete auf einen Mittfünfziger hin. Die Frau schätzte ich auf mein Alter, Anfang dreißig. Sie trug enge Jeans und ein gutsitzendes olivgrünes T-Shirt mit V-Ausschnitt. Sie hatte ihr schulterlanges, blondes Haar zu vielen verfilzten Rastazöpfen geflochten und zu einem dicken Pferdeschwanz zusammengebunden. An der Außenseite ihrer linken Ohrmuschel glänzten vier silberne Stecker. Sie gibt bestimmt Hip-Hop-Kurse in der Jugendstrafanstalt, dachte ich und die Kids tun alles, um so lange wie möglich drin zu bleiben. Er gab mir die Hand. „Kripo Heidelberg. Vera Roth, nehme ich an?“

      Der Kommissar hatte einen zupackenden Händedruck, und ich war froh, als er meine Hand losließ und ich meine Finger unauffällig wieder in Form schütteln konnte.

      „Wir haben ein paar Fragen an Sie“, sagte der Kommissar. „Wo können wir ein paar Worte reden?“

      Tom deutete auf das Reiterstübchen. „Es ist zwar nicht geheizt, aber dafür seid ihr dort ungestört.“

      Mein Herz klopfte bis zum Hals. Iris nahm mir Fangos Zügel aus der Hand.

      „Vielleicht will Tissa wieder reiten“, sagte sie. „Dann muss er nicht gesattelt rumstehen. Komm nach, wenn du hier fertig bist, Vera.“

      Tissa hatte Fango also tatsächlich geritten, dachte ich ärgerlich, aber ich war froh, dass Iris ihr heute dabei zuschauen würde. Dann konnte sie sich selbst ein Urteil bilden. Iris würde mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg halten, wenn sie etwas auszusetzen hatte und ich musste mir nicht die Zunge verbrennen.

      Tom hielt die Tür zum Reiterstübchen auf, wo es kühl und ziemlich duster war. Niemand knipste das Licht an. Meine warme Jacke hing im Spind, aber ich traute mich nicht, sie zu holen; die feuchte Kühle kroch mir unters T-Shirt und ich verschränkte meine Arme vor der Brust. Noch während ich unschlüssig am Tisch stand, fingen die beiden an, meine Personalien aufzunehmen.

      „Wollen Sie sich nicht setzen?“, fragte der Kommissar; Tom rückte mir einen Stuhl heran. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, er schien zu schwitzen, obwohl es in dem Raum immer eisiger wurde.

      Die Kommissarin ließ ihren Kuli auf das Formular fallen und schaute mich durchdringend an. „Sie sind die Angestellte von Massimo Auditi, seine einzige, wie wir wissen. Wir müssen Ihnen mitteilen, dass Ihr Chef heute Morgen auf der Raststätte Bruchsal in seinem Wagen tot aufgefunden wurde. Frau Roth, wo waren Sie in den letzten drei Tagen?“

      Wie? Massimo war tot? Mein Chef Massimo? Ich schluckte. Eiseskälte kroch von meinen Zehenspitzen über die Beine bis in meinen Bauch.

      „Warum?“ Mehr brachte ich nicht heraus. Warum Massimo tot war, hatte ich wissen wollen, doch die Beamtin verstand meine Frage vollkommen falsch.

      „Haben Sie ein Alibi?“

      „Um Gotteswillen, es war doch nicht etwa Mord?“

      „Das wissen wir nicht. Also, wo waren Sie?“

      Ich brauchte nicht lange zu überlegen. „Nichts Besonderes, ich war die ganze Zeit im Büro und ein paar Mal im Stall und abends habe ich mich mit meinem Freund gestritten.“

      „Worüber?“

      „Wie bitte?

      „Worüber Sie sich mit Ihrem Freund gestritten haben? Würden Sie uns bitte seinen Namen sagen?“

      „Gerson King“, sagte ich missmutig. „Wir streiten uns darüber, wer den Abwasch macht. Er will einfach keine Spülmaschine kaufen.“ Der Scherz war ein bisschen abgeschmackt, kein Wunder, dass niemand darauf einging.

      „Was haben Sie im Reisebüro gemacht? Hat Ihnen Ihr Chef gesagt, was er vorhatte?“

      Ich schloss für einen Moment die Augen. Da war der unheimliche Einbruch und dann kam die Mistattacke. Aber Massimo hätte mit der Polizei darüber nicht reden wollen und es wäre unfair gewesen, wenn ich jetzt davon angefangen hätte. Und da war diese E-Mail auf Massimos PC. Und er hatte irgendetwas wegen seiner Finanzen regeln müssen.

      „Hallo?“ Die Polizistin stieß mich an der Schulter an. Hätte sie mich doch in Ruhe nachdenken lassen, irgendetwas war gerade dabei, die Schwelle meines Bewusstseins zu überschreiten, eine schwarze Kugel oder ein zusammengeknülltes Papier, aber jetzt war es weg, für immer möglicherweise.

      „Herr Auditi war Reiter?“

      „Er hatte zwei Pferde, aber vor einem Jahr musste er sie verkaufen“, sagte ich.

      „Warum?“

      „Weil er eine Pferdhaarallergie hatte, er konnte nur noch ausreiten. An der frischen Luft war der Husten nicht so schlimm.“

      „Und sein Geschäft? Wie lief das Geschäft?“

      „In letzter Zeit wieder besser. Er wollte ein neues Reiseland erschließen – Norwegen, wegen der frischen Luft, wissen Sie.“ Für Norwegen interessierte sich die Polizistin nicht, das merkte ich sofort.

      „Wie lange war Herr Auditi schon im Reisegeschäft tätig?“, wollte sie wissen.

      „Als ich ihn kennenlernte, hatte er das Büro gerade aufgemacht“, sagte ich.

      „Und davor – wo hat er gearbeitet?“

      „Keine Ahnung, da kannte ich ihn doch noch gar nicht.“ Es stimmte wirklich, über Massimos Vergangenheit wusste ich so gut wie nichts, er hatte mir nichts erzählt und ich hatte ihn nie nach seinem Vorleben ausgefragt. Ich arbeitete schon drei Jahre lang mit Massimo Auditi zusammen und musste mir auf einmal eingestehen, dass ich ihn so gut wie nicht kannte.

      „Fällt Ihnen sonst noch etwas ein?“

      „Ja, er hat mir gesagt, er müsse etwas mit seinen Finanzen regeln.“

      „Wann?“

      „Na, bevor er verschwunden ist.“

      „Haben Sie sich nicht gewundert, dass er drei, vier Tage lang nicht auftauchte?“

      „Doch, natürlich.“

      „Und warum haben Sie nicht die Polizei verständigt?“

      „Es war mir nicht geheuer, das schon. Aber es kam öfter vor, dass Massimo eine Dienstreise machte. Außerdem war ja auch noch Wochenende. Und ich hatte ziemlich viel privaten Kram um die Ohren. Heute habe ich meine Arbeit erledigt und bin dann schnell in den Stall gefahren, weil mir mein Pferd gebracht wurde. Wenn er morgen nicht gekommen wäre, hätte ich …“

      Eigentlich wollte ich noch erzählen, dass ich mich im Reitsportgeschäft Vordermann nach ihm erkundigt hatte, doch die blonde Polizistin mit dem Filzkopf unterbrach mich schon wieder: „Wenn ich Sie recht verstehe – Ihr Pferd war Ihnen wichtiger als das Verschwinden Ihres Chefs?“

      Diese Logik erschien mir ziemlich spitzfindig. Was hätte ich dazu sagen sollen? Ich zuckte wortlos die Achseln. „Ich wusste ja nicht, dass er verschwunden ist!“, versuchte ich mich zu rechtfertigen.

      „Schon gut! Können Sie sich an irgendjemanden erinnern, der in das Reisebüro kam?“

      „Ein paar italienische Kunden. Und …“

      „Was und?“

      „Nein, nichts.“ Der Green-Orange-Man, lag auf der Zunge, Hansi Helm. Nein, lieber nicht! Warum sollte ich ihn anschwärzen? Der Banker hatte bestimmt nichts mit Massimos Verschwinden zu tun und ich wollte es mit ihm nicht verderben. Gerade jetzt nicht; wo ich so knapp bei Kasse war, vielleicht konnte ich seine Hilfe noch einmal brauchen. Aber vielleicht interessierten sich die beiden für die E-Mail, mit der sich Massimo mit einem Kunden verabredet hatte? Doch gerade als ich davon anfangen wollte, standen die Polizisten auf.

      „So, das wär’s für heute. Möglich, dass wir Sie noch einmal interviewen müssen. Halten Sie sich bitte bereit. Und noch etwas: Wir müssen demnächst das Reisebüro versiegeln, Sie können Ihre privaten Sachen

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