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      Noch bevor ich am Abend meine Hiobsbotschaft loswerden konnte, wedelte mir Gerson mit einem Blatt Papier unter der Nase herum.

      „Du bekommst merkwürdige Post“, sagte er. Alarmiert nahm ich ihm den Umschlag aus der Hand. Adresse und Absender waren mit der Hand geschrieben, die Marke kam aus der Schweiz, der Absender hatte den Brief nicht richtig zugeklebt, so dass das Schreiben beinah herausgefallen wäre.

      „Hast du es etwa gelesen?“, fragte ich.

      Gerson nickte. „Nichts Besonderes, jemand muss dich auf einen Esoterik-Verteiler gesetzt haben! Wie du da drauf kommst, ist mir ein Rätsel.“

      Aufgeregt zog ich das Blatt aus dem Umschlag. Im Stehen überflog ich das sauber mit Schreibmaschine getippte Schreiben. Nein, Reklame war das nicht, unter der Überschrift „Saturnrevolution“, ging es rätselhaft weiter: „Saturn setzt Grenzen in deinem Leben. Sei wachsam und vorsichtig.“ Und darunter stand kleingeschrieben: „Das Horoskop ist für den ganzen Monat Mai gültig.“ Das war alles. Und eine Rechnung über 50 Euro lag auch dabei.

      „Der Brief ist von Claire! Sie ist die Nachbarin von Iris in Montmirail im Schweizer Jura, sie hat mir ein Horoskop gestellt.“

      Gerson sah mich ungläubig an. „Einfach so? Du hast es doch bestimmt bei ihr bestellt! Vera! Bist du vollkommen durchgedreht? 50 Euro für drei Zeilen!“

      Ich ließ mich aufs Sofa fallen. „Saturnrevolution – was um Himmelswillen soll das denn bedeuten?“

      Ich starrte auf den Brief und buchstabierte alles noch einmal von vorne, ohne hinter den Sinn zu kommen.

      „Die Rechnung musst du bezahlen, das heißt es!“, sagte Gerson und setzte hinzu: „Für 50 Euro bekommst du locker zwei Säcke Bio-Dyn-Horse-Feed!“

      „Was?“

      „Tissa Krell hat ein biologisches Futtermittel entwickelt. Du musst sie unbedingt mal kennenlernen.“

      „Tissa kenne ich schon! Wie heißt das Zeug, sagst du?“

      „Bio-Dyn-Horse-Feed“, sagte Gerson und betonte jede einzelne Silbe. „Die Koliken im Stall – die liegen an Toms Futter, sagt Tissa. Gestern musste wieder ein Pferd in die Klinik gebracht werden. Jeden Tag drei Schippen voll Hafer und dann noch Pellets, das Heu nicht mit gerechnet. Auf dem Leierhof haben einige das Futter schon ganz umgestellt.“

      Obwohl mir der Sinn nicht nach einer Diskussion über die Vor- und Nachteile von biodynamischen Pferdefutter stand, war ich froh, dass Gerson sich so leicht ablenken ließ. Mir wäre es peinlich gewesen, wenn er noch länger auf dem leidigen Thema „Horoskop und seine Kosten“ herumgeritten wäre.

      „Gerson?“

      „Was ist los mit dir Vera, du siehst vollkommen fertig aus!“

      Er hat ziemlich lange gebraucht, bis er es gemerkt hat, dachte ich und schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter.

      „Massimo hat mir gekündigt“, sagte ich leise.

      Gerson warf mir einen mitleidigen Blick zu. „Oh, das tut mir leid! Aber mach dir keine Sorgen, du findest bestimmt bald wieder einen Job! Vielleicht endlich einmal einen, der wirklich deinen Fähigkeiten entspricht.“

      Ich schaute ihn ausdruckslos an und wusste nicht, was ich sagen sollte. War das alles, was Gerson zu meinem Unglück einfiel?

      „Ach, bevor ich es vergesse“, fuhr Gerson fort, „morgen muss ich früh raus, auf Foto-Tour. Ich habe schon einen Sack Bio-Dyn gekauft. Wir füttern eine Schippe voll, ich habe Tom bereits informiert.“

      „Wen meinst du eigentlich mit wir?“, fragte ich. In meinen Fingerspitzen kribbelte es so stark, dass ich immer wieder eine Faust ballen musste, ohne dass das Kribbeln aufhörte.

      „Tissa und ich“, sagte er „und du natürlich auch“, setzte er gerade noch rechtzeitig hinzu.

      Ich schluckte; irgendetwas stimmte nicht zwischen Gerson und mir, für ihn gab es auf einmal nur noch Fango und ich zählte überhaupt nicht mehr. Oder war es Tissa, die ihm den Kopf verdrehte? Seit sie sich in unser Leben einmischte, war ich ihm ziemlich gleichgültig geworden. Auf einmal wusste ich, warum ich meine Stute so sehr vermisste. Nine war meine Freundin, die einzige, die mir auf dieser Welt geblieben war. Und Nine und ich, wir würden bald wieder beisammen sein.

      Im Halbschlaf tastete ich am nächsten Morgen nach Gerson, aber seine Seite des Bettes war kalt. Im Zimmer war es stockdunkel, weil der Rollladen heruntergelassen war. Ich rieb mir den Sand aus den Augen und streckte meine Hand noch einmal aus: Sein Bett war leer und in der ersten Schrecksekunde dachte ich: Gerson war auf und davon, er hat mich verlassen! Er ist zu dieser Tissa und hat sich ohne ein Wort im Morgengrauen aus dem Haus geschlichen. Am liebsten hätte ich mir die Decke über den Kopf gezogen und mich in einen traumlosen Schlaf gebeamt, so lange bis Gerson mich mit einem Kuss geweckt hätte.

      Ich quälte mich aus den Kissen, tastete mich zum Fenster und zog den knarrenden Rollladen nach oben. Die Sonne stach mir in die Augen und ich musste blinzeln. In diesem Augenblick fiel mir ein, dass Gerson sehr früh aufstehen wollte, um Fotos vom Heidelberger Schloss und der Alten Brücke im Morgennebel zu machen. Natürlich, wie hatte ich es vergessen können! Werbefotos für ein chinesisches Städtemagazin, da war Romantik gefragt. Es war sieben Uhr, die Kirchturmuhr hatte gerade geschlagen. Ich fuhr mir mit der Hand durch die Haare und streckte mich. Schnell unter die Dusche, heiß und kalt und heiß und kalt. Um zehn musste ich im Reisebüro sein und davor noch in den Stall, um Fango das Bio-Dyn-Feed zu füttern.

      Eilig stieg ich aus meinem Golf und hätte fast vergessen die Wagentür abzuschließen. Am Hoftor kehrte ich noch einmal um, weil ich meinen Reithelm und meine Handschuhe im Wagen gelassen hatte; ich bewahrte allerlei Dinge dort auf, seit ich meinen Spind mit Gerson teilte und der schmale Schrank aus allen Nähten platzte. In meinem Auto freilich konnte ich jetzt kaum noch jemanden mitnehmen, weil die Dinge die Eigenschaft hatten, sich nicht auf den Kofferraum beschränken zu lassen und sich auf sämtlichen Sitzen, sogar dem Fußboden, ausbreiteten.

      Ich grüßte hinüber zu Hansi, doch seine ganze Aufmerksamkeit galt Tissa, die plötzlich aus dem Nichts hinter ihm auftauchte und ihn unsanft am Oberarm packte. Tissa war ziemlich aufgeregt, sie glühte geradezu vor Wut und ich schnappte ein paar Wortfetzen auf, die keinen Zweifel an ihrer explosiven Gemütsverfassung zuließen.

      „Nein? Du weigerst dich?“ Hansis Antwort konnte ich nicht verstehen, aber Tissas Schwall von Schimpfwörtern, von denen „feiger Schlappschwanz“ noch das mildeste war, drangen nur zu deutlich an mein Ohr. „Versuche ja nicht, mich zu hintergehen!“, sagte sie noch, dann hörte sie jäh zu sprechen auf. Sie hatte mich bemerkt. Sie stritten sich bestimmt wegen des Bio-Dyn-Futters, irgendetwas war faul an dem Zeug. Nach einer idyllischen Zweierbeziehung sah dieses Geplänkel nicht gerade aus.

      In der Sattelkammer ließ ich eine Handvoll Bio-Körner durch meine Finger gleiten. Die Mixtur war mir nicht geheuer. Es enthielt blitzblaue Heublumen, roch nach frischem Heu und so stark nach Pfefferminz, als ob jemand eine ganze Packung Wrigley’s Spearmint darin verkrümelt hätte. Vielleicht gefiel dieser Geruch den Leuten – es musste schließlich einen Grund geben, warum es Tissa in kurzer Zeit fertig gebracht hatte, den halben Stall mit dem Gemisch zu versorgen. Eine Sekunde lang überlegte ich, ob ich Fango wirklich damit füttern sollte. Aber was blieb mir anderes übrig? Gerson hatte es mir aufgetragen, aber ich beschloss, Fango nur eine halbe Portion zu geben. Wenn das Futter wirklich so gut wäre, wie Tissa behauptete, dann würde die wunderbare Wirkung bei Fango eben etwas später eintreten.

      Ich war gerade dabei, die leeren Pappbecher mit den aufgedruckten Skorpionen, die Tissa auf dem

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