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weiß nicht, wie lange ich gedankenverloren auf dem Stuhl gesessen hatte, jedenfalls wurde ich von einem dunklen Brummen aufgeschreckt. Es kam von der Straße, doch ich spürte die Schwingungen tief in meinen Eingeweiden. Ich stand auf und schaute durch das intakte Fenster hinaus. Jemand hatte ein schweres Motorrad genau vor unserem Reisebüro geparkt und versperrte die Hälfte des Gehwegs. Das Bike sah wie ein Insekt aus, die Rückspiegel stachen wie Fühler in die Luft, die abstehenden Schutzbleche ähnelten Flügeln und der offen liegende Motor kam mir wie Gedärm vor. Den schwarzen Tank zierte ein Aufkleber. Mir blieb keine Zeit, den Schriftzug zu entziffern, denn in diesem Augenblick ging die Tür auf und der Kunde stand vor mir. Ich trat einen Schritt zurück. „Guten Tag“, sagte ich schnell, „Was kann ich für Sie tun?“

      Der Mann schaute sich im Laden um, als suche er etwas und deutete auf Massimos Schreibtisch. „Ich suche Herrn Auditi, ist er heute nicht im Büro?“

      Ich hatte wieder hinter meinem Schreitisch Platz genommen, und während ich antwortete, stieg mir eine Duftwolke in die Nase, die mich umgeworfen hätte, wäre ich nicht auf meinem Drehstuhl gesessen. Der Duft verwirrte mich, außer Massimo kannte ich keine Männer, die sich parfümierten. Gerson benutzte ab und zu ein neutrales Deo, aber nur an wirklich heißen Sommertagen.

      „Haben Sie eine Verabredung?“, fragte ich und überlegte angestrengt, wo ich den Mann schon einmal gesehen hatte. Der Duft, den er verströmte, war wirklich penetrant.

      „Um elf Uhr, hier im Büro“, sagte er. Er schielte immer noch auf Massimos Schreibtisch, als ob er dort etwas suchte. Da fiel es mir ein: Hatte nicht Massimo das gleiche Parfüm an sich gehabt? Natürlich, es kam von dieser Tissa – ob der Typ vielleicht Hansi Helm war? Er war mir neulich auf dem Leierhof über den Weg gelaufen, als er seine Frau mit seiner schweren BMW abgeholt hatte.

      Heute sah er wie ein Geschäftsmann aus, die schweren Bikerboots, die er im Stall trug, hatte er durch schwarze Straßenschuhe vertauscht, das dunkelblaue Sakko hatte er damals unter einer wattierten Karojacke getragen. Aus dem offenen Hemdkragen schaute ein roter Seidenschal hervor.

      Massimo hatte mir nichts von diesem Termin verraten, aber das wollte ich ihm nicht auf die Nase binden. „Mein Chef ist gerade in einer wichtigen Besprechung“, log ich. „Ich kann ihn leider nicht stören.“

      „Ein Missverständnis vielleicht“, sagte der Mann. „Aber wenn ich schon einmal hier bin – vielleicht können Sie doch etwas für mich tun?“

      Hansi Helm buchte eine Bahnfahrt in die Schweiz. Nachdem ich mich einmal an sein penetrantes Parfüm gewöhnt hatte, kam er mir beinahe sympathisch vor. Er war einer von diesen gepflegten Typen, die sich jeden Morgen die Augenbrauen zupften und die Nägel mit einem durchsichtigen Lack bemalten. Ich überlegte kurz, wie viel Zeit er wohl aufbrachte, um seine Hände in einen solchen Luxuszustand zu bringen – unter meinen Nägeln schimmerte immer ein schwarzer Rand, so sehr ich sie auch mit der Bürste bearbeitete.

      Ich öffnete ihm die Tür. Bevor er sein Motorrad startklar machte und seinen Helm aufsetzte, sagte er: „Schöne Grüße an Ihren Chef, er wird bald wieder von mir hören!“

      Als er den Zündschlüssel umdrehte und sich das Dröhnen des Motors in meinen Brustkorb fortsetzte, schaute ich auf den Aufkleber auf seinem Tank. Er zeigte einen Skorpion; jetzt konnte ich auch den Schriftzug entziffern. „Final Sting“, las ich und dachte: Der Mann ist schuld an meiner Kündigung! Obwohl ich mir sagen musste, dass dieser Vorwurf jeglicher Grundlage entbehrte, hätte nicht viel gefehlt und ich wäre vor unserem Büro in Zornestränen ausgebrochen.

      Seit dem Einbruch war mein Chef, den ich bei den Pferden als lebhaften, freundlichen Mann kennengelernt hatte, vollkommen verändert. Auch am nächsten Morgen saß Massimo hinter seinem Schreibtisch und starrte mit leeren Augen vor sich hin.

      „Ich soll dich von deinem Banker Hansi Helm grüßen“, sagte ich. „Er war gestern mit dir verabredet, aber du warst wegen dieses dringenden Außentermins unterwegs.“

      Massimo strich sich die verklebten Haare aus der Stirn. „Hast du eigentlich seine Frau schon kennengelernt?“, fragte er.

      „Tissa?“, fragte ich, doch er murmelte nur etwas vor sich hin, was ich nicht verstand und sagte, mehr zu sich selbst als zu mir: „Tissa Krellic – ach du meine Güte!“

      Dann fasste er sich, sah mich an und fragte: „Hat sie noch diesen schwarzen Hengst?“

      Jetzt verstand ich überhaupt nichts mehr, es war mir nicht einmal klar, ob wir dieselbe Tissa meinten. Ihr Nachname, so wie er ihn aussprach, klang slawisch. Doch die Tissa, die unseren Leierhof umkrempeln wollte, hieß einfach nur Krell; sie hatte einen ganz normalen deutschen Familiennamen, der gut zu ihr passte, weil er mit einem harten Konsonanten anfing. Massimo nahm die Fragezeichen in meinen Augen wahr und sagte: „Ach, was rede ich da – das ist doch bestimmt 15 Jahre her, das kannst du gar nicht wissen, Vera.“

      Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare, es war, als ob er aus einem tiefen Schlaf erwachte. Dann sagte er: „Ich habe mich ablenken lassen. Dabei muss ich dir etwas ganz anderes sagen.“

      Ich schaute ihn gespannt an.

      „Es tut mir leid, aber aus den vier Wochen wird nichts. Ich kann dich noch genau eine Woche halten, dann ist Schluss!“

      Hatte ich mich verhört? Oh bitte, liebe Göttin, mach, dass ich mich verhört habe! Was hatte er gesagt? Ich sollte schon in einer Woche meine Sachen packen? Aber die Göttin schwieg und ich flehte: „Warum Massimo? Was soll ich denn tun? In ein paar Tagen kommen Nine und Alles Paletti – wie soll ich ohne Job zweieinhalb Pferde finanzieren?“

      „Das weiß ich! Es tut mir leid, Vera, wirklich!“

      Die Verzweiflung war ihm ins Gesicht geschrieben, so zerknirscht hatte ich meinen Chef noch nie gesehen, irgendetwas musste tonnenschwer auf seiner Seele lasten.

      „Ich verspreche dir, wenn …“ Massimo stockte.

      Ich war den Tränen nahe und schwieg. Was hätte ich denn sagen sollen?

      „Vera, ich habe das dumpfe Gefühl, dass ich verfolgt werde.“

      „Von wem?“, fragte ich, aber mir war klar, dass ich darauf keine Antwort erhalten würde. Massimo fuhr sich mit der Hand über die Augen. „Vom Schicksal“, sagte er. „Ich werde vom Schicksal verfolgt!“

      Ich sah ihn ratlos an. Er braucht Urlaub, sollte sich mal ein paar schöne Wellnesstage gönnen, dachte ich. Die Sorgen um das Geschäft bringen ihn noch um. Wenn es so weitergeht, dreht er vollkommen durch.

      „Entschuldige bitte, wenn ich Unsinn rede.“ Massimo goss sich ein Glas Wasser ein, jetzt hatte er sich wieder im Griff.

      Um ihn abzulenken, fragte ich, ohne mir viel dabei zu denken, nach dem auffälligen Logo auf dem Motorrad des Bankers, dessen Bedeutung ich nicht verstand. „Final sting, was soll das?“ Massimo lachte nervös. „Da sieht man wieder, wie jung du bist, Vera! Die Scorpions waren eine Rockband, ihre letzte Tournee lief unter dem Motto Final Sting.“

      „Das klingt ziemlich makaber!“, sagte ich. Massimo nickte. Er war ganz blass geworden, auf angenehmere Gedanken hatte ich ihn mit meiner gutgemeinten Ablenkung nicht gebracht.

      „Noch etwas, Vera“, brachte er endlich heraus.

      „Ja?“

      „Ich möchte dich bitten, mich nächste Woche, in deiner letzten Arbeitswoche, zu vertreten. Natürlich nur, wenn es dir nichts ausmacht. Selbstverständlich überweise ich dir noch einen halben Monatslohn.“

      Das Geld konnte ich dringend brauchen und ich wollte ihm seine Bitte nicht abschlagen, also willigte ich ein.

      „Es kann sein, dass ich in den nächsten Tagen

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