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aufgemacht hatte, musste gut gewesen sein, denn ich spürte nur einen Hauch von Kopfschmerzen, kaum wahrzunehmen. Ich hatte vergessen, den Wecker zu stellen und jetzt zeigte mir ein Blick auf die Uhr, dass es schon halb neun war! Dann klingelte das Telefon. Ich sprang auf und erwischte das Gespräch gerade noch im letzten Augenblick. Es war mein Chef Massimo.

      „Wo bleibst du, Vera! Komm sofort ins Büro, ich brauche deine Hilfe.“

      „Alles klar“, murmelte ich verschlafen, aber ich verstand überhaupt nichts.

      Kurze Zeit später hielt ich schon meinen Kopf unter das kalte Wasser, quetschte den letzten Rest Zahnpasta aus der Tube und zog husch, husch mein Büro-Outfit an. Saubere, auf Kante gehängte Jeans, ein leicht tailliertes hellgraues Jackett und darunter ein taubenblaues T-Shirt. Schnell zog ich mir noch einen doppelten Espresso und tunkte ein Stück trockene Apfelzimtschnecke hinein. Jetzt erst achtete ich auf den pochenden Schmerz in meinem Kopf. Nein, es war nicht der Lambrusco, den Gerson vom Italiener mitgebracht hatte. Es hatte irgendetwas mit dieser Tissa zu tun, der neuen Pferdebesitzerin auf dem Leierhof, von der mir Gerson ausgiebig vorgeschwärmt hatte; ihr Name lauerte hinter meinen Schläfen wie eine aufkommende Migräne. Warum nur, dachte ich, ich kannte die Frau doch gar nicht und eigentlich gab es von ihr nichts Schlechtes zu berichten!

      Bevor ich die Wohnung verließ, schaute ich noch einmal zu Gerson ins Schlafzimmer. Er atmete ruhig und regelmäßig, ein Knie schaute unter der Decke hervor, er schien zu träumen, denn er lächelte im Schlaf.

      Massimo stand vor seinem Laden und hielt nach mir Ausschau, er sah blass und übernächtigt aus. Mein Chef war ziemlich durcheinander, er fasste mich am Arm und zog mich durch die offenstehende Tür.

      „Ist irgendwas passiert?“, fragte ich.

      „Da, siehst du es nicht?“ Er zeigte auf das Schaufenster. Auf dem Boden lagen Scherben herum, und das Loch war groß genug, um einen Menschen hindurch zu lassen. Ein Einbruch, das war klar. Jemand hatte das Fenster eingeworfen, oder mit einem Glasschneider aufgesägt, denn die Ränder waren so glatt, wie es nur ein Profi fertigbrachte; im Laden war es empfindlich kalt. „Es muss heute Nacht passiert sein, als ich um neun Uhr das Reisebüro öffnete, habe ich es entdeckt.“

      „Hast du schon die Polizei verständigt?“

      „Nein, noch nicht, ich war geschockt. Ich wollte erst mal mit dir sprechen.“ Massimo machte einen so verwirrten Eindruck, den ich mir nicht erklären konnte.

      „Ist etwas Wichtiges gestohlen worden? Geld, die Computer, wichtige Unterlagen?“

      „Das ist es ja, was ich nicht verstehe. Alles was ich gefunden habe, ist ein Stein, der mit einem kohlrabenschwarzem Papier umwickelt ist.“

      „Steht was drauf?“

      „Das Papier ist schwarz, Vera, rappenschwarz!“

      „Kein Bekennerbrief oder irgendeine Botschaft? Vermisst du irgendetwas?“, fragte ich, weil ich hinter den Sinn dieses merkwürdigen Einbruchs kommen wollte. „Es muss doch einen Grund geben, warum einer so etwas tut?“

      Massimo schüttelte den Kopf. „Ich verstehe es wirklich nicht. Aber warte mal, es fehlt tatsächlich etwas.“

      „Was denn?“, hakte ich nach, denn er stierte und schien in eine andere Welt abgetaucht zu sein.

      Auf einmal gab er sich einen Ruck. „Mein Schreibtisch“, sagte er, „fällt dir nichts auf?“

      Sein Schreibtisch sah ordentlich und aufgeräumt aus, doch irgendetwas war anders als sonst, aber was?

      „Mensch Vera, da, neben dem Telefon stand doch das Bild von Magalo und dir, weißt du nicht mehr? Ich habe es vor zwei Jahren auf dem Leierhof aufgenommen und du hast mir den blauen Rahmen geschenkt. Jetzt ist es weg. Das Bild hat nur für mich einen Wert, für keinen sonst. Du weißt, was Magalo für mich bedeutete!“

      Natürlich wusste ich es. Magalo war sein erstes Pferd gewesen. Es stand auf dem Leierhof und teilte sich mit meiner Stute Nine einen Koppelplatz, bis sich Massimo von ihm trennen musste. Massimo und ich hatten uns über unsere Pferde kennengelernt und ich hatte Massimo angeboten, den freundlichen Russenwallach zu reiten, wenn er auf Geschäftsreisen ging,

      „Er war dein Freund, nicht?“

      Massimo nickte. „Kannst du mir erklären, warum jemand in mein Reisebüro einbricht, um das Foto von meinem Pferd zu klauen?“

      „Okay“, sagte ich gedehnt, „ich war ja auch mit drauf!“

      Massimo rang sich ein kleines Grinsen ab. „Vera, alles, was recht ist“, sagte er. „Ich glaube, ich sollte statt der Polizei lieber meine Versicherung verständigen. Ich will mich ja nicht lächerlich machen!“

      Ich half Massimo, die Scherben zusammenzukehren. Während er die Nummer der Versicherung heraussuchte, machte ich mich auf, um im Schreibwarengeschäft an der Ecke eine Rolle Packpapier zu organisieren. Bis der Glaser kam, würde es bestimmt noch eine Weile dauern. Als ich in die Ladenburger-Straße einbog, wäre ich beinah mit zwei Polizisten zusammengestoßen, die sich gerade an der Kreuzung aufstellen, um Radfahrer zu kontrollieren, die ohne Helm dahinsausten. Ich überlegte kurz, ob ich die beiden ansprechen sollte, aber dann hielt ich mich zurück. Es war Massimos Sache, die Polizei zu benachrichtigen, und er hatte sich dagegen entschieden. Aber so richtig verstand ich ihn nicht. Der Glasbruch war doch nicht durch einen Sturm, sondern eindeutig durch einen Einbruch zustande gekommen?

      Abends hatte ich Gerson versprochen, für das Essen zu sorgen. Der Tisch war gedeckt und ich entkorkte eine Flasche Lambrusco, von dem wir einen unendlichen Vorrat zu haben schienen; ich hatte meinen berühmten bunten Salat gezaubert, mit allem, was unsere Speisekammer zu bieten hatte. Doch Gerson ließ sich von dem verlockenden „Plopp“ nicht stören. Die Balkontür stand offen, er beugte sich über das Geländer und starrte in den Blätterdschungel, der den Gartenzaun überwucherte. Er trug immer noch seine spitzen braunledernen Cowboystiefel und Bluejeans, die so lang waren, dass sie auf dem Boden schleiften. Das einzige, was ihn von einem echten Cowboy unterschied, war der verwaschen blaue Baumwollschal in seiner Augenfarbe; das Western-Bandanna sei für seinen Hals zu klein, behauptete er. Ich nahm an, dass er die grünen Sittiche beobachtete, die über die Buche im Nachbargarten hergefallen waren und mit ihren schrillen Pfiffen und Kreischen das abendliche Konzert der Amseln übertönten. Gerson hatte schon lange auf so eine Gelegenheit gewartet, um ein Foto für seine Zeitung zu schießen, aber der Zeitpunkt war wirklich schlecht gewählt.

      „Komm endlich rein, die schrägen Vögel sind morgen auch wieder da, mein Salat wird kalt!“

      Doch Gerson überhörte meinen Witz, streckte seine flache Hand übers Balkongeländer und inspizierte den grauen Himmel. „Er friert so leicht! Ich fahr noch schnell in den Stall und leg ihm die Decke auf“, sagte er zusammenhangslos.

      „Gerson, ich muss dir erzählen, was heute bei uns im Büro passiert ist. Es ist wichtig!“ Doch er hauchte mir nur ein Küsschen auf die Backe und griff nach seiner Jacke: „Alles klar? Erzähl es später, ja?“

      Ich goss mir ein Glas Lambrusco ein. Wir haben die Rollen getauscht, dachte ich. Früher, als Nine noch auf dem Leierhof stand, war ich es, die sich bei den unpassendsten Gelegenheiten verabschiedete, um nach meinem Pferd zu sehen. Einmal hatte Nine Kolik, das andere Mal ein geschwollenes Auge oder sie war im Koppelzaun hängengeblieben und blutete aus einer Fleischwunde. Und so etwas passierte immer dann, wenn die Steaks fertig gegrillt waren, Gerson seine berühmte Steinpilzsauce gekocht hatte oder die Gäste an der Haustür klingelten.

      Aber meine Einbruchsgeschichte hätte er sich wenigstens anhören können, dachte ich schmollend, so was kommt nicht alle Tage vor! Wer weiß, wann er nach Hause käme, vielleicht lief ihm ja diese Neue über den Weg und sie hielten noch einen gemütlichen Plausch auf der Stallgasse? Bis dahin wäre

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