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Kleine muß ja irgendwo herkommen.«

      »Das erledige ich morgen. Jetzt ist nur wichtig, daß das Mädchen versorgt ist.«

      Christel war der gleichen Meinung. Sie ließ ein heißes Bad ein, verschwand dann noch einmal kurz und kehrte mit Hose, Pulli und etwas Wäsche von ihr selbst zurück. »Das wird ihr zu groß sein, sie ist ja nur Haut und Knochen.« Sie warf dem Landarzt einen unbehaglichen Blick zu. »Soll ich dir was sagen, Doktor? Ich glaube, dieses Mädchen hat die Hölle hinter sich. Und ich werde das ungute Gefühl net los, daß diese Hölle ganz hier in der Nähe liegt...«

      Eine Weile später lag das Mädchen frisch gebadet in einem neu bezogenen Bett und lächelte sogar ein wenig, als Christel ihr behutsam übers Haar strich. »Jetzt wird geschlafen. Und morgen mußt du ordentlich frühstücken, das hilft.« Sie erwiderte das Lächeln der Fremden herzlich und ließ sie dann allein.

      Max Brinkmeier hatte in der Zwischenzeit Kaffee gekocht und reichte seiner Sprechstundenhilfe eine Tasse. »Eine seltsame Geschichte«, urteilte er nachdenklich. »Sie hatte nichts bei sich, keine Tasche, keinen Ausweis. Es ist fast, als wäre dieses Mädchen vom Himmel gefallen.«

      »Wohl eher das Gegenteil. Soll ich noch bleiben und bei ihr wachen? Es macht mir nix aus, daheim versäume ich eh nichts.«

      »Wir können uns abwechseln«, schlug Max vor.

      Christel war einverstanden. Zwei Stunden später wachte die junge Patientin schreiend auf. Dr. Brinkmeier spritzte ihr ein Beruhigungsmittel, hängte sie dann an eine Kalziuminfusion, denn ihr Kreislauf machte ebenfalls Probleme.

      »Vielleicht wäre es besser, sie ins Spital zu bringen«, schlug Christel vor, aber davon wollte der Landarzt nichts wissen.

      »Sie ist völlig verängstigt. An uns hat sie sich gewöhnt, doch die vielen Fremden im Spital würden ihr gewiß große Angst machen. Ich bleibe jetzt bei ihr.«

      »Bist net müd’, Doktor? Es war ein langer Tag.«

      »Halb so wild. In Holy Spirit hab ich viele Nachtwachen gehalten. Wohlgemerkt nach einer vollen Tagesschicht.«

      Christel warf ihrem Chef einen bewundernden Blick zu, dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Mädchen, das nun ruhig schlief. Sein schmales Gesicht war aber noch immer angespannt. Es schien, als könne die junge Patientin sich selbst im Schlaf nicht wirklich fallen lassen, als beherrsche noch immer die Angst ihr Denken und Fühlen. Und zwar auf so intensive Weise, daß sie keine anderen Gefühle zuließ...

      Als die Hauserin Afra am Sonntagmorgen das Doktorhaus betrat, wunderte sie sich sehr. »Christel, was machst denn du hier so früh? Es ist doch Sonntag!«

      »Es hat letzte Nacht einen Notfall gegeben.« Sie berichtete, was passiert war, und endete mit den Worten: »Der Doktor war die ganze Nacht auf, er braucht jetzt ein paar Stunden Schlaf.«

      »Ich richte schnell das Frühstück, hernach schau ich nach dem armen Madl«, erbot die Hauserin sich.

      Christel atmete auf. Auch sie war rechtschaffen müde, die Stunden der Nacht hatten sich lange hingezogen. Sie frühstückte noch mit Max und verabschiedete sich dann.

      »Danke für deine Hilfe, Christel. Das war sehr nett von dir.«

      »Schon recht. Ich schau später wieder rein.« Sie warf Afra, die gerade die gute Stube betrat, einen fragenden Blick zu. »Wie geht es denn unserer Patientin?«

      »Ganz gut, denke ich. Sie hat sich wie ein Wolf auf ihr Frühstück gestürzt, aber kein Wort mit mir geredet.« Die Hauserin machte ein nachdenkliches Gesicht. »Wenn ich nur wüßte, wer dieses Madl ist. Das Gesicht kommt mir irgendwie bekannt vor, aber älter. Mag sein, ich kenne ihre Mutter. Aber ich komme einfach net drauf.«

      »Die Christel hat auch schon vermutet, daß das Madl hier aus der Gegend stammt. Wenn das zutrifft, wird der Gendarm sie gewiß kennen. Ich rede nachher mit ihm.«

      »Aber erst mußt ein bisserl schlafen, Doktor«, mahnte Afra ihn streng. »Jeder braucht mal eine Pause, gelt?«

      »Ist schon recht, eh ich mich schlagen lasse...« Max legte sich gleich darauf nieder und es dauerte kaum eine Minute, bis er tief und fest schlief. Erst am Nachmittag wachte der junge Mediziner auf und fühlte sich wieder frisch und munter. Sein erster Weg führte ihn zu seiner neuen Patientin, die sich offenbar freute, ihn zu sehen. Sie lächelte ihm scheu zu.

      »Wie fühlen Sie sich? Schmerzen?« fragte er und untersuchte sie behutsam. »Schwindel, Übelkeit?«

      »Ich fühle mich sehr schwach. Und mein Kopf tut weh.«

      »So. Können Sie sich denn nun erinnern? Zumindest an das, was passiert ist? Sind Sie überfallen worden oder...«

      Max verstummte, denn sie schüttelte den Kopf und preßte die Lippen fest aufeinander. Ihre tiefblauen Augen schwammen schon wieder in Tränen. »Bitte, beruhigen Sie sich. Es ist nicht schlimm, wenn Sie mir momentan nix sagen können. Sie haben offenbar Schlimmes mitgemacht. Und ein Schock kann eine vorübergehende Amnesie verursachen.«

      »Was ist das?« fragte sie unsicher.

      »Eine Amnesie ist ein Gedächtnisverlust. Unser Gehirn verdrängt Dinge, die zu schlimm sind, um sie zu verarbeiten. Es nimmt die Erinnerung quasi heraus wie eine Karteikarte.«

      »Und werde ich mich wieder erinnern können?«

      »Sicher. Es dauert nur eine Weile. Sie müssen sich ausruhen und dürfen sich nicht zwingen. Das Gedächtnis kommt zurück, wenn der Körper es zuläßt. Darauf haben wir gar keinen Einfluß.«

      »Ich fürchte mich. Es ist so komisch, wenn man nichts mehr weiß. Fast so, als wäre da in meinem Kopf ein schwarzes Loch.«

      »Sie müssen einfach Geduld haben. Wenn es Ihnen recht ist, rede ich mit unserem Gendarmen. Vielleicht kann er herausfinden, wer Sie sind. Oder wollen Sie das nicht?«

      »Ich weiß nicht... Ja, es wäre wohl besser. Ich muß ja erfahren, wer ich bin, nicht wahr?«

      »Es gibt auch eine andere Möglichkeit. Wir können einfach abwarten. Irgendwann werden die Erinnerungen zurückkehren. Aber das kann eine ganze Weile dauern.«

      Das Mädchen senkte den Blick und seufzte leise. »Reden Sie bitte mit dem Gendarmen, Herr Doktor. Ich kann ja nicht ewig hierbleiben. Sie haben schon so viel für mich getan.«

      Anderl Stumpf war seit über zwanzig Jahren Dorfgendarm in Wildenberg. Er war eine Respektsperson, doch sein Scharfsinn ließ meist ein wenig zu wünschen übrig. Kam man ihm mit einem ungewöhnlichen Fall, so wie Max Brinkmeier es an diesem Sonntagnachmittag tat, reagierte er zunächst einmal ablehnend.

      »Ich bitt dich, Max, was soll denn ich da machen? Nehmen wir mal an, das Madl ist bei uns im Computer, das bedeutet, es ist schon mal straffällig geworden. Das wäre für uns dann aber ein Glückstreffer. Weil, wenn sie sich noch nix hat zuschulden kommen lassen, dann werden wir auch net herausfinden können, wer sie ist. So schaut’s aus.«

      »Ich dachte, die Polizei kann so was rausfinden.«

      »Ja, mei, wenn wir einen Anhaltspunkt haben, wie das so schön heißt«, kam es gravitätisch von Anderl. »Aber nur dann. Bist denn sicher, daß sie hier aus der Gegend kommt?«

      »Leider net. Die Afra meint, das Madl kommt ihr bekannt vor, daß sie wohl von hier ist. Aber sonst weiß ich nix.«

      »Ein bisserl sehr wenig.« Der beleibte Dorfpolizist seufzte tief. »Also schön, ich sag dir, was wir machen: Ich geh erstmal alle Karteien im Computer durch. Hernach setze ich mich mit dem Einwohnermeldeamt in Verbindung. Dazu brauch ich ein Foto von dem Madl. Es wird eine irre Sucherei, aber vielleicht werden wir auf die Weise fündig. Und wir müssen natürlich nach Zeugen suchen. Du sagst, daß sie überfallen worden ist, gelt?«

      »Es schaut so aus. Aber sie hat auch alte Wunden, die darauf hinweisen, daß sie schon länger mißhandelt worden ist.«

      »Hm. Vielleicht hat sie es daheim schlecht gehabt. Oder irgendein Kerl hat

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