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war über den Wirtschaftshof geflattert. Die Burgers waren einfache, aber fleißige und rechtschaffene Menschen. Aber dann war dem Bauern die Frau gestorben, noch im Kindbett. Allein hatte er dagestanden, mit drei kleinen Kindern. Zwei hatte er fortgegeben, zu Pflegeeltern. Nur die älteste Tochter war bei ihm geblieben. Christa war ein hübsches Mädchen, gescheit und fleißig. Sie hatte sich stets bemüht, dem Vater alles recht zu machen. Doch der Bauer hatte das Trinken angefangen und darüber alles andere vergessen. Über Jahre war das so gegangen. Im Suff tyrannisierte er seine Tochter, schlug sie und tat ihr noch Schlimmeres an. Christa hatte geschwiegen, sich hilflos ausgeliefert gefühlt. Sie sah keinen Ausweg, sie wußte nicht, was sie tun, an wen sie sich wenden sollte. Keiner half ihr, alle sahen weg.

      Nun stand das junge Mädchen am Herd, bereitete eine karge Mahlzeit zu und wartete darauf, daß der Vater vom Feld zurückkam. Es wurde schon dunkel, aber Christa wunderte sich nicht, wo er so lange blieb. Vermutlich hatte der Alte eine Flasche bei sich, dabei vergaß er Zeit und Raum. Im Grunde war sie froh, wenn er nicht heimkam. Dann konnte er sie wenigstens nicht schlagen. Sie hoffte sogar im stillen, daß er auf dem Traktor eingeschlafen war und erst am nächsten Morgen auf freiem Feld aufwachte. Doch ihre Hoffnung sollte sich nicht erfüllen. Schon kurze Zeit später hörte Christa das Knattern des alten Zweitakters. Der Bauer sprang vor dem Haus vom Bock und landete auf dem Hosenboden, wobei ein spitzes Splittern zu vernehmen war. Das Mädchen seufzte gequält. Es hatte sich also nicht geirrt; leider. Rasch griff Christa sich einen Teller Suppe und eine Semmel und rannte in ihre kleine Kammer. Der Riegel schnappte zu, als der Alte schwankend die Diele betrat. Sein schwerer Schritt klang dumpf auf den ausgetretenen Holzbohlen. Zitternd hörte Christa, wie er immer näher kam. Schließlich verhielt er vor ihrer Tür. Im nächsten Moment flog seine Faust gegen das Blatt, und er schrie: »Mach auf, oder du wirst es bereuen, du Stück Malheur! Na los, mach die Tür auf!«

      Christa preßte die Lippen fest aufeinander. Übergroß waren ihre himmelblauen Augen, in denen die Angst brannte wie ein Feuer. Sie wich zurück, tastete nach der Wand in ihrem Rücken, als könne die ihr ein wenig Trost geben.

      Wieder pochte der Bauer gegen die Tür, nun schon schwächer. »Dumme Gans«, knurrte er, dann schlurfte er hinüber in die Küche. Christa hörte ihn hantieren. Er schimpfte und fluchte wie ein Bierkutscher. Es dauerte eine ganze Weile, bis es im Haus endlich still wurde. Das verängstigte Mädchen aß rasch seine kalt gewordene Suppe auf, stopfte die Semmel hinterher und schlüpfte dann in sein Nachthemd. Ein letzter Blick galt dem kleinen Bild der Mutter, das in einem schmalen Rahmen über Christas Bett hing.

      »Gute, liebe Mama, beschütz mich«, murmelte sie mit dumpfer Stimme, in der noch immer die Angst brütete. »Wenn ich nur wüßte, was ich tun soll...«

      Es dauerte nicht lange, dann war Christa eingeschlafen. Im Traum erging es ihr sehr viel besser als in der grauen Wirklichkeit. Da war sie wieder klein, die Mutter hielt sie an der Hand und lächelte ihr zu. Gemeinsam gingen sie in den Garten, der damals noch schön und gepflegt gewesen war. Christa meinte, den Duft der Sommerblumen zu riechen, während sie ihrer Mutter beim Gemüseernten zuschaute. Sie spürte die wärmenden Strahlen der Sonne auf dem Gesicht und war einfach nur glücklich. Ganz geborgen fühlte sie sich. Aber dieser Zustand, der hielt nie lange an. Es war, als solle das kleine Glück, die vage Erinnerung an etwas Schönes ihr auch noch genommen werden. Denn im nächsten Moment fiel Dunkelheit über die Welt. Es wurde kalt, der Duft der Blumen verschwand. Ein Heulen von Sturmwind lag über dem Land. Das alte Haus ächzte und stöhnte in den Grundfesten, die Föhren im nahen Forst seufzten, als seien sie zu Tode betrübt. Christa fürchtete sich schrecklich. Als der erste Blitz die Düsternis durchdrang, schrie sie im Traum erschrocken auf. Denn das bleiche, schweflige Licht hatte ihr gezeigt, daß sie nicht mehr allein war. Da war jemand bei ihr. Schreckliche Dinge geschahen in der Dunkelheit. Christa weinte und schrie, aber niemand hörte sie. Keiner kam, ihr zu helfen. Niemand zündete ein Licht an. Die Dunkelheit umhüllte sie wie ein schwerer Umhang, der sich nicht abstreifen ließ. Voller Verzweiflung und Grauen wartete das Mädchen darauf, daß es endlich Morgen wurde.

      *

      Dr. Julia Bruckner saß in dem kleinen Bereitschaftsraum für die diensthabenden Ärzte auf der Missionsstation Holy Spirit. Die hübsche junge Ärztin hatte einen sehr langen Tag hinter sich und durfte doch noch nicht daran denken, Feierabend zu machen. Als sich ihr Schritte näherten, blickte sie auf und bemerkte Schwester Mary. Die schwarze Nonne, die als Krankenschwester tätig war, brachte ihr eine Tasse Kaffee. Kurz setzte sie sich zu Dr. Bruckner und mahnte sie: »Gehen Sie schlafen, ich übernehme die Nachtwache. Sie sind schon viel zu lange auf den Beinen, Frau Doktor. Wenn Sie so weitermachen, werden Sie bald selbst Patientin sein.«

      Julia lächelte schwach. Sie trank einen Schluck Kaffee, der ihr gut tat, und seufzte dann leise. Sie wußte, daß Mary recht hatte. Doch seit Max Brinkmeier fort war, hing praktisch alles an ihr. Sie war völlig überlastet, aber ihr Gewissen verbot ihr zugleich, die Kranken im Stich zu lassen.

      »Ich muß noch einiges erledigen. Keine Angst, Mary, ich klappe schon nicht zusammen. Ich bin ein Münchner Kindel, und die sind sehr robust.« Es sollte locker klingen, doch ihre Stimme machte da nicht mit. Und ihre schönen Augen, die Max so liebte, blickten müde, allzu erschöpft in die Welt.

      Mary ging nicht auf die Worte der Ärztin ein. Sie erinnerte Julia: »In der nächsten Woche ist wieder eine Impfung fällig. Sie können nicht mit dem Jeep über Land fahren und gleichzeitig die Kranken hier betreuen. Es geht so auf keinen Fall weiter.«

      »Ja, ich weiß. Wir werden uns die Arbeit teilen müssen. Sehen Sie, Mary, solange kein Ersatz für Doktor Brinkmeier kommt, muß es eben gehen wie es kann. Ich weiß auch nicht, was wir sonst tun sollen.«

      Die Missionsstation, auf der Max Brinkmeier bis vor ein paar Monaten gelebt und gearbeitet hatte, lag gut 50 Kilometer südlich der ruandischen Stadt Kigali. Sie war in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von einem britischen Nonnenorden gegründet worden und stand auch heute noch unter der Obhut der anglikanischen Kirche Englands. Das Personal war allerdings in der Zwischenzeit international. Und es gab verschiedene Hilfsorganisationen, die das Projekt unterstützten. Durch eine solche Organisation in Deutschland waren die beiden Mediziner einst hierhergekommen. Und Julia Bruckner betrachtete die Arbeit auf Holy Spirit nach wie vor als ihre Lebensaufgabe. Auch wenn bei ihr momentan alles – Privatleben wie Beruf – recht durcheinander ging. Sie vermißte Max unendlich. Es verging kein Tag, an dem sie nicht an ihn dachte. Und keine Nacht, in der sie nicht von ihm träumte. Doch er war fort, und sie mußte nun allein ihren Alltag meistern.

      »Sie brauchen dringend einen Kollegen, mit dem Sie sich wieder abwechseln können. Sonst werden Sie zusammenklappen«, prophezeite Schwester Mary mit düsterer Miene. »Sie haben viel zuviel gearbeitet in den letzten Monaten. Sie müssen sich ausruhen. Und Sie müssen Doktor Brinkmeier wiedersehen.«

      Julia lächelte schwach. »Ich kann Ihnen nicht widersprechen, Mary, Sie haben mit allem recht. Aber ich kann auch keinen zweiten Arzt herzaubern. Vor einer Woche habe ich mit den Kollegen in Deutschland telefoniert. Momentan gibt es einfach keinen Ersatz für Max. Uns bleibt nichts weiter, als abzuwarten.«

      »Davon halte ich gar nichts«, widersprach die Nonne energisch. »Ich werde mich mit meinem Mutterhaus in London in Verbindung setzen. Wenn wir aus Deutschland keinen Arzt kriegen, dann vielleicht von dort. Allerdings wollte ich zuerst mit Ihnen reden, Frau Doktor. Sie sind doch damit einverstanden, oder?«

      »Sicher. Im Grunde genommen ist es egal, woher der Kollege kommt. Schließlich arbeiten wir hier international. Aber er muß qualifiziert und gewillt sein, zu bleiben. Sie wissen selbst, wie schwer es für manchen Europäer ist, sich auf längere Sicht hier einzurichten.« Ihr Blick wurde traurig.

      Schwester Mary legte behutsam ihre Rechte auf die schmale Hand der Ärztin. »Doktor Brinkmeier wäre bestimmt geblieben, wenn er nicht daheim gebraucht worden wäre.«

      »Ja, ich weiß. Doch das ändert leider nichts an den Tatsachen.« Sie rieb sich die Nasenwurzel. »Also schön, dann gehe ich jetzt schlafen. Wenn etwas sein sollte, Sie wissen ja, wo Sie mich finden, Mary. Und... danke für Ihre Hilfe.«

      »Schlafen Sie gut.« Die farbige Nonne blickte der jungen Ärztin bekümmert

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