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er nun im Lehnstuhl sitzen und seinen Lebensabend in Ruhe genießen. Doch es hatte nicht sollen sein...

      Zenzi und Johannes Brinkmeier waren sehr stolz gewesen, als ihr Jüngster, Josef, in die Stadt gegangen war, um zu studieren. Und als er heimkam, sich als Landarzt in Wildenberg niederließ, da hoffte er selbst, damit eine Tradition zu begründen. Er heiratete die schöne Walburga Gönnerwein, die ihm zwei Söhne schenkte und ihm immer eine gute Frau gewesen war. Vor ein paar Jahren war sie ganz plötzlich gestorben und hatte eine große Lücke in seinem Leben hinterlassen. Oft dachte er nun an die schönen gemeinsamen Jahre zurück, die viel zu rasch vergangen waren. Lukas, sein Jüngerer, hatte den Brinkmeierhof übernommen. Er war fleißig und wirtschaftete geschickt, doch menschlich konnte Josef nicht viel mit seinem zweiten Sohn anfangen. Lukas war sehr verschlossen, ein Eigenbrötler, der sich noch nicht hatte entscheiden können, zu heiraten. Nun, da der Bauer bereits Mitte Dreißig war, meinte sein Vater, daß sich daran wohl auch nichts mehr ändern würde. Wer in der nächsten Generation den Erbhof führen sollte, stand in den Sternen. Ebenso verhielt es sich mit seiner Arztpraxis. Obwohl Max, sein älterer Sohn, Medizin studiert hatte, war doch nicht daran zu denken, daß er einst ins Doktorhaus von Wildenberg einzog. Der anfängliche Stolz des Alten darauf, daß sein Sohn die Tradition fortführen wollte, war bald Ernüchterung gewichen. Max hatte sich während des Studiums in München in eine Mitstudentin verliebt und war mit ihr nach Afrika in die Entwicklungshilfe gegangen. Zuerst hatte Josef das gar nicht glauben wollen, ja, es war ihm fast wie ein schlechter Scherz erschienen. Schwere Vorwürfe hatte er Max dann gemacht, hatte ihm Untreue und Egoismus vorgeworfen, was der junge Brinkmeier sich freilich nicht hatte gefallen lassen. Ein häßlicher Kleinkrieg war entbrannt, bis Max schließlich zornig und enttäuscht über das Unverständnis seines Vaters die Koffer gepackt und Wildenberg verlassen hatte.

      Zehn Jahre war das nun her, und seitdem bestand kaum noch Kontakt zwischen Vater und Sohn. Sporadisch schrieben sie sich, meist zu Weihnachten oder zum Geburtstag. Christel Brenner, die fast zur Familie gehörte, weil sie von Anfang an in der Praxis des alten Brinkmeier angestellt war, hielt telefonisch Kontakt zu Max, den sie in ihr mütterlich schlagendes Herz geschlossen hatte. Sie wünschte sich im stillen, daß Max eines Tages doch heimkommen würde. Aber sie wußte auch, daß der Mediziner in der Missionsstation in Ruanda seine Lebensaufgabe gefunden hatte und dort glücklich war. Für Josef zählte das nicht. Er war verbittert und fühlte sich im Stich gelassen.

      Gegen Mittag kehrte der Landarzt von seinen Hausbesuchen im Tal zurück und legte sich erst einmal kurz nieder. Afra, die Hauserin, brachte ihm eine Tasse Kaffee und meinte: »Trink das, Doktor, wird dich ein bisserl aufmöbeln. Essen gibt’s in einer halben Stund. Soll ich dir die Tropfen holen?«

      »Net nötig, es geht schon.« Josef trank ein paar Schlucke Kaffee und ließ sich dann kraftlos niedersinken. In seinem markanten Gesicht lag ein deutlicher Ausdruck von Müdigkeit und Überanstrengung. Afra, hinter deren rauher Schale ein butterweicher Kern saß, mahnte: »Du mutest dir zu viel zu, Doktor. Mach halt die Praxis mal eine Wochen, oder zwei zu und fahr ein bisserl weg. Jetzt ist das Wetter schön, da könntest wunderbar ausspannen. Oder quartier dich für eine Weile beim Lukas ein. Auf dem Hof hast auch deinen Frieden. Keiner kann immer nur arbeiten. Und der Jüngste bist auch nimmer!«

      »Mei, Afra, wenn das so einfach wäre. Wer soll mich denn in der Zeit vertreten? Wer soll sich um die Kranken kümmern?«

      »Was weiß ich«, murrte das alte Weibel unwillig. »Ich weiß nur eins: Wer stets an die anderen denkt, der vergißt am End sich selbst. Und das kann net guttun. Hochwürden sagt, man muß arbeiten und ruhen!« Sie nickte nachdrücklich. Dominik Hirtner, der Geistliche von Wildenberg, war für Afra die höchste Instanz.

      »Mei, da mag Hochwürden recht haben. Aber eine Vertretung für mich wird er auch net aus dem Ärmel schütteln können«, seufzte der Landarzt und schloß die Augen.

      Afra schüttelte ärgerlich den Kopf, dann verschwand sie wieder in ihrer Küche. Josef Brinkmeier war aber auch ein Sturschädel, wie er im Buche stand...

      Der Landarzt machte ein kurzes Nickerchen und fühlte sich danach wieder einigermaßen gut. Als Afra zum Mittagsmahl rief, erhob er sich aber doch ein wenig schwerfällig. Sein Blick fiel auf die drei Fotos, die ihm gegenüber an der Wand hingen. Das mittlere zeigte seine verstorbene Frau Walburga. Zu beiden Seiten hingen Porträts von Max und Lukas. Die Brüder sahen einander kaum ähnlich. Während Max nach dem Vater kam mit dem sandblonden Haar und den grau-blauen Augen, war Lukas ein dunkler Typ. Er hatte das braune Haar und die samtbraunen Augen von der Mutter geerbt. Beide waren sie fesche Mannsbilder. Doch sie waren nicht so geraten, wie Josef es sich gewünscht hätte...

      Nach dem Mittagessen verließ Dr. Brinkmeier seine Wohnung im ersten Stock des Doktorhauses und ging hinunter in die Praxis. Christel Brenner war schon da und damit beschäftigt, die Patientendatei zu aktualisieren. Vor einiger Zeit hatte Josef sich auf Drängen der Krankenkasse einen Computer angeschafft. Daß heutzutage alles elektronisch gemacht werden mußte, ging ihm zuwider, er sah den Neuerwerb als pure Geldverschwendung. Doch Christel hatte sich erstaunlich schnell mit dem neuen Medium angefreundet. Gerade flogen ihre Finger nur so über die Tastatur, und sie begrüßte ihren Chef freundlich, ohne die Arbeit zu unterbrechen.

      »Mei, Christel, du gehst mit der Zeit«, lobte dieser. »Mir ist das Ganze suspekt. Aber das liegt wohl am Alter, net wahr? Wer ist denn für heut angemeldet?«

      Die patente Sprechstundenhilfe mit dem kurzen Graukopf und den lustig blitzenden Augen winkte ab. »Die fünfzig hab ich schon hinter mir, ein junger Hüpfer bin ich fei nimmer. Aber so schwer ist das mit dem Computer auch wieder net. Setz dich halt her zu mir, Doktor, dann bring ich es dir ganz schnell bei.«

      »Das fehlte noch«, lachte der Brinkmeier. »Ich bleib lieber bei meinen Leisten. Von dem neumodischen Graffel mag ich nix wissen. Dafür bist du zuständig, Christel.«

      Sie schmunzelte. »Wie du meinst, Doktor. Also, als Erster steht der Burgmüller auf der Listen. Er sagt, er fühlt sich net so recht in letzter Zeit und hat Schmerzen in den Gelenken.«

      »Die hab ich auch«, brummte Josef. »Der Alois entwickelt sich allmählich zum Hypochonder. Und das alles nur, damit er die Stadlerin öfter zu Gesicht bekommt.«

      »Die Anna ist vernünftig, die will von dem alten Charmeur nix wissen«, meinte Christel Brenner überzeugt. »Danach kommt der Harlinger wegen seiner Bandscheibe. Der Bichler hat Magenprobleme und... Ach, ich geb dir die Listen, Chef, kannst selbst schauen. Sonst werde ich mit meiner Arbeit da net fertig, bevor die ersten Patienten erscheinen.«

      Dr. Brinkmeier nahm das Blatt und wollte sich abwenden, als er unvermittelt einen leisen Schmerzenslaut von sich gab. Die Sprechstundenhilfe wurde sofort aufmerksam. Sie erhob sich und trat neben den Doktor. Gleich sah sie, daß er blaß geworden war. Schweißperlen zeigten sich auf seiner Stirn und sein Atem war unregelmäßig. Christel kannte diese Warnzeichen, sie traten nicht zum ersten Mal auf. In letzter Zeit aber immer öfter.

      »Setz dich einen Moment hin, Doktor, ich hole deine Tropfen«, bat sie behutsam und bugsierte den Landarzt auf einen Stuhl. Dieser ließ sich die Behandlung gefallen, denn er fühlte sich hundeelend. Nachdem er sein Medikament geschluckt hatte, ging es ihm langsam besser.

      Christel schaute ihn ernst an. »Es geht wieder, gelt? Hast ein bisserl Farbe angenommen. Aber ich glaub, es wäre besser, die Sprechstunde heut net abzuhalten. Und wennst mich fragst, hole ich den Doktor Haselbeck aus Schlehbusch, damit er dich mal gründlich untersuchen kann, Chef.«

      »Nix, das ist net nötig.« Er stand langsam auf.

      »Ich halte die Sprechstunde ab wie jeden Tag seit über dreißig Jahren. Da laß ich mir nix nachsagen. Zum alten Eisen gehör ich fei noch net.«

      »Aber...« Die Sprechstundenhilfe schüttelte ärgerlich den Kopf, als Dr. Brinkmeier im Behandlungszimmer verschwand. Er war einfach unbelehrbar! Bei seinen Patienten hatte er stets den richtigen Rat, die korrekte Behandlung parat. Aber wenn es um ihn selbst ging, dann schien sich sein gesunder Menschenverstand einfach auszuschalten. Oder war es Trotz, daß er so reagierte? Christel hatte keine Zeit mehr, sich darüber Gedanken zu machen, denn der erste Patient betrat eben die Praxis.

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